Spanien: Zu wenig Wohnungen, zu viele Touristen
10. Juni 2025
Der Immobilienmakler Juan Sanchez (Name wurde von der Redaktion geändert) öffnet die dicke milchige Glastür zu einer Wohnung, die früher ein Laden war und wo der Besucher von der Straße direkt in die Küche tritt. Die Decken sind sehr hoch. "Hier können Sie eine Zwischendecke einziehen," sagt Sanchez. Die zwei annoncierten Schlafzimmern befinden sich im Keller. Einer der winzigen Räume hat noch nicht einmal ein Fenster.
"Das Ganze können Sie locker für 1300 Euro an Studenten vermieten", so der Makler. Es gebe allerdings einen Haken: "Der Platz unten ist offiziell nur als Lager im Grundbuch angeben, da haben wir keine Lizenz bekommen, aber das ist beim Vermieten kein Problem", versichert er. Über 300.000 Euro soll die 55-Quadratmeter-"Wohnung" in einem zentral gelegenen Madrider Mittelklasse-Viertel kosten.
Die hohen Preise sind diesmal nicht wie 2005 das Ergebnis von niedrigen Kreditzinsen. Sie werden derzeit getrieben von finanzstarken ausländischen Investoren, die in den seit Jahren hochrentablen und sicheren Wohnungsmarkt in Spanien und in den boomenden Tourismus investieren wollen. Es gibt viel weniger Angebot als Nachfrage, sagt die spanische Bank BBVA.
In Folge haben viele Spanierinnen und Spanier Probleme, die Miete zu finanzieren und viele Unterkünfte werden an internationale Touristen und Studenten zeitlich begrenzt vermietet. So gehen immer wieder die Menschen auf den Kanaren, in Barcelona oder Madrid auf die Straße und protestieren gegen die Wohnungsnot und Überfremdung.
Der Wohnungsmangel in Spanien wird auch von Einheimischen getrieben
Inzwischen bieten Unternehmen wie habitacion.com sogar Zimmer zum Verkauf an. Für die linke Mieter-Lobby Sindicatos de Inquilinas hat das alles mit wildem Spekulieren zu tun, vor allem von Ausländern und Investmentfonds. Dort schätzt man, dass es über 4 Millionen leere Wohnungen und 400.000 Ferienwohnungen in dem 46 Millionen-Einwohner-Land gibt.
Verschärft wird die Angebotsknappheit auf dem Wohnungsmarkt noch durch die Einheimischen selber. Es gibt über 2,5 Millionen nur sporadisch genutzten Wohnungen in Spanien, so das spanische Statistikinstitut INE. Man kann davon ausgehen, dass ein großer Teil Zweit- oder sogar Drittwohnsitze spanischer Familien sind, die auch zu Urlaubszwecken genutzt werden, aber meist nicht gerne an Dritte vermietet werden.
Privatinvestoren und Hedgefonds haben dagegen weniger Angst vorm Vermieten, vor allem die temporären Verträge werden bei ihnen immer beliebter. Lässt man Vermietungen an Touristen außen vor, machten im ersten Quartal 2025 Wohnungen, die zeitlich befristet vermietet wurden, 14 Prozent des Gesamtmarktes aus – das entsprich einem Anstieg von 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, wie die spanische Immobilien-Plattform idealista schreibt.
Den größten Anstieg des zeitlich befristeten Wohnungsangebots erlebten Städte wie Bilbao (36 Prozent), gefolgt von Alicante (33 Prozent), Barcelona (29 Prozent) und Madrid (23 Prozent), heißt es bei Idealista. Die spanische Ministerin für Wohnungsbau und Städteplanung, Isabel Rodríguez, hat jedoch im Mai ein Signal gesetzt: Sie hat der Plattform Airbnb mitgeteilt, dass sie knapp 66.000 Wohnungsangebote ohne Lizenz löschen müssen, wie die Zeitung El País berichtete.
Laut einer Gesetzesinitiative von Rodríguez soll künftig, wer in Spanien Urlaub macht, 21 Prozent Mehrwertsteuer beim Mieten von Apartments bezahlen müssen, das wäre doppelt so viel wie für ein Hotelzimmer. Sindicatos de Inquilinas reicht das nicht.
Gefährliche Blase mit sozialen Auswirkungen?
Wie vor der Finanzkrise heizt sich der spanische Immobilien-Markt wieder gefährlich auf. Kostete ein Haus 2014 noch im Durchschnitt rund 138.000 Euro, hat dieselbe Immobilie im Jahr 2024 einen Wert von 178.700 Euro, laut MD Capital. In Regionen wie den Balearen hat sich dieser Preis sogar mehr als verdoppelt.
"Das führt zwangsläufig zu Protesten bei der einheimischen Bevölkerung", sagt der in Palma arbeitende Immobilien-Anwalt Tim Wirth gegenüber der DW. Er glaubt, dass Vermieten wieder attraktiver gemacht werden muss: "Steuerlich und rechtlich abgesichert für beide Seiten."
Er erkennt aber die brisanten sozialen Probleme der aktuellen Lage. Denn während die spanischen Immobilienpreise im letzten Jahrzehnt zwischen 29 und 34 Prozent gestiegen seien, habe sich das Durchschnittsgehalt nur um etwas mehr als 23 Prozent erhöht. Dadurch sei eine Lücke entstanden, die vielen Spaniern den Zugang zu Wohnraum erschwere, glaubt MD Capital.
Anders als in Paris oder London erhalten in Spanien Arbeitnehmer keinen Zuschlag aufs Gehalt, wenn die Preise für Wohnen besonders hoch sind. Das Durchschnittsgehalt in Spanien lag im Jahr 2024 laut Datosmacros bei 2642 Euro brutto pro Monat. Eine durchschnittliche Wohnung mit 80 Quadratmetern würde jedoch nach Angaben des spanischen Immobilienportals Fotocasa um die 1.100 Euro pro Monat kosten. In Städten wie Madrid oder Barcelona liegt der durchschnittliche Preis für die Größe schon bei 1400-1500 Euro.
Zu viele internationale Besucher, zu wenig Sozialer Wohnungsbau
Es sind vor allem die rund 90 Millionen internationale Touristen pro Jahr, die nach Spanien kommen, die digitalen Nomaden auf den Kanaren und in Barcelona, die internationalen Studenten in Madrid und die vielen lateinamerikanischen Investoren mit viel Geld, die den spanischen Markt überlaufen und damit auch immer mehr Widerstand bei den sonst sehr ausländerfreundlichen Spaniern auslösen.
Im Studienjahr 2024–2025 kamen laut des Kurzfrist-Mietportals Spotahome allein über 118.000 Studierende und Lehrkräfte vom Programm Erasmus+ nach Spanien. Hinzukommen die vielen internationalen Studenten aus der ganzen Welt, die an den knapp 90 Universitäten und den Dutzenden Business Schools im Land studieren.
Studentenwohnheime nach deutschem Muster gibt es nicht, auch kein Bafög. Ein Grund, warum Spanier das Elternhaus statistisch erst mit über 30 Jahren verlassen (Stand 2023, Eurostat). In Deutschland dagegen suchen sich junge Menschen im Schnitt mit knapp 24 Jahren ein eigenes Zuhause.
Beim sozialen Wohnungsbau liegt Spanien zudem in Europa weit hinten. Im vergangenen Jahr wurden nach offiziellen Angaben 14.371 Sozialwohnungen gebaut. Laut dem spanischen Wohnungsbauministeriums hat Spanien zwischen 2007 und 2021 34 Euro pro Einwohner für Sozialwohnungen bereitgestellt - deutlich weniger als der EU-Durchschnitt von 160 Euro, heißt es im Online-Nachrichtenportal Infobae.com.
Die Mieter-Lobby Sindicatos de Inquilinas droht mit Zoff, wenn die Regierung nicht stärker durchgreift: "Wir werden mit lautstarken Protesten wieder zurückholen, was leer steht oder an Touristen vermietet wird," lässt die Lobby die DW wissen.