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Literatur

Wolfgang Koeppen: "Der Tod in Rom"

Sabine Peschel
9. Oktober 2018

Rom im Sommer 1954. Die Gespenster erwachen. Der untergetauchte SS-General Judejahn trifft auf seine entzweite Familie. Koeppen beschreibt – ironisch umhaucht – den deutschen Geist der Nachkriegs-Ära.

Wolfgang Koeppen, Schriftsteller 1971
Bild: picture-alliance/dpa/R. Scheidemann

Rom in den frühen Fünfzigerjahren. Die ersten Touristen durchstreifen die Stadt, in den Cafés und Restaurants amüsiert sich die Bohème, in den Nachtbars die Szene der Transvestiten und Homosexuellen. 

Hier trifft sich eine längst entzweite deutsche Familie: ein in einem afrikanischen Wüstenstaat untergetauchter SS-General mit dem böse-ironischen Namen "Judejahn", seine dem "Führer" Adolf Hitler und dem NS-Staat schmerzlich nachtrauernde Gattin, der deutschnationale Schwager und dessen BRD-deutsch-angepasster Juristensohn. 

Unselige Mentalität der Nachkriegsjahre

Anlass für die denkwürdige Familienreise sind besondere Ereignisse, die den beiden erwachsenen Söhnen des getrennten Nazipaares in Rom bevorstehen. Missliebige Ereignisse, aus der Sicht der Älteren: Sohn Adolf erwartet in Rom die Priesterweihe. Er hat sich "ans Kreuz gekettet", wie seine Mutter es nennt . Siegfried hat sich in eine Künstlerexistenz geflüchtet. Ein berühmtes Orchester wird sein von der Zwölftonmusik inspiriertes Werk aufführen, eine "in Siegfrieds Jugendreich unerwünschten Kompositionsweise".

"Der Tod in Rom" von Wolfgang Koeppen

02:11

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Wolfgang Koeppen veröffentlichte in den frühen Fünfzigerjahren in kurzer Abfolge gleich drei Erzählwerke, in denen er die Mentalität der unmittelbaren Nachkriegsjahre und die gesellschaftlichen Fehlentwicklungen der 1949 neu gegründeten Bundesrepublik ins Visier nahm. "Der Tod in Rom" erschien 1954, keine 200 Seiten lang, aber von komprimierter erzählerischer Dichte. 

Figuren als Prototypen

Jede der Figuren ist eine Art deutscher Prototyp, und jede wird im Roman durch ihre eigene, sich selbst reflektierende Perspektive dargestellt. Der brutale Militärgeneral Judejahn erinnert sich: "Er hatte geschossen. Er hatte zur Endlösung beigetragen. Er hatte einen Führerbefehl erfüllt. Das war gut. Und nun musste er sich verstecken. Es war noch nicht der Endsieg."

Die verblendete Nationalsozialistin Eva, die "deutsche Frau", ist in ihrem Vergangenheitswahn gefangen: "Es quälte sie, ihn zu sehen, ihn zu sehen in der gehaßten Uniform einer Macht, die nach ihrer Überzeugung im schändlichen Bündnis mit jüdischer Unterwelt, überseeischen Plutokraten und bolschewistischen Bestien dazu beigetragen hatte, den erhabenen Traum vom Reich, von arischer Weltbeglückung und germanischem Herrentum zu stören, vielleicht für immer zu vernichten."

Der verstörte, angehende Priester, der karrieresüchtige Jurist. Und der Komponist Siegfried, der sich von der Last seiner strammen Nazi-Erziehung durch die Suche nach der Wahrheit in der Kunst befreien will.  

Die Cafés und Restaurants gehörten in den Fünfzigerjahren zum Flair der italienischen HauptstadtBild: Imago/Cola Images

Die Suche nach dem Neuen

Diesen Mitgliedern einer unseligen deutschen Familie stehen in Koeppens Roman zwei Lichtgestalten gegenüber: ein aus Nazideutschland emigrierter Dirigent und seine jüdische Frau. Es war die Empfehlung des Dirgenten und seines Idols Kürenberg, die Siegfried zur avantgardistischen Zwölftonmusik getrieben hat. 

"Experimentieren Sie mit allem, mit allem Glanz und allem Schmutz unserer Welt, mit Erniedrigung und Größe - vielleicht finden Sie den neuen Klang!" Der Dirigent glaubt an eine neue Zeit, eine Ära, in der nicht Drill, Ideologie und Dogmen das Leben regieren. "In mir sind Widersprüche, und Widersprüche sind in Ihnen - das widerspricht sich nicht."

Eine Huldigung an Rom 

Die Wege all dieser Figuren kreuzen sich an zwei Tagen in den Straßen und in den Bars von Rom. Jeder erlebt die Stadt anders. Siegfried liebt sie als die Stadt der alten Götter und der jungen Verruchten:

"..., ich liebe die homosexuellen Poeten in ihren engen Röhrenhosen und spitzen dünnsohligen Schuhen, die von den Stiftungen leben und ihre klingenden Armbänder kokett aus den überlangen Manschetten ihrer Hemden schütteln, ..."

Der SS-General Judejahn sucht in Rom das faschistische Erbe, meint überall Mussolini-Bauten zu erkennen, wo keine sind. (Homo)erotische Begegnungen entblößen währenddessen die Verstrickung von politischer und sexueller Gewalt. Nichts endet gut, der Nazi, der seinen Tod nahen fühlt, erschießt im Wahn, seine "Arbeit" vollenden zu müssen, die jüdische Frau des Dirigenten Kürenberg.

Rom in den 1950er JahrenBild: Imago/Cola Images

Ein Roman als tiefenpsychologische Analyse

Wolfgang Koppen erzählt keine fortlaufende Geschichte, sondern er erschließt Beobachtungen und Positionen durch einen immer wieder wechselnden Perspektivwechsel seiner Romanfiguren. Die zeitliche und räumliche Enge, in der er seine Protagonisten aufeinandertreffen lässt, wirkt völlig konstruiert. Der Roman erhält dadurch etwas Hyper-Reales: angelegt wie eine Fallstudie und eine historische Analyse mit sozialpsychologischer Tiefenschärfe. 

Einen roten Faden gibt es nur durch die im Roman immer wieder aufgenommene Ich-Perspektive von Sohn Siegfried, die einen Einblick in seine Psyche erlaubt. Er ist der Hoffnungsträger des Romans: Der Musiker überwindet am Ende seine Identitätsprobleme. 

Die neue Generation, die er verkörpert, trägt zwar noch schwer an der Nazi-Vergangenheit, sie hat den Nationalsozialismus, den faschistischen Größenwahn und Militarismus aber überwunden. Die Fragen, die Koeppen vor über sechs Jahrzehnten mit metaphorischer Kraft an die deutsche Nachkriegs-Gesellschaft stellte, sind 2018 auch im wiedervereinigten Deutschland wieder aktuell. 
 

Wolfgang Koeppen: "Der Tod in Rom" (1954), Suhrkamp Verlag

Wolfgang Koeppen wurde 1906 in Greifswald geboren. Als Jugendlicher genoss er keine gute Schulbildung und ging früh von der Schule ab. Er schlug sich mit Gelegenheitsarbeiten durch, bis er in den 1920er Jahren erst in Würzburg, dann in Berlin in die Literatur- und Theaterszene geriet. 1932 wurde er Redakteur bei der linksliberalen Tageszeitung "Berliner Börsen-Courier", 1935 veröffentlichte er seinen ersten, stark autobiografischen Roman "Eine unglückliche Liebe". Nach seinen drei Romanen in den frühen Fünfzigerjahren schrieb er nur noch Reisebücher und Berichte über ausgedehnte Reisen in die USA und die UdSSR. Er starb im Alter von 90 Jahren in München.

 

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