Xi Jinping auf Antrittsbesuch in Russland
20. März 2013Wenn ein neuer Staatschef im Amt ist, schaut alle Welt auf seine ersten Schritte und versucht, daraus Schlüsse auf die künftige politische Ausrichtung zu ziehen. Nicht anders ist es mit Chinas neuem Staatschef Xi Jinping. Als ersten ausländischen Gast empfing Xi am Dienstag (19.03.) den US-amerikanischen Finanzminister Jack Lew. China investiert schließlich einen substanziellen Teil seiner riesigen Außenhandelsüberschüsse in den Kauf amerikanischer Staatsanleihen und hält so die US-Regierungsmaschinerie mit am Laufen.
Vorbild, Feind, Partner
Die erste Reise ins Ausland aber führt Chinas Staats- und Parteichef nach Moskau. Die Geschichte der Beziehungen zwischen beiden Nachbarstaaten in der jüngeren Geschichte als wechselhaft zu bezeichnen wäre noch untertrieben. Aus chinesischer Sicht war Russland - beziehungsweise zuvor die kommunistische Sowjetunion - erst Vorbild, dann Feind und wurde schließlich zum Partner. Noch in den 1950er Jahren schickte Russland tausende Experten, um dem kommunistischen Bruderstaat Hilfe zu leisten.
Ideologische Differenzen führten zu einem tiefen Bruch, der Ende der 1960er Jahre bis zu Schießereien an der gemeinsamen Grenze eskalierte. Inzwischen pflegen beide Seiten eine unsentimentale Zweckpartnerschaft - die offiziell immerhin in den Rang einer strategischen Partnerschaft gehoben wurde.
Der Tübinger Chinawissenschaftler Gunter Schubert sieht im Gespräch mit der DW diese Partnerschaft vor allem als gegen den Westen gerichtet. Entsprechend wertet Schubert die Reise Xi Jinpings nach Moskau als Symbol und Signal, dass "China eben auch woanders hinblicken kann als in den Westen".
Signal an den Westen
Etwas vornehmer hat es Russlands Präsident Wladimir Putin vor einem knappen Jahr ausgedrückt. Vor seiner China-Reise im Juni 2012 schrieb er in einem Artikel für die chinesische Volkszeitung: "Das Wichtigste ist, dass alle vernünftigen Politiker und Experten in der Wirtschaft und in internationalen Beziehungen realisieren, dass man heute die globale Agenda nicht hinter dem Rücken von Russland und China bestimmen kann - und nicht, ohne ihre Interessen zu berücksichtigen.“
Deutlich wird das zum Beispiel im Weltsicherheitsrat. Dort folgt China in seinem Abstimmungsverhalten häufig Russland, wenn es um Themen geht, die Chinas Interessen nicht zu stark berühren - etwa im Falle Syriens oder des Iran. Umgekehrt erwartet China die Unterstützung Russlands in Fragen, die Ostasien berühren.
Für Gu Xuewu von der Universität Bonn steht deshalb die strategische Abstimmung der beiden Nachbarn ganz oben auf der Agenda der Gespräche von Xi Jinping in Moskau. Daneben, so Gu im Interview mit der DW, werde es um die Handelsbeziehungen gehen und die Vertiefung der militärischen Kooperation angesichts der US-amerikanischen Hinwendung nach Asien.
Energie gegen Industrieprodukte
Der Handel zwischen China und Russland ist zwar in den vergangenen beiden Jahren um mehr als 40 Prozent gestiegen. Im Jahr 2011 erreichte er ein Volumen von 83,5 Milliarden US-Dollar. China hat 2010 Deutschland als Russlands wichtigster Handelspartner abgelöst. Doch Russland ist mit der Handelsstruktur nicht zufrieden. Nach China verkauft werden fast ausschließlich Rohstoffe: Energie, Holz, mineralische Rohstoffe. Aus China nach Russland aber fließen hochentwickelte Industrieprodukte. Ändern könnte sich für Politikwissenschaftler Gu an dieser Struktur etwas durch den Verkauf russischer Nukleartechnologie an China. "China hat die Atomenergie als tragende Säule der Energieversorgung ins Visier genommen. Aber China ist derzeit speziell beim Bau von Großkraftwerken noch auf ausländische Technologie angewiesen - und hier hat Russland viel zu bieten.“
Was die von Gu angesprochene Zusammenarbeit im Militärischen angeht, gibt es regelmäßige Treffen hoher Militärs beider Seiten. Beide Streitkräfte führen gemeinsame Manöver durch, im April 2012 zum ersten Mal auch ein gemeinsames Seemanöver. Gelegentlich finden gemeinsame Manöver auch im Rahmen der 2001 gegründeten Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit SCO statt - dann mit den zentralasiatischen Nachbar- und Mitgliedstaaten.
Demographische Zeitbombe im Fernen Osten
Unbehagen bereitet der russischen Seite die demographische Entwicklung im fernen Osten. Auf der russischen Seite der Grenze verlassen immer mehr Menschen - und speziell die besser ausgebildeten - die Weiten Sibiriens in Richtung Europa. Nur noch gut fünf Millionen Menschen leben in den fünf russischen Regionen, die an China grenzen. Auf der anderen Seite der Grenze hingegen leben über 100 Millionen Chinesen. Deren Einfluss auf das wirtschaftliche Leben in Sibirien wächst. Der Bonner Politologe Gu: "Die lokalen Verhältnisse in Russland werden aus meiner Sicht immer stärker chinesisch geprägt werden. Gerade wegen der Situation, dass die Versorgung mit Energie, Gemüse, Getreide und Konsumgütern immer mehr von chinesischen Lieferungen abhängt.“ Russland versucht gegenzusteuern. Präsident Putin hat angekündigt, dem Osten mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Auch deshalb war Wladiwostok an der russischen Pazifikküste zum Standort für den APEC-Gipfel 2012 ausgewählt worden.
Und: Unbehagen bereitet Russland vor allem der Umstand, dass China zu Supermachtstatus aufsteigt, während es selbst diesen Status verloren hat. Xi Jinping hat noch Anfang Januar den Zerfall der Sowjetunion als warnendes Beispiel für Chinas KP dargestellt.