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Gesellschaft

Kurden in Nashville: Von Trump betrogen

13. Oktober 2019

Nirgendwo in den USA leben so viele Kurden wie in Nashville, Tennessee. Und selten waren die Menschen dort so schlecht auf einen US-Präsidenten zu sprechen wie jetzt auf Donald Trump. Carla Bleiker aus Nashville.

Wandgemälde mit Basarszene in Little Kurdistan, Nashville
Bild: DW/C. Bleiker

Kurden in den USA

03:02

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Freitagmittag, kurz vor 12 Uhr. Der Ruf zum Gebet hallt durch den Vorraum des kurdischen Salahadeen Centers. Zwei kleine Jungen in Anzügen lugen kurz in den Frauengebetsraum, dann rennen sie kichernd davon. Die letzten Gläubigen ziehen schnell ihre Schuhe aus, bevor sie in die Gebetsräume für Männer und Frauen laufen und sich auf den Boden setzen. Ein paar der Frauen unterhalten sich noch leise, aber als der Imam zu sprechen beginnt, wird es ruhig in den Gebetsräumen - zumindest unter den Erwachsenen.

Zwischen den Frauen laufen immer mal ein paar kleine Mädchen hin und her, zwei von ihnen tragen kunstvoll bestickte Chimar-Schleier. Eine Jugendliche mit einem "Kurdistan"-Kapuzenpulli und einem provisorisch gewickelt wirkenden Kopftuch wird von zwei älteren Frauen mehrfach losgeschickt, ihre Altersgenossinnen zur Ruhe zu ermahnen. Am Ende der rund 40 Minuten langen Predigt beten alle Frauen gemeinsam.

Nach dem Ende des Gebets stehen viele Menschen im Vorraum des Salahadeen Centers zusammen, bedienen sich am angebotenen Baklava-Gebäck und unterhalten sich. Andere gehen zu ihren Autos, die vor dem Wandgemälde einer Basar-Szene geparkt sind. In der Luft liegen Düfte von gegrilltem Fleisch und frisch gebackenem Brot. Nach ein paar Stunden im Salahadeen Center vergisst man fast, dass man nicht in den kurdischen Gebieten im Irak oder in der Türkei ist. Aber das Kulturzentrum mit seinen zwei Gebetsräumen liegt in Tennessee, in den Südstaaten der USA. Es ist das Herz von Nashvilles Little Kurdistan, der größten kurdischen Gemeinde in den Vereinigten Staaten.

Bild: DW/C. Bleiker

Rund 15.000 Kurden - ein Drittel der gesamten kurdischen Bevölkerung in den USA - leben in Nashville, sonst vor allem als Hauptstadt der Country-Musik bekannt. Viele von ihnen sind seit Jahrzehnten im Land und US-Staatsbürger. Mit diesen potenziellen Wählern hat es sich Donald Trump jetzt gründlich verscherzt. Nur wenige Tage nachdem der US-Präsident verkündete, dass die USA sich aus Nordsyrien zurückziehen, starteten türkische Truppen einen Militäreinsatz gegen die kurdische YPG-Miliz. Die Gruppe war bisher ein wichtiger Verbündeter der USA im Kampf gegen den "Islamischen Staat". Die Regierung in Ankara stuft sie als Terrororganisation ein. 

In Little Kurdistan herrscht Entsetzen und Enttäuschung. "Ich hoffe, kein Kurde stimmt bei der nächsten Wahl für Trump", sagt eine der Frauen, die beim Mittagsgebet im Salahadeen Center war. Wer stattdessen Präsident werden sollte? Das ist ihr nicht wichtig. "Egal, Hauptsache nicht er. Es war Trumps Aufgabe, uns zu beschützen. Die Kurden haben schließlich auch für ihn gegen ISIS (den "Islamischen Staat", die Red.) gekämpft. Wir fühlen uns betrogen."

Nashville - neue Heimat für Kurden

Die ersten Kurden kamen in den 1970ern nach Nashville, als Flüchtlinge vor gewalttätigen Konflikten im Irak. Die US-Regierung schickte sie zufällig nach Tennessee, aber schon bald gaben kurdische Flüchtlinge den konkreten Wunsch an, in Nashville leben zu dürfen. Ein Grund: Wetter und Vegetation seien so ähnlich wie in Kurdistan, sagt ein kurdischer Uber-Fahrer. Außerdem wurde den Einwanderern die berühmte Gastfreundschaft der Südstaaten entgegengebracht. Die Offenheit und Herzlichkeit der Menschen in Nashville ist auch ein Grund, warum Nawzad Hawrami die Stadt so liebt. Der Mitbegründer und Büroleiter des Salahadeen Centers kam 1998 in die USA und kurz danach nach Nashville.

Bäckerin Amy änderte ihren Namen (ursprünglich Amera), als sie vor 15 Jahren US-Staatsbürgerin wurdeBild: DW/C. Bleiker

Die zweite Welle kurdischer Einwanderer kam in den 1990ern nach Nashville, als Saddam Hussein ihre Städte und Dörfer mit Chemiewaffen zerstörte. Nach und nach entstand Little Kurdistan, etwa 14 Kilometer südlich vom Stadtzentrum entfernt. Hier steht das Salahadeen Center und in direkter Nachbarschaft finden sich ein türkisch-kurdisches Restaurant sowie mehrere kurdische Supermärkte.

In einem von ihnen, dem Newroz Market, werden in großen Steinöfen verschiedene Brotsorten aus dem arabischen Raum auf traditionelle Weise gebacken. Im Kühlraum nebenan hängt frisches Fleisch am Stück, weiter vorne können Kunden Shawarma und Baklava kaufen. Von den Geschäften fährt man nur wenige Minuten die Straße hinauf zu einem kurdischen Kindergarten. Etwas weiter entfernt hat das Salahadeen Center noch ein Stück Land. Auf diesem Teil Little Kurdistans wurde ein kurdischer Friedhof angelegt - und ein Fußballplatz.

"Die Kurden lieben Fußball!", sagt Hawrami. In seinem Büro treffen US-amerikanische Kultur und kurdische Tradition aufeinander. Neben großen, glänzenden Sport-Trophäen (die meisten für eine Fußballmannschaft des Salahadeen Centers), die jeder Schüler in den USA aus seiner High School kennt, steht ein Bücherregal mit einer kunstvoll verzierten kurdischen Übersetzung des Korans und einem kurdischen Gedichtband. Auf Hawramis Schreibtisch stehen zwei kleine Fahnen: die kurdische Flagge und die Stars and Stripes Fahne der USA.

Einer von mehreren kurdischen Supermärkten in Little Kurdistan - Azadi bedeutet "Freiheit" auf kurdischBild: DW/C. Bleiker

Strahlend erzählt Hawrami, wie großartig er die USA findet, "das Land von Freiheit und Gerechtigkeit", wie gern er hier Bürger ist, wie toll die Menschen seien. Aber Trumps Entscheidung, Nordsyrien für die Türkei freizugeben, kann er nicht verstehen. "Was gerade in Syrien passiert, schmerzt mich. Die Kurden dort waren Teil der Koalition, die gegen ISIS gekämpft hat", sagt er. "Wir haben diese Entscheidung nicht kommen sehen." Hawrami spricht über die tausenden Menschen, die jetzt aus ihren Häusern in Nordsyrien fliehen müssen, über türkische Bombardierungen, über die Gewalt, die die Kurden in ihrer Geschichte schon erlebt haben. Dann versagt ihm die Stimme.   

"Steht zu euren kurdischen Verbündeten!"

Nach dem Mittagsgebet im Salahadeen Center macht sich ein Großteil der Gemeinde nach Downtown Nashville für eine kurdische Friedensdemonstration auf. Hunderte Menschen schwenken dort kurdische und US-amerikanische Flaggen und rufen Slogans wie "Stoppt die türkische Unterdrückung!" und "USA, steht zu euren kurdischen Verbündeten!" Jedes Mal, wenn ein Auto mit kurdischen Flaggen an der Menge vorbeifährt und hupt, bricht lauter Jubel aus.

Mit Feuereifer dabei: Jiyan und ihre Kinder auf der kurdischen FriedensdemoBild: DW/C. Bleiker

Jiyan ist mit ihren beiden kleinen Kindern zur Demo gekommen. "Es geht hier um unsere Existenz", sagt sie. Die junge Frau floh 1993 vor Saddam Hussein in die USA. Präsident Trump müsse die Kurden vor türkischen Truppen schützen, so wie kurdische Kämpfer die USA vor dem "Islamischen Staat" beschützt haben, sagt sie.

Professor Kirmanji Gundi von der Tennessee State University glaubt, dass wirtschaftliche Interessen hinter der Entscheidung des Präsidenten standen, die US-Truppen aus Nordsyrien zurückzuziehen. Er fürchtet, dass Terrororganisationen in der Region wieder erstarken und dass es viele Tote geben wird - auch US-amerikanische.

"Präsident Trump wird seinen schweren Fehler einsehen, wenn er die Leichensäcke von amerikanischen Soldaten in Empfang nimmt und wenn er Kondolenzbriefe an die Familien der Toten schreiben muss", sagt Gundi. "Dann wird ihm klar werden, was er getan hat."

Carla Bleiker Redakteurin, Channel Managerin und Reporterin mit Blick auf Wissenschaft und US-Politik.@cbleiker
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