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Wo Heimat ist: München - Zuhause im Hofbräuhaus

Maria-Therese Eiblmeier
24. April 2018

Im Münchner Hofbräuhaus treffen sich inmitten Tausender Touristen regelmäßig mehr als 120 Stammtischrunden - Tendenz steigend. Sie wirken wie Inseln der Tradition im internationalen Trubel. Was macht für sie Heimat aus?

Stammtisch Aloisius
Bild: Tobias Ranzinger

Heimat im Hofbräuhaus? Zwischen Selfiesticks und Touristen aus der ganzen Welt? In unserer Mini-Reihe "Wo Heimat ist..." hat sich DW-Reporterin Maria-Therese Eiblmeier nach München begeben, um dort nach den Rettern der bayerischen Tradition zu suchen. Und tatsächlich hat sie sie gefunden. Zwischen Selfiesticks und Touristen.

 

Der Engel Aloisius aus Ludwig Thomas satirischer Geschichte "Ein Münchner im Himmel" von 1911 ist im Hofbräuhaus allgegenwärtig. In dem Stück kommt ein Münchner Beamter nach seinem plötzlichen Tod als Engel in den Himmel. Dort fehlen ihm die bayerische Heimat und das Bier aber so sehr, dass Gott Erbarmen hat und den Ärmsten zumindest damit beauftragt, der bayerischen Regierung ab und zu die göttlichen Weisungen zu überbringen.

Engel Aloisius fliegt aber bei seinem ersten Auftrag schnurstracks in sein geliebtes Hofbräuhaus, wo er bis heute sitzt. Die bayerische Regierung muss also seither ohne göttliche Eingebung auskommen; so ist es auch sehr unwahrscheinlich, dass die Idee, im Innenministerium der neuen Bundesregierung das Ressort "Heimat" zu installieren, von "oben" kommt.

Aloisius jedenfalls hat im Hofbräuhaus zu München seine neue und ewige Heimat gefunden, im berühmtesten Wirtshaus der Welt - dem Epizentrum bayerischer Gemütlichkeit. Dort prallen jeden Tag zwei Welten aufeinander: Touristen aus aller Welt, für die der Besuch einen kurzen, im Reiseführer empfohlenen Abstecher darstellt und Stammgäste, für die das Hofbräuhaus wahre Heimat verkörpert.

Weltberühmt: Die "Schwemme" im HofbräuhausBild: Tobias Ranzinger

Heimatidylle Hofbräuhaus?

"Durst ist schlimmer als Heimweh" steht in großen Lettern im Torbogen über der Schwemme. Hier, im Herzstück des Hofbräuhauses, finden bis zu tausend Gäste Platz. Wo früher Bier gebraut wurde, sitzen heute unter der kunstvoll bemalten Decke an langen Holztischen Menschen aus aller Herren Länder. Es geht laut und geschäftig zu, die Blaskapelle spielt bayerische Volksmusik, Kellner mit Tabletts voller Schweinebraten und Weißwürsten wuseln zwischen den Reihen umher, junge Mädchen im Dirndl verkaufen Brezen. Die obligatorische Maß Bier ist allgegenwärtig und jedes Mal, wenn das "Prosit der Gemütlichkeit" erklingt, klirren die Krüge.

So weit, so Klischee. Dass diese Bilderbuch-Szenerie Touristen magisch anzieht, versteht sich von selbst. Dass Menschen sich aber in diesem Umfeld tatsächlich heimisch fühlen und die bayerische Tradition bewusst leben, zeigt sich an den vielen Stammtischrunden. Ihre Mitglieder sprechen Dialekt und tragen Tracht. Sie haben das Privileg, ihre eigenen Krüge zu benutzen, und bezahlen mit speziellen Münzen, den "Bierzeichen". Ein Bierzeichen hat den Wert einer Maß Bier - eventuelle Preisschwankungen ausgeschlossen. Die Münzen mit den verschiedenen Motiven sind also sozusagen eine sichere Anlagemöglichkeit. 

Jedes Stammtischmitglied hat einen eigenen Maßkrug, den es vor und nach Gebrauch spült und wegschließt Bild: Tobias Ranzinger

"Dem Prinzregenten die Ehre, dem Hofbräuhaus die Treue"

Der Stammtisch "Prinzregent" trifft sich bereits seit 1998 jeden Freitag. Seit zwanzig Jahren werden die acht Männer im Traditionsgasthaus als lebendige Exemplare bayerischer Kultur bestaunt und von Touristen aus aller Welt begeistert fotografiert. Und noch immer fühlen sie sich dort heimisch? "Absolut", bestätigt Wolfgang Piecha und die ganze Runde nickt, denn ihr Stammtisch sei für sie inmitten des regen Betriebs ein Stück Heimat. Ein Ort, der ihnen vertraut ist, an dem sie immer dieselben Menschen treffen, an dem sie erwartet werden und wo sie vermisst werden, wenn sie einmal nicht wie üblich erscheinen.

Kultursoziologin Cornelia KoppetschBild: Jan-Christoph Hartung

Die Darmstädter Soziologin Prof. Dr. Cornelia Koppetsch hat sich in ihrem Essay "In Deutschland daheim, in der Welt zu Hause?" mit dem Thema Heimat beschäftigt. Sie erläutert, dass "es auch immer eine Frage der Anpassung von Persönlichkeit und Umfeld ist, ob man sich heimisch fühlt."

"Die Stammtischkultur muss erhalten werden, denn da kommen die Leute noch miteinander ins Gespräch", finden die Stammtischbrüder. Denn trotz der globalen Vernetzung und der ständigen Kommunikation über soziale Medien haben sie oft das Gefühl, dass genau dies heute immer seltener wird. Heimat bedeutet für sie deshalb vor allem Gemeinschaft und gute Gespräche.

Ein Aussterben der Stammtischkultur ist nicht zu befürchten - im Gegenteil. Im Hofbräuhaus gibt es sogar einen Stammtischhüter, der ständig Anfragen für Neugründungen erhält. Ein Indiz dafür, dass sich immer mehr Menschen nach einer Rückkehr zur Tradition sehnen. Cornelia Koppetsch sieht den Grund hierfür "in der Erosion gesellschaftlicher Werte wie Solidarität oder Hilfsbereitschaft". Weil viele Bürger das Gefühl hätten, die Welt drehe sich immer mehr um finanzielle Interessen und weniger um Gemeinschaft, zögen sie sich in ihren privaten Raum der Stabilität und Sicherheit zurück. Orte wie Stammtische versprechen Bindung, Identität und Sinnstiftung in komplizierten Zeiten.

"Man kann auch in der Fremde wieder eine Heimat finden"

Die Stammtischbrüder Wolfgang Piecha (li) und Rudi Huber heißen jeden willkommenBild: DW/Maria-Therese Eiblmeier

Aktuell spielen Migration und Heimatlosigkeit wieder eine große Rolle in der gesellschaftlichen Debatte. Wer hierzu bei den "Prinzregenten" krude Stammtischparolen erwartet, wird eines Besseren belehrt: "Ein Muslim muss im Hofbräuhaus kein Bier trinken, um dazuzugehören. Wer sich halbwegs mit der bayerischen Kultur identifiziert, kann hier eine neue Heimat finden", meint Stammtischbruder Alfons Zeitlhuber. Jenseits politischer Leitkultur-Debatten gehe es im Leben doch vor allem darum, sich wohlzufühlen, so die einhellige Meinung am Stammtisch. Deshalb sind bei den "Prinzregenten" auch Gäste aus Nah und Fern willkommen - so viele, dass die Runde mittlerweile den Nachbartisch zusätzlich belegt. "Egal, ob Alt oder Jung, welche Religion oder Hautfarbe, uns ist das wurscht", stellt die Runde klar.

Nur, wenn am Nachbartisch ein Japaner seine Weißwurst mitsamt der Haut essen will, intervenieren die Bayern schon mal. Da gehe es schließlich um ein Kulturgut: Eine Weißwurst MUSS geschält werden.

Wer hier einen Platz für seinen Krug gefunden hat, ist wirklich zu HauseBild: Tobias Ranzinger

Am Ende der Stammtischrunde waschen die Stammtischbrüder ihre Krüge aus, um sie dann bis zum nächsten Besuch in einem der 616 "Maßkrugtresore" zu verstauen. Dort einen Platz zu haben, ist ein heiß begehrtes Statussymbol. Wer zu den Glücklichen gehört, muss pro Jahr vier Euro Pacht in bar bei den Wirten des Hofbräuhauses abliefern. Ein Fach ist allerdings auch auf Dauer nicht zu vergeben: Der Stammgast Ludwig Aidelsburger, der sechzig Jahre lang fast jeden Freitag ins Hofbräuhaus kam, starb 2012 mit 92 Jahren. Als Zeichen der Treue dem ehemaligen Stammgast gegenüber wird das Fach seither nicht neu besetzt. So hat der alte Ludwig seine ewige Heimat neben dem Engel Aloisius gefunden - im Hofbräuhaus zu München.

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