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Niedecken: "Es geht um Integration"

Jürgen Brendel6. Juni 2014

Am 9. Juni 2004 explodierte in der Kölner Keupstraße eine Bombe. Das Attentat war gegen die dort ansässige türkische Gemeinde gerichtet. Beim Gedenkkonzert war die Rockband BAP dabei. Die DW sprach mit dem Frontmann.

Musiker und Sänger Wolfgang Niedecken Foto: Horst Galuschka
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Herr Niedecken, zehn Jahre nach dem Anschlag werden Sie mit Ihrer Band BAP beim Gedenkkonzert am 9. Juni dabei sein. Wann haben Sie erstmals davon erfahren?

Wolfgang Niedecken: Ich bin relativ früh gefragt worden, ob wir da mitmachen würden - und was türkische Mitbewohner betrifft, braucht man mich nicht zum Jagen zu tragen. Ich habe in den Anfangsjahren von BAP in einem Haus mit Türken, Griechen und Italienern gewohnt und war in allen Familien willkommen. Für mich ist das auch eine Herzensangelegenheit. Wenn man mich nicht gefragt hätte, hätte ich wahrscheinlich gesagt, warum fragt mich denn keiner, und hätte mich beworben – also ich will das auch.

Was können Sie als Künstler, als Musiker auf der Bühne bei den Leuten erreichen?

Ich sehe uns weniger als Politiker. Ich sehe, dass es unsere Aufgabe ist, Gefühle zu artikulieren, womöglich auch zum Nachdenken aufzufordern, aber auch zu feiern. Wir sollten uns nicht anmaßen, politische Probleme zu lösen. Dafür haben wir unsere Demokratie, unsere Volksvertreter, die für uns in unserem Namen Sachen regeln sollen. Aber natürlich kann ich mich ab und zu einmal melden und sagen: 'Moment, habt Ihr eigentlich noch daran gedacht, eine menschliche Bundesrepublik zu gewährleisten?' Es geht doch um Integration, und daran würde ich gerne erinnern.

Wie könnte das konkret aussehen?

Das ist ja oft schon wie ein chemischer Prozess, dass Leute auf einmal merken, hey, damit kann ich ja etwas anfangen. Auch wenn es nur im ganz Kleinen ist, dass jemand dann in der Keupstraße einkaufen geht, der sich normalerweise nie nach Mühlheim (Anmerkung der Red: Kölner Stadtteil) verirrt oder der nicht mehr die Nase rümpft, wenn es irgendwo nach einem türkischen Gericht riecht - eben, dass man einfach offener wird.

Was offensichtlich nicht so offen war, waren die Ermittlungen im Falle der Nagelbombe in der Keupstraße. Da ist Vieles in die falsche Richtung gelaufen…

Da muss ich mir auch an die eigene Nase fassen, dass ich es sieben Jahre lang für möglich gehalten habe, dass es das Problem der türkischen Gemeinde ist, wenn da jemand ein Nagelbombenattentat begeht. Ich habe ja selber nicht daran gedacht, dass das möglicherweise ein rechtsradikaler Anschlag war. Und das ist schon bitter. Wie mögen sich die Leute gefühlt haben, rechtschaffende Leute, die sich nichts zu schulden haben kommen lassen und trotzdem immer in dem Verdacht standen, sie seien selber schuld. Im Nachhinein fällt es einem wie Schuppen von den Augen, dass man da auf dem rechten Auge blind war.

2013 erhielt Niedecken von Bundespräsident Joachim Gauck den BundesverdienstordenBild: picture-alliance/dpa

Kann man als Liedermacher zum Beispiel mit einem Protestsong dagegen halten?

Beim Thema Protestsongs gehen mir immer die Nackenhaare nach oben. Selbst Bob Dylan hat – wenn es hoch kommt – nur fünf Protestsongs geschrieben, und jeder denkt, Bob Dylan wäre der großartige Protestsänger. Das ist er gar nicht. Es sollten immer Geschichten sein, bei denen man es den Leuten überlässt, welche Gedanken sie sich dabei machen. Die Leute sind nämlich eigentlich empathiefähig.

Es gab in Ihrem Leben einen tiefen Einschnitt durch einen Schlaganfall. Hat sich Ihre Haltung dadurch verändert?

Ich bin entschiedener geworden, das habe ich gemerkt. Ich bin entschlussfreudiger geworden, was nicht immer bequem ist. Vor dem Schlaganfall war ich jemand, der vielleicht auch gelassener war, nach dem Motto: 'Das wird sich schon irgendwie regeln, lass mal.' Und dann habe ich gemerkt, dass wir endlich sind. Das wusste ich zwar, aber ich habe das nie empfunden. Mittlerweile empfinde ich das auch und denke, ich habe keine Zeit zu verlieren. Wenn ich eine klare Meinung habe, sage ich die auch. Das mag zwar die eine oder andere Konsequenz haben, die nicht so angenehm ist, aber dann habe ich es geregelt.

Das Gespräch mit Wolfgang Niedecken führte Jürgen Brendel.

Wolfgang Niedecken, Jahrgang 1951, ist Songschreiber und Sänger der Kölner Band BAP, die es seit 1976 gibt. Nach einigen Umbesetzungen ist er heute das einzig verbliebene Gründungsmitglied. Er ist politisch engagiert - zum Beispiel für "Rebound", ein Hilfsprogramm für Kindersoldaten in Uganda, und Träger des Bundesverdienstkreuzes. Zurzeit ist er mit der Band unplugged auf der "BAP zieht den Stecker"-Tour.

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