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Zwischen allen Fronten

Anne Herrberg3. August 2008

Verwahrloste Viertel, Problembezirke - Amsterdam steht wie viele europäische Städte vor komplexen Herausforderungen. In einem einmaligen Projekt sollen Studenten Lösungen für die urbanen Probleme finden.

Der Bedarf für ein Jugendzentrum ist groß in Zeeburg - eine mobile Lösung, die niemanden stört, ist der Verwaltung am liebstenBild: Martin Gevonden

Martin wird langsam ungeduldig. Dauernd unterbrechen sie ihn, haben hier was auszusetzen, da einen Kürzungsvorschlag. Und in drei Stunden muss die Präsentation perfekt sein, dann wird seine Gruppe im Rathaus die Ergebnisse des Projekts "Amsterdam Ost" präsentieren. Die Fragestellung: Wie soll man mit den Dutzenden meist arabischstämmigen Jugendlichen umgehen, die auf den Straßen in Zeeburg herumhängen, randalieren und die Nachbarschaft stören?

Keine Erfahrung, kein Geld und eine Menge Misstrauen

Überwachung statt Jugendarbeit? - Zeeburg gilt als ProblemviertelBild: Martin Gevonden

Das war die Ausgangslage, die Martin und fünf andere Studenten vor vier Monaten von der Stadtverwaltung präsentiert bekamen. Sie hatten sich auf einen Aufruf der Universität Amsterdam hin beworben und sind nun Teil eines Projekts, das es sich zum Ziel gesetzt hat, sich mit den sozialen Gegebenheiten der Stadt auseinanderzusetzen, sie zu verstehen und zu verändern. "Social Engineering" nennt sich das. Vier Gruppen aus jeweils sechs Studenten wurden ausgewählt, kreative Lösungen für urbane Probleme zu suchen und umzusetzen.

Keine einfache Aufgabestellung, denn keiner der Studierenden hatte Erfahrung mit so etwas, es gab kein Geld oder irgendwelche Vorgaben. Und dann musste man überhaupt erst einmal mit den Jungs aus Zeeburg in Kontakt kommen. Das allein war eine Herausforderung: "Die haben ja einen ganz anderen sozialen Background. Wir waren für die so was wie die engagierten Freaks von der Uni. Da war erst mal großes Misstrauen, auch weil die Jungs in der Vergangenheit von der Stadtverwaltung oft enttäuscht wurden", erzählt Teammitglied Johan.

Die meisten Maßnahmen erreichen niemanden

In den vergangenen zwei Jahren wurden alle öffentlichen Jugendzentren geschlossen und trotz großer Versprechen bisher nichts Neues geschaffen. Zwar gibt es mittlerweile so genannte Motivationsprogramme, in denen Breakdance-Kurse und Streetsocker-Turniere angeboten werden.

Aber dafür muss man sich bewerben, sich in Listen eintragen, die in feinen, neuen Internetcafés hängen - Dinge, die ganz weit weg sind von der Welt der Zeeberg-Jungs. In der gibt es kaum Vorbilder, die dazu motivieren, sich selbst aufzuraffen. In dieser Welt gibt es nur drei Geschwister, mit denen man sich das Zimmer teilen muss, und weder Eltern noch Job oder Ausbildungsstelle, von denen man das Geld für ein aufregendes Freizeitleben bekommt.

"Brutstätten für kriminelle Aktivitäten"

"Hey Bürgermeister! Wir wollen ein Jugendzentrum, einen Ort, an dem wir sein dürfen und in Ruhe unsere Hausaufgabe machen können", ruft einer der Zeeburg-Jungs Annemarie zu, die mit der Kamera ein paar Bilder für die spätere Präsentation des Projektes aufnimmt. Dabei zieht er sich Baseballkappe und T-Shirt tief ins Gesicht, damit ihn niemand erkennen kann. Ghetto-Gangster-Gehabe. Aber genau das ist das Bild, das auf offizieller Seite herrscht.

Die Jugendlichen fühlen sich von der Stadtverwaltung allein gelassen - Treffpunkte für sie hat die Stadt geschlossenBild: Martin Gevonden

Und dieses Bild ist auch der Grund dafür, dass die wohl einfachste Lösung für das Problem im Osten, nämlich ein Jugendzentrum für die Rumhänger zu bauen, für die Stadt schlichtweg nicht zur Debatte steht. Als das studentische Team den Verantwortlichen sagte, die Jugendlichen bräuchten einfach einen Raum, wo sie hingehen können, brach Chaos aus: "Die ganze Stadtverwaltung stieg uns aufs Dach. Die denken eben in Schubladen und wollen außerdem kein Geld ausgeben. In deren Augen sind Jugendzentren Brutstätten für kriminelle Aktivitäten." Die Studenten standen irgendwo dazwischen: weder mit der Stadt, noch mit den Zeeburg-Jungs durften sie es sich verscherzen.

Mobiles Jugendzentrum, das niemanden stört

Ihre Lösung begeistert schließlich nicht nur die Zeeberger Jungs, sondern auch die Verantwortlichen. Die mobile Einheit, ein alter, durch Graffities und Tischkicker aufgemöbelter Wohnwagen, gewinnt bei der Präsentation im Rathaus den Preis für die beste Praxisoperation. Ein mobiles Jugendzentrum, das genauso wie die Jugendlichen immer von Ort zu Ort ziehen muss, damit es niemanden stört.

"Das ist ganz klar auch ein kulturelles Symbol, es erinnert an Gypsies, an Nomaden", erklärt ein Mitglied der Gruppe. "Wir wollten damit auch einen Statement abgeben: Ein dreckiger Wohnwagen? Kommt schon, ist das alles, was ihr den Jungs bieten könnt?"

Studenten haben Stadtverwaltung aufgemischt

Immerhin gibt es nun die Zusage, das Geld und ein Team, den ganzen Sommer rund um den Wohnwagen ein Freizeitprogamm zu veranstalten. Auch die anderen Studententeams haben die Stadtverwaltung aufgemischt: Kulturevents statt Leere unter Autobahnbrücken, Tandempartner für marginalisierte muslimische Mädchen.

Auch wenn manche Lösungsvorschläge so einfach scheinen, es braucht eben manchmal ein bisschen frischen Wind in den Gängen der Stadtverwaltung. Erik Gerritsen, Gesandter der Stadt Amsterdam, ist begeistert von den letzten Monaten: "Wir als Stadt mussten auch lernen, wie man mit diesen sehr engagierten, aber manchmal auch naiven Studenten umgehen kann." Das habe man aber konstruktiv genutzt und neue Ideen und Möglichkeiten entwickelt. Die zweite Runde "Social Engineering" ist jedenfalls für 2009 fest eingeplant.

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