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Wo die Israelkritik aufhört

Richard A. Fuchs13. November 2014

Zehn Jahre sind vergangen, seit 55 Nationen in der Berliner Erklärung vereinbarten, den Antisemitismus weltweit gemeinsam zu ächten. Die Bilanz fällt angesichts einer neuen antisemitischen Hasswelle ernüchternd aus.

Protest gegen Israel (Foto: Adam Berry/Getty Images)
Beobachter sprechen von einer neuen Welle des AntisemitismusBild: Berry/Getty Images

Nur wenige Tage sind vergangen, seit die Straßen von Berlin der Schauplatz eines großen Spektakels waren. Hundertausende versammelten sich, um 25 Jahre nach dem Fall der Mauer an eine der Sternstunden der deutschen Demokratie zu erinnern. Eine friedliche Revolution, die zur Wiedervereinigung Deutschlands führte. Jetzt wurde im Rahmen der OSZE-Antisemitismuskonferenz in Berlin an einen anderen 9. November gedacht - eine der dunkelsten Stunden der deutschen Geschichte. Denn am 9.November 1938, der sogenannten Reichspogromnacht, zerstörten die Nazis das jüdische Leben in Berlin, Synagogen brannten und Juden wurden gedemütigt, verschleppt oder getötet. Es war ein Schritt auf dem Weg zum Holocaust.

"Wir sind entsetzt über die Welle antisemitischer Hetze"

Viel Zeit ist vergangen - und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) repräsentiert heute ein anderes Deutschland. Eines, so Steinmeier, in dem jüdisches Leben wieder blühe. "Allen historischen Wunden zum Trotz ist Deutschland für Zehntausende von Juden eine neue, offene Heimat geworden." Trotzdem sei auch in diesen Tagen jüdisches Leben in Gefahr. "Wir sind entsetzt über die Welle antisemitischer Hetze und Übergriffe, die es in den letzten Monaten in vielen europäischen Städten gegeben hat." Insbesondere seit Israel militärisch gegen die Palästinenser im Gazastreifen vorgegangen ist, brennen wieder israelische Flaggen und werden Juden weltweit vermehrt zur Zielscheibe antisemitischer Attacken. Dabei ist für Steinmeier klar: "Nichts, auch nicht die dramatische militärische Konfrontation in Gaza, rechtfertigt die Ausfälle der letzten Wochen."

"Jüdisches Leben ist zurück im Herzen Deutschlands": Außenminister Frank-Walter SteinmeierBild: picture-alliance/dpa/Jensen
Nur 12 von 57 Mitgliedsstaaten der OSZE berichten regelmässig über AntisemitismusBild: picture alliance/AP Photo/Karadjias

Die Berliner Erklärung ist das Schriftstück zum "Nie wieder"

In der Berliner Erklärung verpflichteten sich vor zehn Jahren 55 Mitgliedsstaaten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) dazu, den Antisemitismus weltweit gemeinsam zu bekämpfen. Ob sie Wort gehalten haben, sollte jetzt in Berlin erörtert werden. Umso enttäuschter war Samantha Power, Vertreterin der US-Regierung und US-Topdiplomatin bei der Vereinten Nationen, dass trotz einer neuen Gewaltwelle gegen Juden deutlich weniger politisches Spitzenpersonal aus aller Welt nach Berlin angereist war: "Verlangt dieses Thema nicht gerade jetzt, in dieser Situation, dass wir gemeinsam Flagge zeigen?" Power warnte davor, dass die jüngsten Gewaltexzesse gegen Juden ein Alarmzeichen seien. "In Zeiten, in denen es besonders viel Antisemitismus gibt, in just jenen Zeiten gab es immer auch eine Erosion der Menschenrechte und eine Ächtung anderer Minderheiten", so Power.

Sie fordert mehr Engagement - und weniger Lippenbekenntnisse: Samantha PowerBild: Burton/Getty Images

Besonders häufig, sagte der stellvertretende Außenminister Israels, Tzachi Hangegbi, verberge sich die neue Form des Antisemitismus hinter dem Begriff der "legitimen Israelkritik". Häufig würden an Israel andere Maßstäbe angelegt als an andere Länder. "Israel zu isolieren und es zu dämonisieren ist eine neue Form des Antisemitismus und sollte auch als solche behandelt werden", so der Minister. Besonders im Netz hat die Kritik an der israelischen Siedlungspolitik im Westjordanland und am Gaza-Krieg eine Dynamik entfaltet, wie es sie in der Offline-Welt nie gegeben hat. Darunter ist viel, was vom Grundsatz der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Aber eben immer mehr, was darüber hinausgeht, so der slowakische Außenminister Miroslav Lajcak. "Diesem Cyber-Antisemitismus kann man nur sehr schwer auf die Schliche kommen und es ist noch schwerer ihn zu bestrafen." Noch lebten digitale Hassprediger sogar in einer rechtlosen Zone, denn es gebe noch keine Rechtsprechung, die Hassblogger, ebenso wie Internetprovider und Internetdienstleister gemeinsam haftbar mache. "Während wir also im Offline-Rechtsystem bereits eine solide Grundlage gegen Antisemitismus haben, existiert hier im Cyberspace noch immer ein Vakuum", sagte Lajcak.

Nur mit Jugendarbeit kommt man weiter

Wenn die Berliner Erklärung etwas bewirkt hat, dann vor allem in der Aufklärungsarbeit mit Schülern und Jugendlichen. Davon ist Michael Georg Link überzeugt. Im Namen der OSZE leitet er das Institut für Demokratie und Menschenrechte in Warschau und ist damit Chefaufklärer gegen rassistische Vorurteile. Schuldidaktik, Jugendarbeit und juristische Ächtung von antisemitischen Straftaten: Viel habe sich hier in den vergangenen zehn Jahren verbessert. Selbst in Staaten, die gerade bei der Achtung von Menschenrechten oft in der Kritik stehen. "Mit Griechenland oder Italien haben sie Länder, die ganz gezielt ihre Polizei in der Arbeit gegen Vorurteile trainieren." Dass vieles in dieser Berliner Erklärung gegen den Antisemitismus aber dennoch wohlfeile Lippenbekenntnisse sind, mag auch OSZE-Chefaufklärer Link nicht wegreden: "Von allen Staaten der OSZE, und das sind immerhin 57, berichten nur 12 regelmäßig so wie sie es eigentlich müssten über Zwischenfälle und Straftaten mit antisemitischem Hintergrund." Sein Ratschlag an die Staats- und Regierungschefs daher: Eigentlich müssten sich alle nur an die Regeln halten, die sie selbst beschlossen haben.

Seit Sommer Chef der OSZE-Wahlbeobachter: Michael Georg LinkBild: Eisele/AFP/GettyImages
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