1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

XXL-Bundestag doch noch aufzuhalten?

24. August 2020

Kommt nun doch noch eine Wahlrechtsreform oder platzt der Bundestag bald aus allen Nähten? Kompromisssuche in letzter Minute für das zweitgrößte Parlament weltweit.

Deutschland Bundestag
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Es war ruhig geworden um ein Thema, das die Bundestagsabgeordneten schon lange beschäftigt: die Reform des Wahlrechts. Vor der parlamentarischen Sommerpause wurde noch heftig darüber gestritten, wie man es schaffen könnte, dass der Bundestag nach den nächsten Wahlen nicht aus allen Nähten platzt. Die Bundestagswahl findet zwar voraussichtlich erst im September des kommenden Jahres statt. Aber wenn die Politik sich nicht bald auf eine Reform einigt, ist es zu spät. Nun ist die Debatte wieder aufgeflammt. Kommt doch eine Reform in letzter Minute?

Skeptiker befürchten, dass sich nach der nächsten Wahl 800 Abgeordnete oder mehr im Parlament drängen. Schon derzeit hat der Deutsche Bundestag die Rekordgröße von 709 Parlamentariern. Gesetzlich vorgesehen sind 598 Abgeordnete. Nur der chinesische Nationale Volkskongress ist im weltweiten Vergleich noch größer.

Wahlrecht wird zur Chefinnensache 

Kürzlich wurde bekannt, dass sich am 25. August der Koalitionsausschuss mit der Causa Wahlrechtsreform befassen soll. Offenbar will Bundeskanzlerin Angela Merkel die Kuh vom Eis holen. Der Koalitionsausschuss ist ein Spitzengremium, zu dem Vertreter der Bundesregierung und der an der Regierung beteiligten Parteien CDU, CSU und SPD gehören. Alarmstufe rot also: Krisenmodus. Gesucht wird nach einer Lösung, die alle drei Parteien mittragen können. Das Eis ist dünn und die Zeit knapp. Die Kanzlerin ist sich nämlich darüber im Klaren, dass die Unionsparteien CDU und CSU und die SPD in ihren Vorstellungen für eine Wahlrechtsreform weit auseinander liegen.

Findet Sie noch einen Kompromiss? Bundeskanzlerin Merkel bei einer Regierungserklärung im BundestagBild: AFP/T. Schwarz

Dass der nächste Bundestag möglicherweise noch größer werde, das sei "den Wählern nur noch schwer zu vermitteln", sagt Professor Klaus Stüwe der Deutschen Welle. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Politikwissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Ein noch größerer Bundestag würde weitere "praktische Probleme" im Parlamentsalltag mit sich bringen und "natürlich höhere Kosten".

"Machen uns lächerlich"

Kompliziert: das deutsche Wahlrecht kennt zwei StimmenBild: picture-alliance/dpa

Dem schließt sich auch der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP im Bundestag, Marco Buschmann, an. Komme jetzt nicht schnell eine Reform, "machen wir uns als Politik lächerlich" und "schwächen damit den Parlamentarismus", sagte der Jurist der Deutschen Welle.

In Deutschland wird nach dem System der personalisierten Verhältniswahl abgestimmt. Jeder Wähler kann auf dem Wahlzettel zwei Kreuzchen machen. Eines für den Vertreter des Wahlkreises. Da gilt: Wer die meisten Stimmen erhält, kriegt sicher ein Mandat im Bundestag. Mit der zweiten Stimme wird ein Listenkandidat der Partei gewählt. Die Zweitstimme ist entscheidend und bestimmt über die relative Stärke der Parteien untereinander. Gewinnt eine Partei mehr Direktmandate als ihr aufgrund der Zweitstimmenergebnisse zustehen, entstehen sogenannte Überhang- und Ausgleichsmandate. Bei der letzten Bundestagswahl im September 2017 waren das insgesamt 111 Sitze extra.

Der Bundestag: zu groß, zu teuer

Große Halle, volle Ränge: der Nationale Volkskongress in Peking ist noch größer als der Deutsche BundestagBild: Reuters/T. Peter

Der Bundesrechnungshof hat ermittelt, dass der Deutsche Bundestag mit seinen Abgeordneten, Mitarbeitern und Büros den Steuerzahler pro Jahr rund ein Milliarde Euro kostet. Deshalb fordert der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel, schon lange: "Wir brauchen eine Reform des Wahlrechts mit einer Mandatsobergrenze: 500 Abgeordnete sind genug!" Nach Berechnungen des Verbandes könnte man viele Millionen Euro jährlich sparen, wenn der Bundestag wieder die Norm-Größe hätte oder schrumpfen würde.

Deutschland hat das weltweit zweitgrößte Parlament. Nur der chinesische Nationale Volkskongress ist noch größer. In der Großen Halle des Volkes in Peking finden 2897 Abgeordnete Platz. Sie repräsentieren rund 1,4 Milliarden Chinesen. In Deutschland kommen auf 709 Abgeordnete rund 83 Millionen Bürger.

Einer für 117.000

Für Politikwissenschaftler Stüwe ist klar: Deutschland hat im internationalen Vergleich zu viele Abgeordnete. "Eine Verkleinerung des Deutschen Bundestages wäre definitiv kein Verlust an demokratischer Qualität", sagt er.

Deutschland ist das bevölkerungsreichste Land in Europa. Von daher ergibt es Sinn, dass das Parlament größer ist als in anderen europäischen Staaten. Ein Abgeordneter vertritt hier rund 117.000 Bürger. Sieht man sich andere europäische Länder an, relativieren sich die deutschen Zahlen. In Österreich beispielsweise ist das Parlament noch aufgeblähter. Bei rund 9 Millionen Einwohnern sitzen im Nationalrat 183 Abgeordnete. Auf einen Volksvertreter kommen nur 49.000 Wähler.

Die Zeit drängt

Schon seit der vergangenen Legislaturperiode tüfteln die Parteien und zwei CDU-Bundestagspräsidenten an Modellen, wie der Bundestag wieder schlanker werden könnte. Bislang ohne Ergebnis. Jede Partei vertritt ihre eigenen Interessen, will nicht an Macht und Einfluss verlieren. Das Gezerre um eine Reform ist gerade deshalb besonders groß, weil sie schnell kommen müsste, um bei den nächsten Wahlen noch wirksam werden zu können.

Nach langem Ringen haben sich die konservativen Parteien CDU und CSU auf einen Kompromiss geeinigt. Demnach soll die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 280 reduziert werden. Außerdem sollen bei zu vielen Direktmandaten einige Sitze entfallen. Die SPD-Fraktion lehnt diesen Vorschlag rigoros ab; hat einen eigenen vorgelegt, der der Union aber nicht gefällt. Parteichef Norbert Walter-Borjans wirft den Konservativen vor, dass sie zu viel Zeit verspielt hätten, "weshalb es für eine grundlegende Reform knapp vor der Wahl mittlerweile zu spät ist", sagte er resigniert in einem Interview der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Er plädiert für eine "Übergangslösung mit einer Obergrenze für den nächsten Bundestag".

Politikwissenschaftler Klaus Stüwe hofft auf eine WahlrechtsreformBild: upd

Über den Vorschlag von drei Oppositionsparteien, der schon seit fast einem Jahr kursiert, wollen die Regierungsparteien erst gar nicht reden: FDP, DIE LINKE und die Grünen wollen vor allem die Zahl der Wahlkreise noch viel radikaler verringern; von derzeit 299 auf 250. Eine verfahrene Lage. Politikwissenschaftler Stüwe bleibt generell skeptisch. Eine Reduzierung der Wahlkreise brauche viel Zeit, "denn nicht nur geografische, sondern vor allem auch demographische Kriterien" seien zu berücksichtigen. "Das kann man nicht über's Knie brechen", gibt er zu bedenken.

Aber vielleicht gelingt es Bundeskanzlerin Angela Merkel am kommenden Dienstag ja doch noch, einen Koalitionskompromiss zwischen Union und SPD zu schmieden. Es wäre nicht der erste Kompromisse in letzter Minute, den Merkel aus dem Hut zaubert.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen