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Politik

Yücels Anwalt: Signal für die Pressefreiheit

28. Juni 2019

Das türkische Verfassungsgericht erklärte die Inhaftierung des Journalisten Deniz Yücel für unrechtmäßig. Die Entscheidung sei erfreulich, doch sie komme viel zu spät, sagt Yücels Rechtsanwalt Veysel Ok im DW-Interview.

Türkei-Deutschland Journalist Deniz Yücel und sein Anwalt Veysel Ok
Deutsch-türkischer Journalist Deniz Yücel (l.) und sein Anwalt Veysel OkBild: AFP/Getty Images

Herr Ok, ein Jahr lang befand sich ihr Mandant in Untersuchungshaft in einem türkischen Gefängnis. Mittlerweile ist Deniz Yücel wieder frei und nach Deutschland zurückgekehrt. Jetzt im Nachhinein hat das Verfassungsgericht die Festnahme relativ unerwartet als rechtswidrig erklärt. Man sprach ihm sogar ein Schmerzensgeld von umgerechnet 3800 Euro zu. Wie bewerten Sie die Entscheidung des türkischen Verfassungsgerichts?

Zunächst muss man darauf hinweisen, dass die Entscheidung zu spät kommt. Als Deniz verhaftet wurde, haben wir bereits eine Klage (auf Freilassung) gestellt. Erst ein Jahr später wurde er freigelassen. Und erst danach kam diese Entscheidung.

Das Urteil stellt fest, dass die Arbeit der Journalisten, die vor allem über das Kurdenproblem oder den Putschversuch berichtet haben, eine journalistische Tätigkeit ist und nicht als Terror, Gewalt oder Propaganda bezeichnet werden kann. Im Prozess von Deniz wurden seine Berichte mit Bezug zur Kurden-Thematik herangezogen. Das Urteil stellt fest, dass ein Interview mit dem Anführer einer (kurdischen) Organisation keine Propaganda für diese Organisation ist. Die Bezeichnung "Völkermord an den Armeniern" werde zudem von der Meinungsfreiheit gedeckt. Das Urteil stellt außerdem fest, dass es von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, wenn man den Hergang des Putschversuchs hinterfragt und nicht die offizielle Version der Geschehnisse annimmt. Zudem ist es laut dem Urteil gestattet, die autoritären Tendenzen des türkischen Präsidenten stark zu kritisieren – das ist ebenfalls von der Meinungsfreiheit gedeckt. Deswegen ist das Urteil eine sehr wichtige Entscheidung und könnte ein Präzedenzfall für alle inhaftierten Journalisten in der Türkei sein.

Werden die Vorinstanzen der Entscheidung des Verfassungsgerichts nachkommen?

Nach der türkischen Verfassung müssten sich alle Organe des Staates, alle Institutionen und Personen an die Entscheidung des Verfassungsgerichts halten. Das ist für alle bindend – auch für Vorinstanzen, den Staatspräsidenten und das Parlament. Wenn die Entscheidung des Verfassungsgerichts nicht umgesetzt wird, ist das ein Verbrechen.

Das türkische Verfassungsgericht hat in seinem Urteil die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei gestärkt, sagt Veysel Ok.Bild: Getty Images/AFP/A. Altan

Wie wird sich die Entscheidung des Verfassungsgerichts auf den Prozess gegen Deniz Yücel auswirken?

Mit dieser Entscheidung ist klar, dass Deniz über ein Jahr – davon ein Großteil in Einzelhaft – unrechtmäßig inhaftiert war. Die Entscheidung wirft die Anklage und den Prozess über den Haufen. Denn das Verfassungsgericht entschied, dass Herr Yücel nur seiner Tätigkeit als Journalist nachging. Also werden wir diese Entscheidung dem Gericht vorlegen. Das Verfassungsgericht wird sich auch eigenständig an das zuständige Istanbuler Strafgericht wenden.

Welche Verbrechen werden Yücel überhaupt zur Last gelegt?

Das Gericht wirft Herrn Yücel "Anstiftung zu Hass und Feindschaft" sowie "Terrorpropaganda" vor. Diese Anschuldigungen begründen sich aus seinen Veröffentlichungen als Welt-Korrespondent. Seine Schriften, Kommentare, seine Interviews und Nachrichten sind ausschlaggebend für die Anklage.

Es gibt in der Türkei viele Fälle von Journalisten, die unter ähnlichen Umständen inhaftiert wurden. Könnten Sie uns eine Einschätzung zu dieser Situation geben?

Die Entscheidung des Verfassungsgerichts ist wichtig für Journalisten, die ihre Arbeit machen und dabei Gefahr laufen, als Terroristen verunglimpft zu werden. Es ist eine Entscheidung, die dem Schutz der Presse und des Journalismus zugute kommt. Es hat sich herausgestellt, dass es von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, wenn man über die Kurden-Frage, den Putschversuch oder den Völkermord an den Armeniern kritisch berichten möchte. Daher sollten alle Journalisten, die aus ähnlichen Gründen inhaftiert wurden, unverzüglich freigelassen werden. Es ist auch ein Signal an alle Anwälte: Sie sollten auf die Entscheidung des Verfassungsgerichts verweisen und die Freilassung fordern. Ich werde das zumindest mit meinen übrigen Mandaten versuchen.

Deniz Yücel wurde nach eigenen Angaben während seiner Haft gefoltert. Wie geht es jetzt juristisch weiter?

Wir haben eine Strafanzeige eingereicht, doch die Staatsanwaltschaft hat diese abgelehnt, weil es keinen Verstoß gegen das Folterverbot feststellte. Aber das rechtliche Verfahren geht weiter. Wir haben den Fall dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und auch dem türkischen Verfassungsgericht gemeldet. Bisher hat das Verfassungsgericht aber noch keine Entscheidung gefällt.

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