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Die Zukunft der Metropolitan Opera mit Nézet-Séguin

Rick Fulker4. Juni 2016

Vom designierten neuen Musikdirektor der Metropolitan Opera in New York kann man neuen Aufschwung erwarten. Bisher hat der junge kanadische Dirigent überall die Erwartungen übertroffen.

Yannick Nézet-Séguin
Bild: picture-alliance/APA/picturedesk.com

Er ist 1,65 Meter groß, athletisch-kräftig gebaut, hat braune Augen, ein freundliches Gesicht, ein Schildkröten-Tattoo auf der Schulter und inzwischen etwas dünner werdendes Haar. Die Musikwelt hat eine Liebesaffäre mit dem Musiker, den sie einfach "Yannick" nennt. Das liegt nicht unbedingt nur an seinem Aussehen. Schon mit 41 Jahren kann Yannick Nézet-Séguin auf ein langes musikalisches Leben zurückblicken: Mit zehn Jahren hat er sich entschieden, Dirigent zu werden. Mit seinem Lebenspartner, dem Bratschisten und Chordirigenten Pierre Tourville, hat er drei Katzen und lebt in Montreal, Philadelphia und Rotterdam - zukünftig auch in New York. Nézet-Séguin ist der erste offen schwule Promi-Dirigent, möchte aber nicht darauf reduziert werden.

Das wird nicht zu befürchten sein: Ob es die Berliner, Wiener oder Londoner Philharmoniker sind, ob bei der Mailänder Scala, der Londoner Covent Garden Opera oder den Salzburger Festspielen - der Frankokanadier gehört zu den gefragtesten Maestros der Welt.

Yannick Nézet-Séguin: bald auch in New York

Nun wird er James Levine als Musikdirektor an einem der prominentesten Opernhäuser der Welt ablösen: der New Yorker Metropolitan Opera (Met). Mit einem Jahresbudget von rund 300 Millionen Dollar (266 Millionen Euro) zählt das Haus zu den größten Kultureinrichtungen der USA.

Yannick Nézet-Séguin bei den Salzburger Festspielen 2008Bild: Getty Images/R. Orlowski

Ferner wurde sein Vertrag als Chefdirigent des Philadelphia Orchester neulich bis 2026 verlängert. "Die Gelegenheit, Musik mit beiden dieser unglaublichen Institutionen zu machen, fand ich unwiderstehlich", sagte er am Donnerstag nach der Bekanntgabe seiner Ernennung an der Met. "Heute bin ich ohne Zweifel der am meisten vom Glück gesegnete Musikdirektor der Welt."

Nézet-Séguin wird mehrere Orchester gleichzeitig leiten

Darüber hinaus ist Yannick Nézet-Séguin Chefdirigent des Orchestre Métropolitain in seiner Heimatstadt Montreal und wird dies auch bleiben. Lediglich seine Stellung als Chefdirigent bei den Rotterdamer Philharmonikern, die er seit 2008 innehat, wird er zum Ende der Spielzeit 2017/18 aufgeben.

Erst 2020 kann Nézet-Séguin seine Aufgaben in New York vollumfänglich übernehmen: Die Kalender von Spitzenmusikern sind bis zu fünf Jahre im Voraus prall gefüllt. Für die Met wird es eine lange Übergangszeit sein, vor allem angesichts der häufigen krankheitsbedingten Abwesenheiten des nach der aktuellen Spielzeit ausscheidenden James Levine. Nach einem schweren Sturz hat der 72-Jährige mehrere Rückenoperationen hinter sich und sitzt seitdem im Rollstuhl. In den letzten Jahren hat das renommierte Haus zudem mit einem drohenden Arbeitskampf, finanziellen Schwierigkeiten und sinkenden Besucherzahlen zu kämpfen. Mit Nézet-Séguin im Orchestergraben hofft man nun auf frische Impulse. Er werde umgehend an der künstlerischen Planung des Opernhauses beteiligt.

Nézet-Séguin bezeichnet sich als "musikalischen Verführer"Bild: picture-alliance/EPA/B. Gindl

Nézet-Séguin als Retter des Philadelphia Orchestra

Yannick Nézet-Séguin wurde 1975 in Montreal geboren und galt schon in jungen Jahren als Wunderkind am Klavier. Im Schulalter sang er im Chor und versuchte sich als Chordirigent. Zu seinem musikalischen Ziehvater wurde der italienische Dirigent Carlo Maria Giulini. Bei der Met debütierte Nézet-Séguin 2009 bei einer Neuinszenierung von George Bizets Oper "Carmen" und war seitdem 50 Mal dort zu erleben. Als Dirigent unterhält er auch feste Arbeitsbeziehungen zum Chamber Orchestra of Europe und zur Wiener Staatsoper. Drei Jahre lang war er "Conductor in Residence" beim Konzerthaus Dortmund.

"Er ist jung, voller Energie" sagte Met-Geschäftsführer Peter Gelb. "Wir erwarten, dass das ganze Unternehmen von dieser Energie angesteckt wird". Diese hat schließlich geholfen, eine andere altehrwürdige amerikanische Musikinstitution vor dem Abgrund zu retten: Ein Jahr bevor Yannick Nézet-Séguin 2012 den Chefsessel des Philadelphia Orchestra übernahm, hatte der Klangkörper Konkurs angemeldet. "Sie sind bereit, alles zu geben", sagte er der DW in Dortmund während einer Tournee des Orchesters im vergangenen Jahr. "Und ich war immer bereit, an vorderster Front zu kämpfen." Inzwischen berichtet die Geschäftsführerin Allison Vulgamore, das Orchester sei aus der Krise heraus und "gedeiht" unter Nézet-Séguins musikalischer Leitung - aufgrund seiner starken Verbindung zu den Musikern, zum Konzertpublikum und zur Stadt selbst.

Ein Dirigent mit Energie und Charisma

Einen persönlichen Eindruck von jener starken menschlichen Verbindung konnte der Autor dieses Berichts 2014 backstage im Bonner Beethovenhaus gewinnen, nachdem Nézet-Séguin die Rotterdamer Philharmoniker beim Beethovenfest dirigiert hatte. Nach einem Konzertauftritt verschwinden die Taktführer meist erschöpft in ihr Dirigentenzimmer. Dieser junge Maestro aber nicht: Er umarmte jedes der vorbeiziehenden Orchestermitglieder, verteilte viele Wangenküsse und hatte für jeden und jede ein lobendes Wort.

Wie auch in Philadelphia, wird es Nézet-Séguin an der Met darum gehen, das New Yorker Opernhaus in die Stadt stärker einzubinden. Auch das Marketing der Opernproduktionen wird er nicht einfach den Experten überlassen.

Beim Konzert des Philadelphia Orchestra in der Semperoper während der Dresdner Musikfestspiele 2015Bild: picture-alliance/dpa/O. Killig

Nézet-Séguin soll junges Publikum begeistern

Charisma, Energie - aber auch Visionen? Sein Met-Vorgänger, James Levine, der in 40 Jahren über 85 verschiedene Opernwerke dort dirigierte, fiel bereits in jungen Jahren durch seinen starken Einsatz für moderne Musik auf. Bisher hat sich Yannick Nézet-Séguin eher durch kräftige, energische Dirigate profiliert, nicht durch richtungsweisende programmatische Ideen. Aber er hat Zeit. Reif als Dirigent sei man erst mit 60, sagt man in der Branche.

Diesem Maestro wird es zugetraut, auch ein jüngeres Publikum anzusprechen. In seinen Konzerten sind etwa Handys erlaubt, man darf dabei twittern. 2011 sagte er der Zeitschrift "Stern": "Wenn wir die Leute aber erstmal so weit haben, dass sie in den Konzertsaal kommen, möchte ich den Teenager sehen, der nicht einsieht, dass hundert Leute, die Lärm machen wie wir, viel mehr umhauen als vier Musiker mit Verstärker."

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