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Wohnungsnot: "Sozialwohnung wie ein Lottogewinn!"

13. April 2024

Das Thema Wohnen ist die soziale Frage des 21.Jahrhunderts, betonen immer wieder Politiker und Experten in Deutschland. Besserung ist vorerst nicht in Sicht, vor allem in den Großstädten fehlen bezahlbare Wohnungen.

Rücken von Mann und Frau, die sich Zettel an einer Wand durchlesen
Wohnungssuche an der Universität in BonnBild: Ute Grabowsky/photothek/IMAGO

Der Alptraum von Amir Schraff (Name von der Redaktion geändert) beginnt ziemlich genau am 24. Dezember 2022. An dem Tag flattert bei dem alleinerziehenden Vater aus Afghanistan, der schon seit mehr als 16 Jahren in Deutschland lebt, die Kündigung seiner Mietwohnung in der Nähe von Bonn wegen angeblichen Eigenbedarfs herein. Was folgt, ist das Schicksal, welches ihn derzeit mit Hunderttausenden in Deutschland verbindet: die monatelange, verzweifelte Suche nach einer bezahlbaren Wohnung.

Mit Dutzenden unbeantworteten Schreiben, hunderten konkurrierenden Mitbewerbern und schier endlosen Schlangen für einen Besichtigungstermin. Sofern man überhaupt das seltene Glück hat, dazu eingeladen zu werden. Nur um kurze Zeit später die Standardantwort zu bekommen: "Es tut uns leid, wir haben uns für jemand anders entschieden!" Schraff hat gegen die Kündigung geklagt und sagt gegenüber der DW: "Die Wohnungslage ist Deutschland wird immer dramatischer."

Wie explosiv die Lage am deutschen Wohnungsmarkt tatsächlich ist, zeigt der Blick auf die Zahlen: Über 800.000 Wohnungen fehlen in Deutschland, Tendenz steigend. Mehr als 9,5 Millionen Menschen, vor allem Alleinerziehende und deren Kinder, leben auf beengtem Wohnraum, so das Statistische Bundesamt. Das ambitionierte Ziel der Bundesregierung, jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen inklusive 100.000 Sozialwohnungen zu bauen, ist wegen hoher Zinsen und Baukosten in weiter Ferne.

400.000 neue Wohnungen pro Jahr - Ziel unerreichbar

Laut dem Wirtschaftsforschungsinstitut ifo waren es 2023 rund 245.000 Wohnungen, dieses Jahr werden es sogar nur 210.000 sein. Weil das Angebot an Wohnraum hierzulande klein ist, die Nachfrage aber riesig, schießen außerdem die Mietpreise in die Höhe. Und immer mehr Menschen wie auch Amir Schraff wenden sich in ihrer Verzweiflung an Organisationen wie den Deutschen Mieterbund, der sich für die Interessen der Mieter einsetzt. 

Peter Kox, Geschäftsführer des Deutschen Mieterbundes Bonn/Rhein-Sieg/Ahr, sagt gegenüber der DW: "In den großen Kommunen Düsseldorf, Köln oder Bonn hätten mittlerweile fast 50 Prozent der Menschen von ihren Einkommensverhältnissen her einen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein; also eine mietpreisgebundene Wohnung. Es sind heutzutage eben nicht nur die 'üblichen‘ Bürgergeldempfänger, die sonst häufig unser Beratungsangebot aufsuchen, sondern auch die Mitte der Gesellschaft."

"Ganz viele geflüchtete Menschen, teilweise schon mit anerkanntem Asyl, finden keine Wohnung" - Peter KoxBild: privat

"Wohnen soziale Frage des 21. Jahrhunderts" - mehr als eine Phrase?

Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz davon spricht, dass Wohnen die entscheidende soziale Frage in Deutschland sei, dann hat das einen Grund: Um den knappen bezahlbaren Wohnraum kämpfen mittlerweile nicht nur Alleinerziehende mit Kindern, Arbeitslose, Studierende und Geflüchtete, sondern auch zunehmend die Mittelschicht. Sozialer Sprengstoff.

Kox berichtet, dass seine Organisation mittlerweile den Rekordwert von fast 25.000 Mitgliedern erreicht hat, und jeden Tag würden es mehr. "Die Menschen sind schon sehr verzweifelt. Wir haben in den letzten Jahren erlebt, dass nicht nur solche mit akut neuen Problemen zu uns kommen, die beispielsweise eine Energiekostennachzahlung haben, von denen sie gar nicht wissen, wie sie diese bezahlen können."

Jetzt würden sich auch Mitglieder melden, von denen Kox jahrelang nichts gehört habe, und die nun Wohnraum suchten: "Zum Beispiel durch Kündigungen, also die Versuche von Vermieterinnen oder Vermietern, ihre Mieterinnen und Mieter loszuwerden, um die Wohnung dann im Zweifelsfall teurer neu vermieten zu können."

Auch die Zahl der Wohnungslosen steigt

Und dann sind da noch die, die beim Wettkampf um Wohnraum auf der Strecke bleiben. Menschen, die draußen campieren, oder, wie Kox berichtet, als Wohnungslose von Freund zu Freund ziehen oder in städtischen Unterbringungen übernachten. Der Geschäftsführer des Deutschen Mieterbundes in Bonn schätzt ihre Zahl auf mittlerweile 3500 in seiner Region. Zehnmal so viel wie noch vor ein paar Jahren. Sein dringender Appell: "In den nächsten 20 Jahren werden etwa 30.000 Menschen nach Bonn ziehen, und für die brauchen wir 15.000 Wohneinheiten. Und davon 10.000 öffentlich geförderte Wohnungen, wenn man davon ausgeht, dass bei einem gesunden Wohnungsmarkt 12 bis 14 Prozent aller Wohnungen öffentlich gefördert und mietpreisgebunden sind."

Deutschland - Land der Mieter

Deutschland ist Mieterland und mit Abstand Spitzenreiter in Europa. Über die Hälfte der Bevölkerung lebt nicht in den eigenen vier Wänden; es ist das einzige Land in der Europäischen Union mit mehr Mietern als Eigentümern. Doch Deutschland zahlt jetzt teuer für seine politischen Fehler der Vergangenheit: Der Bund hatte tausende Wohnungen an private Investoren verkauft, die Bundesländer sich gleichzeitig massiv aus dem sozialen Wohnungsbau zurückgezogen.

Matthias Bernt, Experte für Wohnraumpolitik, sagt gegenüber der DW: "Wir hatten früher 4 Millionen Sozialwohnungen und 15 Millionen Mieterhaushalte, das heißt ein Verhältnis von 1:4. Heute haben wir eine Million Sozialwohnungen und 21 Millionen Mieterhaushalte, also ein Verhältnis von 1:21. Wer irgendwie jetzt eine Sozialwohnung bekommen kann, hat im Lotto gewonnen."

"Irgendwie scheint in der Politik nicht mehr zu passieren, als dass immer wieder in Sonntagsreden betont wird, dass Wohnen die soziale Frage des 21 Jahrhunderts ist" - Matthias BerntBild: Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS)

Bernt ist kommissarischer Leiter des Forschungsschwerpunkts „Politik und Planung" am Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung. Er beobachtet, dass die Wohnungskrise vor allem in den Groß- und Universitätsstädten besonders ausgeprägt ist. In der Hauptstadt Berlin zum Beispiel gebe es immer mehr Airbnb-Wohnungen. Gleichzeitig sei die Miete für Neuvermietungen im Durchschnitt ungefähr doppelt so hoch wie die Miete für Bestandswohnungen.

Mietpreisbremse wird oft ausgebremst

Die Bundesregierung versucht verzweifelt, dagegen zu steuern und hat jetzt die Mietpreisbremse bis 2029 verlängert. Bei Abschluss eines neuen Mietvertrages darf demnach die Miete nicht mehr als zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Allerdings gibt es Ausnahmen für Neubauten, umfassend modernisierte oder auch teilmöblierte Wohnungen.

Deutschlands höchste Wohnhochhäuser in Frankfurt

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Schlupflöcher, die laut Berndt dringend geschlossen werden müssen. "Ich glaube, kurzfristig brauchen wir tatsächlich eine stärkere Regulierung des Mietwohnungsmarktes. Es geht nicht, dass zum Beispiel in Berlin die Hälfte der Wohnungen mit einem Trick als teilmöbliert angeboten wird. Und die Vermieter damit die Mietpreisbremse umgehen, indem sie einen Tisch und einen Schrank in die Wohnung stellen und dafür horrende Abstandssummen verlangen."

Kriselnde Wohnungsbaubranche warnt vor Dominoeffekt

Beim Wohnungsbau-Tag in Berlin haben auch die Branchenverbände Alarm geschlagen. Sie forderten eine Summe von jährlich 23 Milliarden Euro, um den kriselnden Wohnungsbau wieder anzukurbeln. Gleichzeitig warnten sie vor einer "fatalen Entwicklung, bei der die Krise im Wohnungsbau einen Dominoeffekt und damit massiven Schaden für weite Teile der Wirtschaft auszulösen droht".

Argument Nummer zwei: Die dringend benötigten Fachkräfte aus dem Ausland würden nicht kommen, wenn sie keine Wohnung fänden, die sie sich leisten könnten. Und schließlich könnte das nicht gehaltene Versprechen der Bundesregierung von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr die Wähler zu den politischen Rändern treiben. Doch die Regierung um Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (B90/Grüne) und Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) blieb hart und lehnte weitere Subventionen ab. Wohnraumpolitik-Experte Bernt empfiehlt einen Blick ins Ausland:

Wien baut die Stadt der Zukunft

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"Einfach bauen, bauen, bauen hilft nicht, sondern es muss vor allem preiswert und langfristig bezahlbar gebaut werden. Wenn man nach Österreich oder in die Schweiz schaut, die ja auch einen großen Mietwohnungsmarkt haben, gibt es durchaus Modelle, mit denen langfristig Bestände gehalten werden. Wien ist das leuchtende Beispiel, mit fast der Hälfte der Wohnungen im Gemeindewohlbestand. Das sorgt dafür, dass Wohnen in Wien bezahlbar ist."