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Wohlstand oder Umweltschutz

Andreas Becker17. Juni 2013

Wer heute vom Wachstum der Wirtschaft spricht, betont meist, dass es natürlich "nachhaltig" oder "grün" sein müsse. Doch geht das überhaupt? Sind Wachstum und ökologische Nachhaltigkeit nicht doch Widersprüche?

Smog in Peking (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Mit der Energiewende will Deutschland seine Energieversorgung schrittweise auf erneuerbare Quellen umstellen, also Sonnen-, Wind- und Wasserkraft. Manche sehen das als wichtigen Schritt zu einer umweltverträglicheren Lebensweise.

Karl-Heinz Paqué gehört nicht dazu. "Wenn wir in Deutschland entsprechende Programme entwickeln, hat das global praktisch keine Wirkung. Dafür sind wir viel zu klein", sagt der Wirtschaftsprofessor an der Universität Magdeburg. "Entscheidend wird sein, was in den Ländern passiert, die jetzt nachfolgen, denn das sind praktisch zwei Drittel der gesamten Weltbevölkerung."

Nachfolgen auf dem Weg der Europäer: Die haben sich Jahrhunderte lang um wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand gekümmert, bevor sie ihre Liebe zur Umwelt entdeckten. "Die Priorität auf den Umweltschutz ist etwas, das mit dem Wohlstand kommt", so Paqué gegenüber DW. "Bei uns begann es in den 1970er Jahren, nicht früher. In China beginnt es jetzt gerade, in Indien wird es noch etwas länger dauern."

Comeback der Kohle

Für wohlhabende und umweltbewegte Europäer gibt es genug Gründe, nervös zu werden. So hat weltweit ein Energieträger Hochkonjunktur, der in den meisten Ländern Europas als besonders schmutzig gilt. "Die Kohle steht vor der größten Renaissance der Industriegeschichte", sagt Ottmar Edenhofer, stellvertretender Direktor und Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung.

In den 1990er Jahren wurde Kohle in vielen Ländern durch Gas abgelöst. Jetzt sei aber eine Trendwende zu beobachten, weil Kohle "unglaublich wettbewerbsfähig" geworden sei, so Edenhofer. "Vor allem das Wirtschaftswachstum in China wird ganz stark durch billige Kohle getrieben. Ähnliches gilt für Indien, Südafrika und einige Länder Osteuropas."

Ottmar Edenhofer: "Gewaltige soziale Konflikte"Bild: picture-alliance/dpa

Bei der Verbrennung von Kohle und anderen fossilen Energieträgern entsteht CO2. Das belastet die Atmosphäre - und macht so den gefürchteten Klimawandel wahrscheinlicher. Wenn die Staaten der Welt nichts unternehmen, warnte jüngst die Internationale Energieagentur IEA, werde die jährliche Durchschnittstemperatur bis zum Ende des Jahrhunderts um 5,3 Grad steigen - mit verheerenden Folgen für die Umwelt.

Doch alle Verhandlungen über ein international gültiges Klimaschutzabkommen sind bislang gescheitert. Egal, ob über Obergrenzen für Treibhausgase oder über handelbare Verschmutzungsrechte gesprochen wurde - die Interessen der einzelnen Länder waren einfach zu unterschiedlich.

Entwertung der Rohstoffe

"Ein Weltklimaabkommen führt zumindest potentiell dazu, dass man weniger Kohle und Öl braucht", sagt Carl Christian von Weizsäcker vom Bonner Max Planck Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern. Für Länder mit großen Vorkommen fossiler Brennstoffe sei das ein Problem. "Denn durch ein Abkommen würde der Preis der Ressourcen in diesen Ländern sinken. Das macht es noch schwerer, zu einer Einigung zu kommen."

Carl Christian von Weizsäcker: "Weniger Kohle und Öl"Bild: picture-alliance/Andreas Gebert

Hinzu kommt, dass sich Verhandlungspositionen ändern. Seit etwa in Kenia, Uganda und Mozambik Öl- und Gasvorkommen entdeckt wurden und in Kanada der Abbau von Ölsand rentabel ist, haben diese Länder kaum noch Interesse an einem Klimaabkommen. Jede Begrenzung der Verschmutzung würde den Wert ihrer Rohstoffvorkommen reduzieren.

Nach dem Scheitern des Weltklimagipfels von Kopenhagen sind die Chancen auf eine baldige Einigung äußerst gering, so die meisten Experten. Noch unwahrscheinlicher ist es, dass sich die Länder der Welt darauf einigen, weniger oder gar nicht mehr zu wachsen. Der Traum von einem Leben ganz ohne Wirtschaftswachstum ist in den Umweltbewegungen westlicher Industrieländer weit verbreitet.

Besser ohne Wachstum?

Global gesehen wäre Null-Wachstum aber keine ernsthafte Option. "Die gewaltigen Ungleichheiten, etwa zwischen Afrika und Europa oder zwischen Afrika und Amerika, wären in keiner Weise akzeptabel", sagt Ottmar Edenhofer.

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Am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hat er ein Beispiel durchgerechnet. "Die USA müssten ihr Pro-Kopf-Einkommens um 80 Prozent reduzieren, damit in Afrika die Menschen in etwa den Lebensstandard Lateinamerikas hätten. Die sozialen Konflikte wären gewaltig."

Eine bewusste Beschränkung des Wachstums wird es also nicht geben, weltweit gültige Vorgaben für den Klimaschutz vorerst auch nicht. Regionale Bemühungen, etwa der Handel mit Verschmutzungsrechten in Europa, funktionieren nicht oder nur unzureichend. So mancher sieht die Welt daher direkt auf den Untergang zusteuern.

Unsichere Zukunft

Der Liberale Karl-Heinz Paqué misstraut diesen Prognosen. Verlässliche Aussagen über die Zukunft seien einfach nicht möglich. "Stellen wir uns vor, wir hätten im Jahr 1913, also vor genau 100 Jahren, eine Prognose über die Entwicklung der Welt gemacht - aber auf dem technologischen Stand von damals", so Paqué.

Karl-Heinz Paqué: "Global praktisch keine Wirkung"Bild: picture-alliance/dpa

"Was seitdem passiert ist, in gerade einmal drei Generationen, wäre völlig außerhalb unseres Vorstellungsvermögens gewesen. Wir müssen mit unseren Vorhersagen deshalb vorsichtig sein."

Mit anderen Worten: Keine Panik, der Menschheit wird schon noch etwas einfallen. Bleibt zu hoffen, dass Paqué mit dieser Vorhersage nicht falsch liegt.



Die Interviews für diesen Text wurden im Rahmen einer Veranstaltung der Akademie für Politische Bildung Tutzing geführt.

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