Eigentlich wollte Yann Aurel Bisseck seine Fußball-Karriere bereits beenden und Medizin studieren. Doch es kommt anders. Nun ist er deutscher Nationalspieler und eine feste Größe bei Inter Mailand.
Yann Aurel Bisseck ist deutscher Nationalspieler und spielt nun in der Champions League mit Inter Mailand gegen den FC Bayern.Bild: Marco Luzzani/Getty Images
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In aller Ruhe stieg Yann Aurel Bisseck aus dem schwarzen Van, schnappte sich seinen kleinen Rucksack und ging zu den wartenden Fans vor dem Teamhotel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Dortmund. Hier ein Foto, da ein Autogramm - der Abwehrspieler wirkte bei seiner ersten Nominierung für die DFB-Elf entspannt. "Es ist eine große Anerkennung", freute sich Bisseck. "Die Jungs sind alle super nett. Ich bin einfach nur froh, hier zu sein."
Lediglich eine Sache bereitete dem DFB-Neuling vor dem Viertelfinal-Hinspiel in der Nations League in Italien Kopfzerbrechen. Würde er zu seinem Einstand in der Nationalmannschaft etwa singen müssen? "Das war die erste Frage, die ich gestellt habe, als ich angekommen bin", verriet der 24-Jährige, der bei Inter Mailand in Italien unter Vertrag steht. Doch Singen müsse er nicht, erklärten ihm seine Teamkollegen. Lediglich eine kleine Rede nach seinem ersten Einsatz halten.
Die Tatsache, dass Bisseck nun Teil der Nationalmannschaft ist, schien vor einigen Jahren noch wie ein unerfüllbarer Traum. Sogar ein Karriereende war damals wahrscheinlicher, denn Bisseck musste in seiner bisherigen Karriere einige Hindernisse überwinden. "Es ist nicht der geradlinigste Weg gewesen", erklärte er.
"Ich bin einfach froh, dass es geklappt hat und ich nicht aufgegeben und immer weiter an mir gearbeitet habe. Es gab eine Menge Rückschläge, aber ich kann sagen, dass mich das zu dem Spieler und Mann gemacht hat, der ich heute bin." Wenn Bisseck über seine aktuelle Situation spricht, leuchten seine Augen, und manchmal wirkt es so als könne er es immer noch nicht so recht glauben.
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Bisseck: "Bin froh, wie es gelaufen ist"
Kein Wunder, denn noch 2021 wurde der ehemalige Kapitän des deutschen U21-Nationalteams bei Vitoria Guimarães in Portugal in die zweite Mannschaft herabgestuft. Gedanken an ein vorzeitiges Karriereende kamen auf, und auch einen Plan B gab es schon. Bisseck wollte mit "einem Kumpel nach Berlin ziehen. Medizin studieren. Eine WG aufmachen."
Seit 2023 spielt Yann Aurel Bisseck für Inter Mailand und wird in seiner ersten Saison direkt italienischer MeisterBild: Yasser Bakhsh/Getty Images
Doch es kam anders. Groß geworden ist der Sohn kamerunischer Eltern in der Jugend des 1. FC Köln. 2019 ließ er sich erst nach Kiel, dann zu Roda Kerkrade in den Niederlanden, nach Portugal und zu Aarhus GF ausleihen, ehe er an den dänischen Klub verkauft wurde. Hier schöpfte er neuen Mut und schaffte 2023 den Sprung nach Italien zu Inter Mailand, wo der Innenverteidiger die hohe Kunst des Verteidigens lernte.
In der Serie A, der ersten italienischen Liga, erkämpfte sich Bisseck einen Stammplatz und konnte in der vergangenen Saison sogar die italienische Meisterschaft mit Inter gewinnen. "Wenn ich daran denke, dass ich fast mit dem Fußballspielen aufgehört hätte, bin ich jetzt extrem froh darüber, wie alles gelaufen ist", sagte er.
Nagelsmann: Bisseck hat "ein fröhliches Wesen"
Seine - nicht immer geradlinige - Entwicklung ist auch an Bundestrainer Julian Nagelsmann nicht unbemerkt vorbeigegangen. Daher war seine Nominierung für die DFB-Elf nur eine Frage der Zeit. "Ich schätze ihn als sehr großes Talent. Ich finde, dass er sehr viel mitbringt. Er ist ein Spieler mit einem guten, interessanten Karriereverlauf", sagte der Bundestrainer und fügte an: "Ich finde, dass er sehr positiv rüberkommt, eine gute Ausstrahlung und ein fröhliches Wesen hat." Es sei zu spüren, dass er Lust auf Fußball und auf die Nationalmannschaft habe, so der 37-Jährige.
Nachdem er den 2:1 (0:1)-Erfolg gegen Italien im Hinspiel des Viertelfinals in der Nations League noch von der Ersatzbank aus verfolgte, wurde er im Rückspiel erstmals eingewechselt. Auf seinem Instagram-Profil schwärmte der Innenverteidiger nach dem 3:3-Unentschieden und dem Einzug in das "Final four" von einem "unvergesslichen Tag".
Grundsätzlich nutzte Bisseck seine erste Länderspielwoche aber, um sich an das Niveau und seine neuen Teamkollegen zu gewöhnen. "Es geht erstmal darum mich auf dem Platz zu zeigen. Es ist ein extrem hohes Level hier", sagte er am Rande der ersten Trainingseinheiten in Dortmund. Er müsse sich noch ein bisschen anpassen, so der Verteidiger.
Lernen und "sich etwas abschauen" möchte er sich vor allem von seinem neuen Teamkollegen und Vorbild Antonio Rüdiger. "Das ist eine coole Sache", freute sich Bisseck. "Er ist ein sehr netter Kerl, den man immer alles fragen kann.
Bereits nach den ersten Trainingseinheiten hat sich Bisseck (Mitte) gut in sein neues Team integriertBild: Lars Baron/Getty Images
Ich habe schon gute Gespräche mit ihm gehabt." Auch Rüdiger äußerte sich vor dem Duell mit Italien positiv über seinen neuen Abwehrkollegen. "Er soll er selbst sein und sein eigenes Ich finden", empfahl Rüdiger und lobte: "Er ist ein Genie. Er hat mit 16 sein Abitur gemacht und ist ein schlauer Junge."
Stolz das DFB-Trikot zu tragen
Fans in den eigenen Reihen hat der 24-Jährige also schon einmal. Doch trotz Abitur und seinen damaligen Plänen, Medizin zu studieren, freut sich Bisseck nun, das Trikot der deutschen Nationalmannschaft tragen zu dürfen. "Im Nachhinein bin ich sehr, sehr glücklich, dass ich keine Klausuren schreiben muss, sondern vor 70.000 Zuschauern Fußball spielen darf", so der Nationalspieler.
Den Adler trug er bereits in den Jugendmannschaften des DFB mit "mit großem Stolz auf der Brust". Dabei hätte er auch für Kamerun, das Land seiner Eltern, auflaufen können. Doch Bisseck entschied sich schnell für die DFB-Elf und sein Geburtsland und will nun als Spätberufener voll durchstarten.
Von Nerz bis Nagelsmann - Deutschlands Fußball-Bundestrainer
Das wichtigste Traineramt im deutschen Fußball bleibt bis 2028 in der Hand von Julian Nagelsmann. Er ist seit 2023 der zwölfte Bundestrainer in der Historie der deutschen Nationalelf.
Bild: Marvin Ibo Güngör/GES/picture alliance
Otto Nerz (1926 - 1936)
Obwohl die deutsche Nationalmannschaft seit 1908 Länderspiele austrägt, gibt es erst 1927 die erste Partie mit hauptamtlichem Trainer: Otto Nerz (3.v.l.), Arzt, Pädagoge und früher selbst Fußballer, führt die Nationalmannschaft zu ersten Erfolgen: So holt das DFB-Team 1934 bei der WM in Italien einen überraschenden dritten Platz.
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Sepp Herberger (1936 - 1942 /1950 - 1964)
Sepp Herberger ist schon in der Nazi-Zeit sechs Jahre lang Reichstrainer der Nationalmannschaft. Fünf Jahre nach Kriegsende wird er erster Bundestrainer. Seine Mannschaft um Kapitän Fritz Walter gewinnt 1954 überraschend die Weltmeisterschaft - das "Wunder von Bern". An diesen Erfolg kann Herberger, der "Chef", der der Welt viele Fußball-Weisheiten hinterlässt, später aber nicht mehr anknüpfen.
Bild: sportfotodienst/imago images
Helmut Schön (1964 - 1978)
Herberger übergibt das Amt an seinen langjährigen Assistenten. Schön (r.) führt anders als sein Vorgänger: Die Spieler werden einbezogen und dürfen mitbestimmen. Sie danken es ihm durch gute Ergebnisse. Deutschland wird 1966 Vize-Weltmeister, 1972 Europameister, 1974 Weltmeister (Foto) und 1976 Vize-Europameister. "Der Mann mit der Mütze" ist der einzige Bundestrainer, der WM und EM gewinnen kann.
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Jupp Derwall (1978 - 1984)
Nach der Ära Schön, die nach der WM 1978 endet, wird erneut der vorherige Assistent als Chef installiert. Jupp Derwall startet mit 23 Spielen ohne Niederlage und gewinnt gleich sein erstes Turnier, die EM 1980. Bei der WM 1982 kommt er mit dem DFB-Team ins Finale. Doch als sich nach dem Vorrunden-Aus bei der EM 1984 die Boulevardpresse auf ihn stürzt, tritt "Häuptling Silberlocke" entnervt zurück.
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Franz Beckenbauer (1984 - 1990)
Es übernimmt Boulevard-Liebling Franz Beckenbauer - allerdings als Teamchef, weil er keine Trainerlizenz besitzt. Bundestrainer unter dem "Kaiser" sind zunächst Horst Köppel, später Holger Osieck. Beckenbauer erreicht 1986 in Mexiko das WM-Finale, enttäuscht 1988 bei der Heim-EM mit dem Halbfinal-K.o. gegen die Niederlande - und krönt seine Amtszeit schließlich mit dem Weltmeister-Titel 1990.
Bild: picture-alliance/dpa/M. Hellmann
Berti Vogts (1990 - 1998)
Der Ex-Gladbacher bekommt ein schweres Erbe mit: "Deutschland wird auf Jahre unschlagbar sein", prophezeit Vorgänger Beckenbauer. Vogts muss einen Mix aus BRD- und DDR-Spielern finden. Nach dem EM-Finale 1992 (1:2 gegen Dänemark) enttäuscht das Team mit dem Viertelfinal-Aus gegen Bulgarien bei der WM 1994. Der EM-Titel 1996 versöhnt die Fans. Die WM 1998 endet wieder zu früh - und Vogts hört auf.
Bild: Oliver Multhaup/dpa/picture alliance
Erich Ribbeck (1998 - 2000)
Bin ich Bundestrainer oder du? Die Verpflichtung von Erich Ribbeck (l.) verläuft holprig. Der DFB kann sich nicht entscheiden. Erst wird Paul Breitner ausgewählt, die Idee aber schnell wieder verworfen. Der spätere Co-Trainer Uli Stielike (r.) sagt zu und ist dann überrascht, dass nicht er Bundestrainer ist, sondern Ribbeck. Erfolgreich ist die kurze Ära auch nicht: Vorrunden-Aus bei der EM 2000.
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Rudi Völler (2000 - 2004)
Nach Ribbeck geht das Chaos weiter: Christoph Daum soll Bundestrainer werden, stolpert aber über eine Kokain-Affäre. Rudi Völler springt als Teamchef ein - Bundestrainer ist Michael Skibbe - und führt das DFB-Team 2002 ins WM-Finale. "Es gibt nur ein'n Rudi Völler", singen die Fans. Fußballerisch ist das DFB-Team nicht brillant. Nach dem frühen EM-Aus 2004 stellt Völler sein Amt zur Verfügung.
Bild: Ulmer/imago images
Jürgen Klinsmann (2004 - 2006)
Danach weht ein frischer Wind. Jürgen Klinsmann sorgt für Aufbruchstimmung: junge Spieler, rote Trikots, mutiger Fußball. Die Mannschaft überzeugt beim Confed-Cup 2005 und schreibt ein Jahr später mit Platz drei bei der Heim-Weltmeisterschaft das "Sommermärchen". Deutschland feiert sein Team - das hat es lange nicht gegeben. Doch im Moment des Erfolgs tritt Klinsmann auch schon wieder ab.
Bild: Ulmer/imago images
Joachim Löw (2006 - 2021)
Klinsmann-Nachfolger Joachim Löw führt den gemeinsamen Stil fort und feiert Achtungserfolge: EM-Finale 2008, WM-Dritter 2010. Allerdings steht Löw nach dem Halbfinal-Aus bei der EM 2012 gegen Italien in der Kritik und auf der Kippe. Löw bleibt und wird 2014 in Brasilien Weltmeister. Nach dem WM-Vorrunden-Aus 2018 in Russland wird es erneut eng. Vor der EM 2021 kündigt Löw seinen Rücktritt an.
Bild: picture-alliance/dpa/S. Suki
Hansi Flick (2021 - 2023)
Im Mai 2021 wird Hansi Flick Nachfolge Löws, dem er 2014 als Co-Trainer in Brasilien Weltmeister wird. Flicks Vertrag beginnt nach der EM 2020 und läuft bis zur Heim-EM 2024. Doch sein erstes großes Turnier, die WM in Katar, ist bereits nach der Vorrunde beendet. Nach schlechten Ergebnissen im Jahr 2023 zieht der DFB die Reißleine und entlässt den einstigen Erfolgstrainer des FC Bayern.
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Julian Nagelsmann (seit 2023)
Nach Flicks Ausscheiden dauert es nicht lange, bis der DFB mit dem Ex-Bayern-Trainer seinen Wunschkandidaten verpflichtet. Der mit 36 Jahren jüngste Bundestrainer der Verbandshistorie erfüllt seine erste Mission und spielt eine erfolgreiche EURO 2024 im eigenen Land. Sein Vertrag wird vorzeitig verlängert: zunächst im April 2024 bis zur WM 2026, im Januar 2025 sogar bis zur EM 2028.