Wurde Arafat ermordet?
5. Juli 2012In Ramallah wird derzeit Jassir Arafats Mausoleum renoviert: Doch jetzt, fast acht Jahre nach dem Tod des ersten palästinensischen Präsidenten, könnte seine letzte Ruhe gestört werden. Seine Witwe Suha Arafat fordert, die sterblichen Überreste ihres Mannes, exhumieren zu lassen.
Grund dafür sind die Recherche-Ergebnisse des arabischen Fernsehsenders Al-Dschasira in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus der Schweiz. Al-Dschasira hatte beim "Institut de Radiophysique" in Lausanne eine Untersuchung von Arafats Kleidung in Auftrag gegeben. Nun haben die Experten herausgefunden, dass er mit Polonium-210 vergiftet worden sein könnte. Ein endgültiger Beweis steht aber noch aus: Aufschluss darüber kann nur eine Untersuchung seines Leichnams ergeben. 2006 war der ehemalige russische Agent Aleksandr Litwinenko nach Angaben der britischen Polizei in London mit der radioaktiven Substanz in einem Sushi-Restaurant vergiftet worden. Erst danach kam der Verdacht auf, auch bei Arafats Tod könnte Polonium im Spiel gewesen sein.
Keine zusätzliche DNA zur Verfügung
Neun Monate lang hatte Al-Dschasira recherchiert. Die Schweizer Fachleute erhielten eine Reisetasche mit persönlichen Gegenständen Arafats. Darunter waren seine Wintermütze, seine Krankenhaushaube, seine Zahnbürste und auch seine Unterwäsche. In der Dokumentation erklären die Forscher, dass Arafats Haare, aber auch noch weitere nachweisbare Körperflüssigkeiten mit auffällig erhöhten Polonium 210-Werten, wirklich von Arafat stammten. Es hätten weder Blut noch Urin-Proben für vergleichende Untersuchungen herangezogen werden können, da Arafats Proben in Paris bereits vor einigen Jahren vernichtet worden seien, heißt es. Bei dem gesamten Ärzteteam aus Tunesien und Ägypten stieß der Sender allerdings auf eine Mauer des Schweigens. Keiner der Ärzte wollte sich zu den damaligen Ereignissen äußern.
Schon kurz nach Arafats Tod waren die ersten Anschuldigungen aufgekommen, Israel stecke hinter seiner mysteriösen tödlichen Krankheit. Die Spekulationen wurden dadurch angeheizt, dass es nie eine eindeutige, offizielle Todesursache gab und Arafat plötzlich erkrankt war. Sein Zustand hatte sich in kürzester Zeit so dramatisch verschlechtert, dass er damals über Jordanien nach Frankreich ausgeflogen werden musste. In einem Militärkrankenhaus im Süden von Paris starb er am 11. November 2004 im Alter von 75 Jahren.
Spekulationen über seinen Tod
Schon damals hatte der israelische Friedensaktivist und Freund Arafats Uri Avnery vermutet, Arafat sei vergiftet worden. Diese Auffassung wird von der palästinensischen Bevölkerung weitgehend geteilt. Im Gespräch mit der Deutschen Welle sagte Avnery, er halte es für möglich, dass Israel etwas mit dem Tod Arafats zu tun haben könnte.
Der PLO-Chef war in den Jahren vor seinem Tod bei der israelischen Regierung in Ungnade gefallen. Seit 2001 wurde er mehrfach von Israel unter Hausarrest gestellt. Im Jahr 2002 zerstörte die israelische Armee einen Großteil von Arafats Hauptquartier, der Mukataa in Ramallah. Jahrelang lebte Arafat in zwei kleinen schlecht belüfteten Zimmern, die er nicht verlassen durfte. Die israelische Führung beschuldigte ihn, den gewalttätigen Aufstand gegen Israel angezettelt zu haben. Er persönlich trage die Verantwortung für die zahlreichen palästinensischen Selbstmordanschläge in Israel. Ein Jahr vor Arafats Tod hatte der damalige israelische Handelsminister Ehud Olmert gesagt, es sei eine "legitime Option", ihn zu töten. Das israelische Kabinett fasste sogar den förmlichen Beschluss, Arafat "zu entfernen", wie es damals hieß.
Aber nicht nur Israel geriet in Verdacht. Suha Arafat beschuldigte damals die Palästinenserführung, ein "Komplott" gegen ihren Mann zu planen, um sein Erbe anzutreten. Diesen Verdacht äußerte sie in der Dokumentation von Al-Dschasira nicht mehr. Stattdessen erklärte sie, Polonium sei eine Substanz, die nur in sehr fortschrittlichen Ländern existiere. Die Schweizer Forscher bestätigen dies: Das hochgiftige Polonium könne nur in Kernreaktoren hergestellt werden. Dies würde bedeuten, dass es aus einem Land kommen muss, in dem es Atomkraft gibt. "Ich muss nicht daran erinnern, wer es besitzt", sagte Frau Arafat jetzt. Die Palästinenserführung will dem Wunsch der Witwe entsprechen und die Exhumierung der Leiche Arafats veranlassen. Der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat forderte indes eine internationale Untersuchungskommission für diesen Fall.
Untersuchungen gehen weiter
Seit gut zwei Jahren sammeln Mitarbeiter der Palästinensischen Autonomiebehörde Material zum Tod von Arafats. Allerdings, so Salah Abel Shafi, Botschafter der Palästinensischen Diplomatischen Mission in Berlin, seien die technischen und medizinischen Möglichkeiten sehr begrenzt. Im Gespräch mit der Deutschen Welle sagt er außerdem, dass die Akte Arafat nie geschlossen worden sei.
Der Forscher Francois Bochud vom Institut in Lausanne erklärte sich bereit, die Untersuchung von Arafats Überresten durchzuführen. Allerdings nur, wenn auch andere Institute eingebunden würden. Nur das sei wissenschaftlich seriös. Er warnte allerdings, dass sich eventuell vorhandenes Polonium bereits in hohem Maße zersetzt haben könnte. Da der Leichnam Arafats in einem Mausoleum gelegen habe, sei er wahrscheinlich aber noch in einem guten Zustand. Uri Avnery ist dennoch pessimistisch: "Wenn Arafat wirklich vergiftet worden ist, dann werden wir nie erfahren, wer dahinter steckt."