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PolitikMarokko

Gen-Z-Proteste - was ist auf Marokkos Straßen los?

Mohamed Moustaid
3. Oktober 2025

Seit einer Woche demonstrieren junge Leute in Marokkos Städten. Vor wenigen Tagen kam es dabei zu Gewaltausbrüchen, zwei Menschen starben. Wer steckt hinter den Protesten und wie lauten ihre Forderungen?

Demonstrierende in Marokkos Hauptstadt Rabat
Seit einer Woche demonstrieren Angehörige der Generation Z täglich in MarokkoBild: Abdel Majid Bziouat/AFP/Getty Images

In den Straßen der marokkanischen Hauptstadt Rabat ist es seit vergangener Woche ungewöhnlich ruhig. Am Abend jedoch wird das Stadtzentrum zum Schauplatz von Demonstrationen, die von einem anonymen Kollektiv mit dem Namen Gen Z 212 angeführt werden.

Gen Z, das gibt einen Hinweis auf das Alter der Demonstrierenden, mehrheitlich Teenager oder junge Menschen in ihren Zwanzigern. Die Zahl 212 steht für die Ländervorwahl Marokkos.

Kleinere Proteste begannen am 27. September, doch innerhalb weniger Tage ergriffen sie die Arbeiterviertel von Rabat, dann weitere Großstädte, darunter Casablanca und Agadir, und schließlich auch kleinere Städte.

Seit einigen Tagen werden die Proteste gewalttätiger. Dem Innenminister Marokkos zufolge wurden zu Beginn der Woche mehr als 400 Menschen verhaftet, 263 Sicherheitsbeamte verletzt und 142 Fahrzeuge der Sicherheitskräfte beschädigt. Außerdem seien 20 Privatfahrzeuge beschädigt und 23 Zivilisten verletzt worden, so das Ministerium. Bilder zeigen Demonstrierende, die marokkanische Sicherheitskräfte provozieren, Autos und Geschäfte in Brand setzen, Fensterscheiben einschlagen und Steine werfen.

Laut der staatlichen marokkanischen Nachrichtenagentur starben am 1. Oktober zwei Menschen, nachdem die Polizei in der südmarokkanischen Stadt Lqliaa, eigenen Angaben zufolge in Notwehr, auf die Demonstrierenden geschossen hatte.

Was hat die Proteste in Marokko ausgelöst?

Vor etwa einem Monat rief die Gruppe Gen Z 212 auf ihrem gleichnamigen Server auf der Plattform Discord zu Protesten auf. Sie forderte junge Menschen auf, am 27. und 28. September für ihr Recht auf ein besseres Gesundheits- und Bildungssystem und gegen verfehlte politische Prioritäten zu protestieren.

Riesige Summen öffentlicher Gelder sind in Marokko in die Errichtung von Fußballstadien geflossen, die für verschiedene Turniere genutzt werden sollen, darunter den Afrika-Cup 2026 und die FIFA Weltmeisterschaft 2030. Schulen und Krankenhäuser bleiben dagegen unterfinanziert.

Mitte September, in etwa zu der Zeit, als Gen Z 212 ihren Discord-Server gründete, war es zu Protesten vor einem Regionalkrankenhaus in Agadir gekommen. Menschenrechtsgruppen und Menschen vor Ort hatten die Proteste organisiert, nachdem acht Frauen - darunter mehrere Schwangere - unter fragwürdigen Umständen zu Tode gekommen waren.

Anfangs war nicht klar, ob die Aufrufe von Gen Z 212 Gehör finden würden, doch am 27. September fanden erste kleinere Demonstrationen statt, die rasch anwuchsen. Die Gruppe beschloss daraufhin, tägliche Demonstrationen zu organisieren. Sie haben sich zu den größten Protesten gegen die marokkanische Regierung seit Jahren entwickelt.

Etwa 30 Prozent der Bevölkerung Marokkos sind zwischen 15 und 34 Jahren alt. Zwar gehört die Forderung nach Arbeit nicht zu den zentralen Forderungen von Gen Z 212, doch diese Altersgruppe ist in den Arbeitslosenzahlen überrepräsentiert: etwa 37 Prozent sind arbeitslos. In den Städten beträgt die Arbeitslosenrate sogar bis zu 48 Prozent.

Wer steht hinter Gen Z 212?

Die Gruppe sei "ein reines Produkt des Internets", sagt der marokkanische Politik-Analyst Rachid Belghiti der DW. "Sie verfügt weder über traditionelle Organisationsstrukturen noch über eine bekannte Führungsriege".

Die "Bewegung 20. Februar" war Teil des sogenannten Arabischen Frühlings, der 2011 viele arabische Länder erfassteBild: picture alliance/dpa

Das unterscheidet sie von früheren Anti-Regierungsbewegungen in Marokko, wie etwa der "Bewegung 20. Februar", so Belghiti. Sie war Teil der prodemokratischen Protestbewegungen des Arabischen Frühlings von 2011. Damals hatten die Proteste den marokkanischen König Mohammed VI. dazu veranlasst, ein Referendum über eine neue Verfassung anzukündigen.

"Die Hauptforderung der "Bewegung 20. Februar" lautete: Reform der staatlichen Strukturen, eine vollständige Gewaltenteilung und die Schaffung eines Parlaments mit echten Befugnissen" erläutert Belghiti. "Die Forderungen der Gen-Z-Bewegung dagegen sind bislang allgemeiner und durch eine gewisse politische Romantik gekennzeichnet."

Wie reagiert die marokkanische Regierung auf die Proteste der Jugend?

Zu Beginn schenkten die regierungsnahen Medien den Jugendprotesten nur wenig Aufmerksamkeit. Einige Regierungsvertreter veröffentlichten auf Facebook und Youtube Nachrichten, in denen sie die Regierung verteidigten, die Demonstrierenden kritisierten und zur Zurückhaltung aufriefen. Vereinzelt wurde sogar suggeriert, die Proteste würden von "ausländischen Akteuren" angezettelt. Doch inzwischen ist der Ton in öffentlichen Stellungnahmen deutlich milder geworden.

Anfang dieser Woche betonte die Regierung öffentlich, dass sie "nach Prüfung verschiedener Entwicklungen im Zusammenhang mit jugendlichen Ausdrucksformen im elektronischen und öffentlichen Raum" den gesellschaftlichen Forderungen Gehör schenke und sie verstehe. Der Weg nach vorne müsse jedoch auf einem Dialog aufbauen. Man sei sich der Probleme im Gesundheitssystem bewusst und arbeite an weiteren Reformen zur Stärkung der Jugend.

Nach Gewaltausbrüchen riefen die Organisatoren von GenZ 212 alle Teilnehmenden dazu auf, friedlich zu bleibenBild: Abdel Majid Bziouat/AFP/Getty Images

Fatima-Zahra Mansouri, marokkanische Wohnungsbauministerin und Bürgermeisterin von Marrakesch, beschrieb die Proteste als Zeichen "demokratischer Lebendigkeit". "Wir haben keine Angst vor der Jugend", sagte sie zu Beginn der Woche. "Proteste sind legitim, aber wir hoffen, dass sie im Rahmen des Gesetzes bleiben und so einen Dialog ermöglichen."

Während einer Live-Übertragung aus dem marokkanischen Parlament räumte Gesundheitsminister Amin Tehraoui ein, dass es Engpässe im nationalen Gesundheitssystem gebe. Zuvor hatte er den Leiter des Krankenhauses in Agadir entlassen, an dessen Zuständen sich die Protesten Anfang September entzündet hatten.

Auch die Oppositionsparteien fordern, dass die Regierung auf die Forderungen der Demonstrierenden eingehen solle. Einige Oppositionspolitiker sind sogar der Meinung, die Regierung sollte aufgrund der Proteste zurücktreten.

Eine prominente Stimme hat sich bislang noch nicht zu Wort gemeldet: der Millionär und Premierminister des Landes, Aziz Akhannouch. Damit hat er sich in den sozialen Medien viel Spott und Kritik eingehandelt. In den sozialen Medien mehren sich auch die Rufe, König Mohammed VI. solle angesichts einer als unfähig empfundenen Regierung eingreifen.

Marokko ist eine konstitutionelle Monarchie. Das Parlament wird vom Volk gewählt. In Wahrheit liegt die politische und wirtschaftliche Macht jedoch in den Händen des Monarchen, der seit mehr als 22 Jahren auf dem Thron sitzt. Die Aktivisten von Gen Z 212 betonen, dass sie es nicht auf dieses System abgesehen haben. "Uns geht es nur um diese Regierung und ihre Politik", versichern sie in einer Erklärung. "Die Kritik an der Situation sollte nicht mit einer Ablehnung der Nation verwechselt werden."

Wie geht es weiter in Marokko?

Analyst Belghiti ist überzeugt, dass die Regierung weiterhin die Sicherheitskräfte einsetzen wird, um sicherzustellen, dass die Proteste nicht außer Kontrolle geraten. "Das ist die einfache Antwort. Eine Antwort, die den Staat und seine Politik in seiner aktuellen Form erhält."

Das ändere jedoch nichts an den Umständen, gegen die die jungen Menschen protestierten, fügt er hinzu. Das Bildungs- und das Gesundheitssystem in Marokko litten unter erheblichen strukturellen Problemen. Probleme, die nicht einfach zu lösen seien und die profitorientierte Politiker möglicherweise auch nicht lösen wollten, meint er.

Sollten die Proteste der Jugendlichen anhalten oder sogar größer werden, könnte Premierminister Akhannouch aus dem Amt gedrängt werden, vermutet Belghiti. Im Moment jedoch sei die Situation noch offen. Einer Einschätzung der sich auch weitere von der DW kontaktierte Fachleute anschlossen.

Dieser Artikel erschien zunächst auf Arabisch und Englisch. Adaption: Phoenix Hanzo.

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