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Politik

"Die EU braucht einen Kosovo-Sonderbeauftragten"

8. Dezember 2017

Um den Konflikt zwischen Serbien und Kosovo zu lösen, darf es in den Gesprächen keine Tabu-Themen geben, sagt Wolfgang Petritsch. Brüssel soll das Verhältnis des Westbalkan zur EU als eines seiner Prioritäten sehen.

Balkan - Konflikt zwischen Kosovo und Serbien - KSF
Bild: Getty Images/AFP/A. Nimani

DW: Herr Petritsch, Sie sagen, es gibt jetzt eine historische Chance zur Lösung der Kosovofrage. Warum?

Wolfgang Petritsch: Ich glaube, dass der serbische Präsident Vucic mit der Erklärung in Richtung Kosovo jetzt tatsächlich bereit ist, die Frage anzugehen und zu lösen. Es besteht tatsächlich so etwas wie eine historische Chance, den letzten historischen Konflikt auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien zu lösen, nämlich die Beziehungen zwischen Serben und Albanern im Kosovo. Und das muss jetzt erkannt werden von der EU als die wirklich große Chance.

Was konkret erwarten Sie von Brüssel?

Wolfgang Petritsch, österreichischer Diplomat und Politiker, im DW-GesprächBild: DW/A. Feilcke

Man sollte mit einem neuen politischen Prozess beginnen und die Routine überwinden, die sich in den Dialog zwischen Belgrad und Pristina eingeschlichen hat. Für die nächsten zwei Jahre sollte der Fokus auf die Lösung dieses Problems gerichtet sein. Hier müsste man vielleicht wirklich auch ein politisches Mandat mit einer Persönlichkeit benennen, die sich dort sehr gut auskennt. Das soll dann aber auch mit dem klaren Ziel verbunden werden, dieses Problem einer Lösung näher zu bringen. Man muss sich auch überlegen, was ist eigentlich drin für Serbien, womit könnte man Serbien motivieren, um hier diesen historischen Schritt tatsächlich umzusetzen.

Sie sagten, Brüssel müsse sich bewegen, aber was - außer einem Statement von Vucic - ist ihrer Meinung nach aus serbischer Sicht tatsächlich auf dem Tisch?

Da sind zwei Prozesse, die er bereits angedeutet hat: zum einen die Fortsetzung und der möglichst rasche Abschluss des Dialogs zwischen Belgrad und Pristina. Da geht es sehr konkret um die institutionellen Rechte der Serben im Kosovo. Und der zweite, sehr wichtige Schritt ist der innerserbische Dialog. Ich glaube, das ist eine wichtige Vorbereitung auf das, was dann tatsächlich Stabilität in die Region bringen könne. Wichtig wäre, dass man sich in Serbien nicht nur von außen gezwungen sieht, etwas anzuerkennen, sondern dass man auch den internen Dialog in dieser Art und Weise führt, um es dann tatsächlich zu einer von beiden Seiten angenommenen Lösung zu kommen. Das riesengroße Problem besteht natürlich immer noch darin, dass viele Serben und die serbische Politik sich schwer überwinden können, zu sagen, 'Kosovo ist verloren', was ja Vucic de facto schon gemacht hat.

Aber dafür muss man den Serben natürlich auch etwas anbieten. Das muss reichen von einer wirklich guten Absicherung der ethnischen Minderheiten bis hin eventuell zu einer bilateralen Lösung, auf die sich beide - Belgrad und Pristina - einigen können, wenn es um gewisse Grenzkorrekturen zum Beispiel geht. Serbien hat bereits die EU-Verhandlungen relativ weit vorangetrieben. Man müsste den Menschen in Serbien viel klarer und deutlicher sagen, dass die Überwindung dieser Hürde auch bedeuten würde, dass es in einigen Jahren zu einem tatsächlichen Beitritt kommen könnte. Und das soll parallel zu dem internen Dialog über die Kosovofrage geschehen. Bis 2019, wenn dann die neue Administration in Brüssel antritt, soll man die offenen Fragen - und dazu gehört in erste Linie natürlich Kosovo - lösen oder zumindest einer Lösung näherbringen. Das Ziel wäre, dass 2019 die neue EU-Verwaltung schon einen Plan für den Beitritt der Westbalkan-Staaten zur EU parat hat, der dann innerhalb relativ kurzer Zeit tatsächlich auch umgesetzt werden sollte.

Im Paket meinen Sie …

Das muss man dann sehen. Das schwächste Glied in der Westbalkan-Kette ist Bosnien. Da muss sich auch einiges bewegen. Aber auch da bin ich der Meinung, dass man relativ rasch mit Verhandlungen beginnen sollte, wo man dann unter Umständen bosnienspezifisch jene Probleme, die ungelöst sind, an die Spitze stellt und sie dann abzuarbeiten beginnt. Das soll einen Beitritt ermöglichen. Das soll schon so etwas wie ein regionsinterner Wettkampf sein: Wer kommt als erster über die Ziellinie. Man weiß ja ganz genau, worum es geht: in der Frage Serbien geht es um die Lösung des Kosovoproblems, in der Frage Bosnien-Herzegowina geht es um die Beseitigung der staatlichen Dysfunktionalität, die dem Dayton-Vertrag zugrunde liegt. Die Herausforderungnen sind klar identifiziert und darauf müsste der jeweilige Prozess abgestimmt werden.

Dialog zwischen Kosovo und Serbien unter der EU-Schirmherrschaft: Hashim Thaci (l), Federica Mogherini (m) und Aleksandar Vucic (r) in BrüsselBild: Europäische Kommission

Was raten Sie der serbischen Politik, um die Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit gegenüber anderen Gesprächspartnern deutlich zu machen? Es gibt ja großes Misstrauen gegenüber der Führung in Belgrad, besonders bezüglich der Medienfreiheit, Rechtsstatlichkeit usw ….

Serbien hat zweifellos noch sehr große Probleme, aber ich glaube, das muss man auch im Zusammenhang mit dem viel größeren Problem der ungelösten Kosovofrage sehen. Andererseits aber hat Vucic sowohl in Berlin, als auch in anderen europäischen Hauptstädten doch ziemlich großes Vertrauen aufgebaut, nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage 2015/2016. So hat er sich als jemand positioniert, mit dem man tatsächlich auch schwierige Fragen angehen kann. Ich glaube, das ist schon auch ein gewisser Vertrauensvorschuss, den man gerade der serbischen Regierung geben sollte, ohne dass man jetzt übersieht, dass es zweifellos auch Probleme gibt. Aber ich bin ziemlich optimistisch, dass all diese Fragen gelöst werden können, sobald einerseits Brüssel einen ganz klaren Fahrplan Richtung EU-Beitritt vorlegt und andererseits die Probleme mit Prishtina gelöst werden.

Was ist Ihr Rat an die kosovarische Politik?

Kosovo ist ein politisch zutiefst gespaltenes Land. Es ist ein schwacher Staat am Rande des Kollabierens könnte man sagen -  gerade im Vergleich zu Serbien, das sich wirtschaftlich und insgesamt sehr stark entwickelt hat. Von Prishtina muss man natürlich auch schon verlangen, über den eigenen Schatten zu springen. Die Aufgabe besteht darin, möglichst rasch der serbischen Community im Kosovo entgegen zu kommen. Sie haben schon vor einigen Jahren unterschrieben, dass es dort eine Assoziation für die serbischen Mehrheitsgemeinden geben soll. Das muss jetzt endlich umgesetzt werden. Ich glaube, das ist jetzt auch die Bringschuld Prishtinas.

Wie sehen Sie die Zeitachse?

Ich glaube, dass dann, wenn die neue EU-Verwaltung antritt, also im Jahr 2019, der Beitritt der Westbalkan-Staaten - ob einiger oder aller muss sich dann herausstellen - ganz oben auf der Prioritätenliste stehen muss.

Welche Rolle spielt für Sie Tirana?

Der albanische Premierminister ist offensichtlich daran interessiert, dass es zu einer Lösung kommt. Er hat ein sehr gutes Verhältnis zu Vucic - das halte ich schon einmal für sehr, sehr wichtig, das ist ja eher neu. Albanien sollte sich jetzt nicht nur einseitig für den Kosovo einsetzen. Ich glaube, dass es von großem Vorteil wäre, wenn sich Belgrad und Tirana tatsächlich verständigen könnten – nicht über die Köpfe anderer hinweg, sondern als motivierende Kraft. Da könnte Albanien eine wichtige Rolle spielen.

Der österreichische Diplomat und Sozialdemokrat Wolfgang Petritsch war von 1999 bis 2002 Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina. In dieser Funktion leitete er die Umsetzung des am 14. Dezember 1995 unterzeichneten Friedensvertrages von Dayton. Davor war er während seiner Zeit als österreichischer Botschafter in Belgrad (1997 bis 1999) EU-Sonderbeauftragter für Kosovo. Als solcher war er 1999 EU-Chefverhandler bei den Friedensverhandlungen von Rambouillet und Paris.

Das Gespräch führte Adelheid Feilcke.