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Literatur

Yang Lian im Interview

Sabine Peschel/hm8. Januar 2016

In Hongkong verschwinden Verleger. In Peking können Bücher nicht publiziert werden, die in Shanghai erscheinen. Im DW-Interview spricht der chinesische Lyriker Yang Lian über den Kampf um die freie Meinungsäußerung.

Chinesischer Dichter Yang Lian
Bild: Angelika Leuchter, Wissenschaftskolleg zu Berlin

Deutsche Welle: Wie würden Sie die momentane Lage der Freiheit der Kunst in China beschreiben?

Yang Lian: Ich denke über aktuelle Erfahrungen nach, die diese Frage betreffen. Ich habe einen Monat an der Shantou Universität unterrichtet. In dieser Zeit habe ich gemerkt, dass die Kontrolle von Kunst und Medien noch viel stärker geworden ist als früher, insbesondere im Fernsehen. Zehn oder selbst fünf Jahre vorher gab es noch Fernsehprogramme mit tiefem Einblick in historische Zusammenhänge, insbesondere in die Geschichte Chinas nach 1949. Diese Programme sind jetzt völlig verschwunden. Billige Unterhaltung überflutet die Fernsehkanäle. Das hat mich sehr enttäuscht.

Warum ist das passiert?

Ein möglicher Grund könnte sein, dass es wirtschaftlich nicht mehr so vorangeht. Die Regierung ist vielleicht besorgt, dass das Unruhe schaffen könnte in der Bevölkerung, vor allem bei den Intellektuellen. Deshalb versucht sie Themen mit kultureller und ideologischer Fragestellung stärker zu kontrollieren.

Die chinesische Regierung kontrolliert alle Veröffentlichungen, sowohl im Printbereich als auch online. Wie gefährlich ist dieses repressive Verhalten für chinesische Autoren?

Das ist längst ein Kampf, der an zwei Fronten geführt wird. Die Regierung setzt nur die kommunistische Tradition fort, alle Ausdrucksformen und Gedanken zu kontrollieren. Aber im Internet und über andere Möglichkeiten der Meinungsäußerung ist die Stimme des Volkes noch zu hören. Das ist eine Bewegung, die jedoch davon abhängt, was einzelne Künstler bereit sind zu tun. Unter chinesischen Künstlern herrscht ja eine starke Selbstzensur. Dennoch gibt es große Künstler, die mit einem hohen Kunstanspruch soziale und politische Themen anpacken.

Shang Yangs Installation "Sheng Shui Tu" bezieht sich auf die Drei-Schluchten-Talsperre, die über 1,3 Millionen Menschen entwurzelt hatBild: SHANG Yang

Können Sie ein Beispiel dafür nennen?

Kürzlich habe ich den Künstler Shang Yang getroffen. Er hat eine große, geradezu epische Installation geschaffen, die sich auf den Drei-Schluchten-Damm bezieht. Alle Teile dieser mächtigen Installation beziehen sich thematisch auf den Zwang zur Migration, zur Abwanderung, die der Bau der Talsperre im Drei-Schluchten-Gebiet ausgelöst hat. Das ist immer noch ein großes Problem. Der Staudamm hat nicht nur die Natur zerstört, sondern auch soziale Zusammenhänge. Als ich dieses Kunstwerk in Shang Yangs Atelier sah, war ich sehr bewegt.

Würden Sie sagen, dass es eine größere Freiheit für bildende Künstler als für Schriftsteller gibt?

Fragen zur künstlerischen Meinungsfreiheit oder der Freiheit in anderen kulturellen Bereichen sind essentiell für eine chinesische Gesellschaft, die so eine rapide Transformation durchmacht. Es ist die Verantwortung eines jeden Künstlers, sie zu reflektieren und zu eigenen Entscheidungen zu kommen.

Ich habe zum Beispiel kürzlich aus Anlass der neunbändigen Veröffentlichung meiner Werke in China der Website "Pengpai" ein Interview gegeben. Sie ist inzwischen sehr wichtig und bedeutend in China. Im Interview wurde ich gefragt, wie ich über 1989 denke. (Anm.: das Jahr des Tiananmen Massakers am 4. Juni 1989 und der Zerschlagung der Demokratie-Bewegung)

Das berühmteste Bild von den Protesten auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Jahr 1989 entstand am Tag nach dem Massaker, als ein Mann allein eine Panzerkolonne aufhieltBild: Jeff Widener/AP

Ich habe darauf geantwortet, mit meiner Interpretation der Ereignisse: Die Erforschung der chinesischen Geschichte und der chinesischen Kultur hat in den 1980er Jahren eine intellektuelle Energie freigesetzt, die in der Studentenbewegung von 1989 ihren Höhepunkt gefunden hat. Am Ende wurden meine Antwort und alle Fragen, die damit in Zusammenhang standen, aus dem auf der Website veröffentlichten Interview rausgekürzt. Ich war wütend und traurig, weil das ein Durchbruch gewesen wäre, so offen über diese Ereignisse zu reden.

Danach habe ich sofort an meinen Freundeskreis einen Link zu dem ungekürzten Interview geschickt, den diese über Social Media vielfach weiterverbreitet haben. Ich bin neugierig, ob es von seiten der Zensoren eine Reaktion geben wird, ob dieser Link gelöscht wird. Bisher ist er noch da, warten wir's ab. Wie gesagt, Redefreiheit hängt von den Aktionen Einzelner ab.

China hat 2004 in einem Zusatz zur Verfassung die Meinungsfreiheit als Menschenrecht explizit anerkannt. Warum wird sie dennoch weiterhin so stark eingeschränkt?

Eine Verfassung kann man leicht umschreiben. Sie ist schon siebenmal umgeschrieben worden. Die Verfassung umzuschreiben, ist eine Sache, aber die Wirklichkeit zu ändern, ist eine andere.

Laut Amnesty International riskieren Aktivisten der Menschenrechtsbewegung immer noch Verfolgung und Gefängnis in China. Folter und sonstige Schikanen sind nach wie vor weit verbreitet. Kennen Sie Schriftsteller oder Künstler, die in letzter Zeit ohne ersichtlichen Grund inhaftiert worden sind?

Aus den Akten läßt sich ersehen, dass eine ganze Reihe nicht-fiktionaler Autoren, die über politische Themen schreiben, in Schwierigkeiten stecken. Aber ich habe nicht gehört, dass literarische Schriftsteller in letzter Zeit inhaftiert worden sind.

Der Künstler Ai Weiwei, der wie Sie zurzeit in Berlin lebt, sagte in verschiedenen Interviews, dass die künstlerische Freiheit in China zwar nicht vollkommen ist, es um sie aber besser bestellt sei als früher. Stimmen Sie damit überein?

Ja, das sehe ich auch so. Bei einem Streifzug durch die Kunstgalerien im "798"-Distrikt von Peking habe ich viele Künstler gesehen, die diese Art politische Kunst betreiben.

Gewöhnlich gab es drei große Tabus in China: Taiwan, Tibet, Falun Gong. Gibt es die immer noch?

Das hat sich nicht wirklich geändert. Die einzige Verbesserung ist, dass Künstler heute mit ihrer Kunst in dieser Hinsicht indirekt Kritik üben können und die Regierung das jetzt einfach ignoriert. Wenn sie aber direkt darüber reden - wie ich in meinem Interview über die 1980er Jahre und das jahr 1989 - kriegen sie augenblicklich Schwierigkeiten. Da gibt es eine sensible Grenze. Da alle Künstler diese Grenze kennen, wagen sie sich zwar bis dahin heran, aber überschreiten sie nie.

Lee Bo ist einer von fünf verschwundenen Buchhändlern in Hong Kong, die mit "Mighty Current" in Verbindung gebracht werdenBild: Getty Images/AFP/A. Wallace

In Hongkong sind seit Oktober letzten Jahres fünf Leute mit Bezug zum Verlagshaus "Mighty Current" verschwunden, das sich auf brisante politische Bücher spezialisiert hat: #link. Es wird spekuliert, dass sie vom chinesischen Geheimdienst verschleppt wurden. Ist die Meinungsfreiheit in Hongkong damit zu Ende?

Ich glaube ja. Irgendwie ist die Situation in Hongkong schlimmer als in China. Man kann dort zwar immer noch nicht-fiktionale Bücher über chinesische Politik und über Chinas politische Führer kaufen. Aber diejenigen, die solche Bücher veröffentlichen oder verkaufen, stoßen heute auf viel größere Schwierigkeiten als vor 1997 (Anm.: als Hongkongs Souveränität von Großbritannien nach China übertragen wurde). Heute sind die politischen Führer in Hongkong simple Erfüllungsgehilfen der Zentralregierung. Sie üben womöglich die Selbstzensur in stärkerem Maße aus, als es die Zentralregierung erwartet.

Am Eingang des Buchladens von Lee Bo hängt ein Poster mit einem Bild des chinesischen Präsidenten. Die Bildunterschrift lautet: "2017: Xi Jinping bricht ein"Bild: picture-alliance/AP Photo/V. Yu

Ihre Bücher standen jahrelang auf dem Index und werden heute in China von renommierten Verlagen herausgegeben. Wieso haben die Zensoren ihre Meinung da geändert?

Es gibt Kontrollen durch die Zentralregierung, aber China ist nicht mehr so ein stählerner Einheitsblock. Die Realität ist voller Risse, Löcher und Öffnungen. Ein in Peking veröffentlichtes Buch wird vielleicht verboten, aber wenn dasselbe Buch von einer anderen Verlagsanstalt in Shanghai herausgebracht wird, erfolgt kein Einspruch.

Sie haben viele Jahre im Exil gelebt. Jetzt haben Sie die Freiheit, nach China zurückzugehen, dort Monate lang zu leben und sogar dort zu unterrichten. Könnten Sie sich vorstellen, eines Tages auf Dauer nach China zurückzukehren?

Nein, nicht nur wegen der politischen Kontrolle. Auch die dortige Luftverschmutzung macht mir das unmöglich. Die ist nämlich unglaublich schlimm. Ein Scherz, der Ma Yun zugeschrieben wird, dem Boss von Alibaba (Anm.: Jack Ma, der reichste Mann des chinesischen Festlands), besagt, dass die Luftverschmutzung alle Menschen gleich macht, denn jeder muss ja atmen.

Aber ich will nichts simplifizieren. China hat sich sehr verändert. Ich versuche meinen Beitrag zu leisten, um noch mehr positive Änderungen zu bewirken. Ich finde es wichtig, das nicht nur von außen zu kommentieren, sondern die Wirklichkeit vor Ort auch zu spüren.

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