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Politik

"Ich bin schwul - und das ist auch gut so!"

9. Juni 2021

Vor 20 Jahren machte Klaus Wowereit als erster deutscher Spitzenpolitiker seine Homosexualität bekannt. Was hat sich seit dem Coming-out des SPD-Mannes getan?

Deutschland Wowereit hisst Regenbogenfahne
Wowereit hisst 2004 als Regierender Bürgermeister Berlins zum Auftakt der schwul-lesbischen Woche die RegenbogenfahneBild: Andreas Altwein/dpa/picture-alliance

Es sei der wichtigste Satz seines Lebens gewesen, sagt der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit: "Ich bin schwul - und das ist auch gut so!" Die Nation war baff. Zum ersten Mal überhaupt hatte sich ein hochrangiger Politiker öffentlich erklärt, homosexuell zu sein. Eine Revolution, ein Fanal, eine Zeitenwende für ein damals immer noch in Teilen angestaubtes, konservatives Deutschland.

Für den Co-Vorsitzenden der SPD, Norbert Walter-Borjans, markierte der Satz seines Parteigenossen eine Zäsur, "weil man sich zu diesem Zeitpunkt noch enorm schwer getan hat, die Erkenntnis, dass es unterschiedliche Lebensformen gibt, wirklich in der Praxis zu akzeptieren", sagt er im Gespräch mit der DW.

Der Wowereit-Satz fiel am 10.Juni 2001 bei einem Sonderparteitag der Berlin-SPD. Der spätere Regierende Bürgermeister von Berlin (2001-2014) wollte bei seiner Nominierungsrede für Klarheit sorgen und seine Genossen über sein Schwulsein informieren. Wowereit habe damals, so Walter-Borjans, "Mut bewiesen" und im "positiven Sinne" etwas ausgelöst.

Offensiv gegen die Boulevardpresse

Der Halbsatz "und das ist auch gut so", der später zum geflügelten Wort wurde, sei ihm dabei nur so herausgerutscht, bekannte Wowereit später. Doch sein Coming-out sei genau so geplant gewesen. Und dass er den Satz mit fester Stimme, entschlossen und nicht etwa defensiv aussprach, war kein Zufall.

Klaus Wowereit ist am 30.6.2017 dabei, als die damalige Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (Bildmitte) ihrer Lebenspartnerin einen Heiratsantrag machtBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Die Boulevardpresse wollte - und das wusste Klaus Wowereit - eine Geschichte über die Homosexualität des Politikers veröffentlichen. Damals wäre das noch ein Skandal gewesen. Da ging er in die Offensive und nahm möglichen Gegnern damit den Wind aus den Segeln. In der Öffentlichkeit wurde Wowereits Coming-out überwiegend positiv aufgenommen.

"Don't ask, don't tell" - nicht über sexuelle Orientierung sprechen, lieber hüsteln oder tuscheln. Das war auf einmal vorbei. Für Politiker wurde es sehr viel einfacher, offen homosexuell zu leben. Längst hat sich Klaus Wowereit aus der Politik zurückgezogen.

In einem Interview mit dem "Tagesspiegel" sagte er nun rückblickend, dass er auch ein "bisschen stolz darauf sei, was das für andere bewirkt" habe. "Die Tragweite habe ich auch erst danach gespürt: welche Wellen das geschlagen hat, nicht nur in Berlin und Deutschland, sondern weltweit", so Wowereit.

Eisbrecher Wowereit

Mit dem Öffentlichmachen seiner sexuellen Orientierung hatte der SPD-Politiker eine Welle ausgelöst. Ebenfalls 2001 wurde in Hamburg Ole von Beust von der CDU zum Ersten Bürgermeister gewählt. Auch er machte kein Geheimnis mehr aus seiner Homosexualität. Später outete sich auch Guido Westerwelle. Der bereits verstorbene FDP-Politiker war der erste deutsche Außenminister, der sich offen homosexuell zeigte und dann immer wieder neben seinem Ehemann auf Fotos zu sehen war.

Der bereits verstorbene FDP-Politiker Guido Westerwelle und sein Lebenspartner Michael Mronz 2009Bild: AP

Nicht immer war das im Amt einfach, eher ein diplomatisches Vabanquespiel. Zum Beispiel, als Außenminister Westerwelle 2010 nach Saudi-Arabien reiste. Ein Land, wo Homosexuellen bis heute die Todesstrafe droht.

Für FDP-Parteichef Christian Lindner ist das Beispiel seines Amtsvorgängers Guido Westerwelle noch heute eine Art Verpflichtung für seine liberale Partei. Der Deutschen Welle antwortet er auf Anfrage: "Jeder Mensch soll seinen Lebensentwurf verwirklichen können - egal, welche sexuelle Orientierung er hat. (…) Auch für ein Engagement in der Politik gilt, dass die sexuelle Orientierung kein Nachteil sein darf."

Die Gleichstellung von Homosexuellen - ein langer Weg

Heute sind Homosexuelle in Deutschland - zumindest theoretisch, juristisch weitestgehend - heterosexuellen Paaren oder Lebensgemeinschaften gleichgestellt. Bis 1969 stand männliche Homosexualität in der Bundesrepublik generell unter Strafe. Der Ursprung war das Reichsstrafgesetzbuch von 1872. Homosexuelle wurden - nach dem entsprechenden Paragraphen - oft herabwürdigend als "175er" bezeichnet.

Erst 1994 wurde der Paragraph endgültig aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. 2001 kam die Möglichkeit einer "eingetragenen Partnerschaft" für homosexuelle Paare. Mit einigen Einschränkungen - Einkommens- und Familienrecht - waren Lebenspartnerschaften "normalen Ehen" weitestgehend gleichgestellt. Ein weiterer Schritt war 2017 die historische Bundestagsabstimmung zur "Ehe für alle". 

Kuchen nach der Hochzeit: Karl Kreil und Bodo Mende heiraten in Berlin als erstes schwules Paar am 1.Oktober 2017Bild: picture-alliance/NurPhoto/E. Contini

Vor allem bei der konservativen Union aus CDU und CSU war diese Liberalisierung höchst umstritten. Dennoch kam das Gesetz zustande, womit der Staat die volle rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften anerkennt.

Homophobie in der Politik - vorbei ist das nicht

Zwar kann sich die Mehrheit der Deutschen Umfragen zu Folge schon seit längerem vorstellen, dass das Land von einem homosexuellen Menschen regiert wird. Aber Homophobie in der Politik - die gibt es noch immer.

Jüngstes Beispiel ist ein Interview mit dem populären CDU-Politiker Friedrich Merz. Er wurde von der Bild-Zeitung im vergangenen September gefragt, ob er Vorbehalte hätte, sollte ein Homosexueller Bundeskanzler werden. Das verneinte Merz. Das gehe die Öffentlichkeit nichts an, "solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt, und solange es nicht Kinder betrifft - an der Stelle ist für mich allerdings eine absolute Grenze erreicht…" Nach Ansicht vieler Kritiker rückte Merz damit Homosexualität in die Nähe der Pädophilie.

SPD-Vizevorsitzender Kevin Kühnert, der offen homosexuell lebt, twitterte: "So laviert jemand, der nicht kaschieren kann, dass er mit der Normalisierung des Umgangs mit Homosexualität eigentlich nichts anfangen kann." Doch CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn, der der selben Partei wie Friedrich Merz angehört und der sich ebenfalls offen schwul ist, zeigte sich lediglich irritiert, aber nicht persönlich getroffen.

#entr_de: Wie fühlt sich ein Coming-out an?

07:49

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In einem Interview mit der "Zeit" hatte er aber zuvor berichtet, dass er immer noch oft wegen seiner Homosexualität verunglimpft werde. Im September hatte ein homophober Corona-Leugner Spahn als "schwule Sau" beschimpft. Homosexualität in der Politik ist auch in Deutschland also immer noch alles andere als normal. "Ich finde das traurig und will meinen Beitrag leisten, dass es sich ändert", ergänzte Spahn in dem Interview.

Der Lobbyverband LSVD (Lesben und Schwulenverband) beklagt auf Anfrage der DW, dass auch heute noch die sexuelle Orientierung von Politikern und Politikerinnen eine Rolle spiele: "Ein Coming-Out kann immer noch ein Karrierenachteil sein. Da geht es Politiker*innen nicht anders als anderen Beschäftigten", erklärt Geschäftsführer Klaus Jetz.

Und auch der SPD-Parteivorsitzende Norbert Walter-Borjans beobachtet, dass es weiterhin homophobe Ausfälle gegen Politiker gebe. "Das ist schlimm. Und ich befürchte, dass man das nicht gleich morgen wegbekommt", sagt er der DW.

Großer Respekt für Klaus Wowereit - der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-BorjansBild: Tobias Schwarz/AFP

Sein Rezept: Auf Skeptiker zugehen "und sie dafür gewinnen, zu akzeptieren, dass wir alle etwas davon haben, wenn diese Gesellschaft auch in diesem Punkt freier wird und toleranter."

Berlin: Arm, aber sexy

Übrigens: Klaus Wowereit, in Berlin kurz "Wowi" genannt, wurde nicht nur für sein Diktum zum Schwulsein bekannt. Im November 2003 sagte er über seine Heimatstadt, die er so lange regierte: "Berlin ist arm, aber sexy." Der Satz wurde zu so etwas wie einem Leitmotiv der Hauptstadt. Wieder einmal hatte Klaus Wowereit mutig den richtigen Ton getroffen. Genau wie vor 20 Jahren.