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Was ist Kultur? Rein Wolfs im Interview

Jochen Kürten29. Dezember 2013

Die Definition von Kultur hat sich in den letzten Jahren verschoben. Rein Wolfs, Intendant der Bundeskunsthalle in Bonn, spricht im DW-Interview über Chancen und Risiken eines erweiterten Kulturbegriffs.

Intendant der Bundeskunsthalle, Rein Wolfs (Bild: Bundeskunsthalle)
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Es gibt ja seit Jahren eine Diskussion über den sogenannten "erweiterten Kulturbegriff". Vor diesem Hintergrund - was verstehen Sie unter Kultur?

Rein Wolfs: Der Kulturbegriff ist heute viel weiter gefasst und breiter, als er es einmal war. Wir fassen ganz viel unter diesen Begriff. Wir denken den Begriff in einem historischen Sinne, wir denken ihn im kontemporären Sinne, wir denken ihn auch in mentalitätshistorischer Hinsicht. Wir denken an fremde Kulturen, an eigene Kulturen. Der Begriff Kultur ist ein Sammelsurium mit jeder Menge Möglichkeiten. Wir sind ein Haus, in dem nicht nur Kunstausstellungen gezeigt werden, sondern auch kulturhistorische und wissenschaftliche Ausstellungen. Wir können auch Ausstellungen zeigen, die auf einem breiten Kulturbegriff aufbauen, Modeausstellungen, Architekturausstellungen. Und wir können auch die Kulturen ferner Länder zeigen

Wo sehen Sie denn überhaupt noch Begrenzungen?

Der Begriff Kultur ist ein Begriff, der fast nicht mehr sinnvoll zu benutzen ist heutzutage, weil man darunter fast alles subsumieren kann. Wir reden ja auch zum Beispiel von kulinarischer Kultur. Der Begriff Kultur ist so groß, wie die Welt groß ist. Und wir als Bundeskunsthalle müssen und möchten dem auch entsprechen. Das heißt nicht, dass wir einen Freibrief haben, alles zu machen und alles unter Kultur zu scharen.


Der Kulturbegriff darf nicht verwässert werden

Wir sind natürlich auch immer mit qualitativen Fragestellungen beschäftigt. Man muss von einer bestimmten Qualität ausgehen und von einem gewissen Niveau, von einem gewissen Level. Wir können es uns als Bundeskunsthalle auch nicht erlauben, zum Beispiel sehr populistisch zu werden und in diesem Sinne den Begriff Kultur zu verwässern.

Was meinen Sie damit genau?

Ich würde die Breite des Kulturbegriffs als Chance und als Risiko sehen. Als Chance, damit möglichst viele Menschen teilhaben und ein Verständnis entwickeln können für Bereiche, wo sie mittendrin sind im kulturellen Leben. Da sind sie zum Beispiel auch schon, wenn sie sich auf irgendeine intensive Art und Weise mit Mode beschäftigen. Es gibt heutzutage ganz viele verschiedene Möglichkeiten, um sich mit kulturellen Dingen, Gegenständen und kulturellen Welten zu beschäftigen

Auf der anderen Seite ist die Gefahr der Verwässerung da. Es kann ein Freibrief für kulturelle Institutionen sein, auf allen Ebenen wirksam zu werden. Wir müssen Schutzwälle um das bauen, was von gewissen Seiten als elitäre Kultur und als Hochkultur verstanden wird. Wir leben in einer Zeit, in der Hochkultur ganz leicht angegriffen wird, weil sie zu elitär sein könnte, weil sie für zu Wenige gemacht sein könnte oder von zu Wenigen gemacht sein könnte. Wir müssen diesem Begriff einen Freiraum einräumen und ihn schützen. Wir müssen der Hochkultur auch die Möglichkeit und die Plattform bieten, wahrgenommen zu werden.

Zentrales Haus für Kunst und Kultur in Bonn: die BundeskunshalleBild: picture-alliance/dpa


U- und E-Kultur

Ist diese Unterscheidung zwischen U- und E-Kultur, zwischen Unterhaltungs- und ernster Kultur, eigentlich etwas spezifisch Deutsches?

In Deutschland ist die Trennung größer als im angelsächsischen Raum. Es ist bezeichnend, dass man in Deutschland auch von E- und von U-Kultur spricht und dass dieses E für Ernst steht, und dass es auch für Seriosität steht. Ich werte das auch besonders. Ich finde, dass in Deutschland immer noch ein ernsthafter Umgang - auch auf breiter Ebene - mit Kultur gepflegt wird. Ich finde auch, dass in Deutschland auch auf politischer Ebene ein ziemlich ernsthafter Umgang mit dem Kulturbegriff gepflegt wird. Das ist in angelsächsischen Ländern viel weniger der Fall. Schauen wir zum Beispiel auf die USA, wo der ganze Kulturbereich privatisiert worden ist oder schon immer privat war. Und wo es deshalb viel einfacher ist, als Politiker sich gar nicht damit zu beschäftigen und damit auch aus der Verantwortung heraus zu sein.

Sie bewerten das also positiv, den Umgang mit der Kultur in Deutschland?

Kunst trifft Geschichte: Die laufende Ausstellung zum Ausbruch des 1. Weltkriegs: "1914 - Die Avantgarden im Kampf"Bild: Bundeskunsthalle

Ja, ich bewerte das positiv! Ich habe vor kurzem noch die Zustände in meiner Heimat, in den Niederlanden, kritisiert. In Holland wurde viel privatisiert. Früher war ja alles in öffentlicher Hand. Man sieht heutzutage, dass in den Aufsichtsräten (von Museen etc., Anm.d.Red.) gar keine Politiker mehr vertreten sind. Und ein Politiker, der die gesamte Verantwortung abgegeben hat, ist kein engagierter Politiker mehr. Wenn es um Kultur geht, kann er viel kühler und ohne Mitgefühl die Finanzierung solcher Einrichtungen kürzen oder sogar ganz streichen. Ich denke, solange Politiker in der Verantwortung sind und in den Aufsichtsgremien sitzen und Verantwortung tragen, ist damit auch die Kontinuität der Kultur gesichert.

Sie sind Niederländer und Intendant der deutschen Kunst- und Ausstellungshalle. Hat man da als Ausländer einen anderen Blick?

Ich denke, dass man immer einen anderen Blick hat, wenn man aus einer anderen Kultur kommt. Im Übrigen stammen vier der bisherigen fünf Intendanten aus dem Ausland. Es gibt einem die Möglichkeit, vielleicht ein bisschen distanzierter auf das Land zu schauen und dadurch einen etwas objektiveren Blick auf das Ganze zu gewinnen.

Wolfs

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Nun hat man gerade doch wieder Abstand davon genommen, Kultur in Deutschland im Grundgesetz Staatsziel zu verankern. Wie denken Sie darüber?

Wenn man die Kultur ganz klar in einem Koalitionsvertrag verankern kann und damit auch eine Planungssicherheit erreichen kann, dann ist das natürlich ganz wichtig und gut. Ob man Kultur steuern kann über solche Verträge, das ist eine andere Frage. Da muss man ein bisschen skeptischer sein und sich auch fragen, ob man Kultur zu stark steuern will. Da haben wir in den Vergangenheit Konzepte gesehen, bei denen wir jetzt glücklich sind, dass sie sich nicht durchgesetzt haben. Staatsgesteuerte Kultur, das ist natürlich etwas, was uns befremdet und bei dem wir natürlich weniger positive Gedanken haben. Aber eine gewisse Festlegung von Verantwortung in einem sehr breiten Sinne, damit es viel Spielraum gibt, das halte ich für sehr wichtig und interessant und auch zukunftsträchtig.

Seit März 2013 ist der Niederländer Rein Wolfs Intendant der Bundeskunsthalle in Bonn. Zuvor war der 1960 in Hoorn geborene Wolfs mehrere Jahre Leiter der Kunsthalle in Kassel. Der studierte Kunsthistoriker hatte sich zuvor auch einen Namen als Ausstellungskurator gemacht. So betreute Rein Wolfs unter anderem den niederländischen Pavillon der 50. Biennale in Venedig.

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