Young Euro Classic bleibt international
31. Juli 2020Jedes Jahr kommen Hunderte junge Musiker aus aller Welt nach Berlin, um beim Young Euro Classic zu spielen, einem der größten internationalen Jugendorchester-Festivals. Was sie alle eint: die Liebe zur klassischen Musik.
Die deutsche Hauptstadt ist nicht nur ein Mekka für Techno-Fans, die zum weltbekannten Club "Berghain" pilgern, sondern auch ein Zentrum für den klassischen Musikernachwuchs. "Die Jugendorchester, die von weither kommen, wollen hier besonders gern deutsche klassische Musik spielen und zeigen, dass sie dazugehören", sagt Dieter Rexroth, künstlerischer Leiter und einer der Gründungsväter des Festivals, im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Eine Plattform für Jugendorchester aus aller Welt
Seit 20 Jahren gibt es Young Euro Classic. Damals wuchs die Europäische Union durch viele Beitritte osteuropäischer Staaten. "Wir wollten mit dem Festival ein Signal für die europäische musikalische Jugend setzen", sagt Rexroth. Im Laufe der Jahre kamen dann außereuropäische Länder hinzu, wie etwa die USA, China oder Japan. Auch Orchester aus Lateinamerika, Australien und aus arabischen Ländern wollten dabei sein. "Die klassische Orchestermusik, die wir betreiben, wurde zwar in Europa geboren, aber sie ist weltweit verbreitet", stellt Rexroth fest.
Rund 24.000 Besucher lockt das Festival jährlich in die Kulturmetropole Berlin, und im Publikum sind alle Altersklassen vertreten. Wie kaum ein anderes klassisches Musikfestival kann Young Euro Classic eine Auslastung von 96 Prozent vorweisen. Das Erfolgsrezept: "Man erlebt junge Leute aus den unterschiedlichsten Ländern und Kulturen, die auch klassische Musik mitbringen, die durch die Volksmusik ihrer Heimat geprägt ist", erläutert Rexroth sein Konzept. "Das trägt entscheidend zur begeisterten Stimmung bei."
Die Welt auf andere Weise nach Berlin bringen
Doch in diesem Jahr ist alles anders. Orchester, die aus Uruguay, Usbekistan, Kanada und Kuba kommen sollten, können wegen der Corona-Pandemie nicht anreisen. Absagen wollte Dieter Rexroth das Festival aber nicht. Deshalb gibt es vom 1. bis zum 10. August statt großer Orchestermusik aus aller Welt Kammermusik in kleinen Besetzungen. Immerhin dürfen die Konzerte unter den gebotenen Hygiene- und Abstandsregeln vor Publikum stattfinden.
Die jungen Musiker sind internationale Studierende, die in Berlin leben. Rexroth hat sie in Zusammenarbeit mit den Berliner Hochschulen und Institutionen ausgewählt. "In Deutschland gibt es wohl keine Hochschulsituation, die so prominent ist wie die in Berlin", meint er und verweist auf die Universität der Künste Berlin (UdK), die Elite-Hochschule für Musik Hanns Eisler (HfM), das Jazz-Institut Berlin und die Barenboim-Said Musik-Akademie, in der gezielt bis zu 100 Stipendiaten aus den Ländern des Nahen Ostens unterrichtet werden. Als Gäste kommen auch Musiker aus dem Bundesjugendorchester und dem European Union Youth Orchester, die jedes Jahr dabei sind.
Qualität ist oberstes Gebot
Unter den ausgewählten jungen Musikstudentinnen ist auch Hwayoon Lee. Die Südkoreanerin studiert Bratsche an der Universität der Künste und wird von der Anne-Sophie Mutter Stiftung unterstützt. Für Hwayoon Lee birgt die klassische Musik eine Sehnsucht nach der Vergangenheit.
"Ich glaube, es liegt daran, dass Koreaner nicht ohne Wurzeln sein können", meint Lee. In Korea gäbe es viele Festtage mit traditioneller Musik, erzählt sie der DW. Auch klassische Musik habe für sie einen festlichen Charakter, sagt sie. "Es ist das festlich Traditionelle, das ich mit meiner Heimat verbinde." In einem Konzert zum Thema "Drama und Poesie" spielt Hwayoon Lee im Trio zwei "Gesänge für Stimme, Viola und Klavier" von Johannes Brahms. Das erste Lied heißt passenderweise "Gestillte Sehnsucht".
Musik der klassischen Moderne hat einen festen Platz
Da in diesem Jahr kein Orchester anreisen und seine Heimatklänge mitbringen kann, hat Dieter Rexroth in den Programmen Komponisten hervorgehoben, die das Musikleben in europäischen Metropolen wie Paris, St. Petersburg, Wien und Berlin geprägt haben. Klassisch romantische Komponisten stehen neben Vertretern der neueren Musik.
So erklingt beim Wiener Abend die "Tritsch Tratsch Polka" des Walzerkönigs Johann Strauss neben atonalen Werken von Anton Webern und Arnold Schönberg. Unterhaltungsmusik in Anlehnung an die 1920er Jahre bietet das Berliner Jazz-Institut mit "Swing, Schlager, Hits und Kuriositäten".
Gezielt sind klassische Komponisten im Programm, die Volksmusik aus ihrer Heimat oder aus anderen Ländern in ihren Werken verarbeitet haben, wie etwa der russische Komponist Sergej Prokofjew mit seiner "Ouvertüre über hebräische Themen". Der griechische Komponist Nikos Skalkottas hat sich mit der Folklore und Tradition seines Landes beschäftigt. Seine griechischen Tänze sind beim Eröffnungsabend "Griechenland und Europa" zu hören.
Die Werte Europas pflegen
Das alte Griechenland steht für demokratische Ideale, die auch die Europäische Union prägen. Diese Ideale sind den Veranstaltern des Young Euro Classic sehr wichtig. Das Orchester sehen sie dabei als "utopisches Miteinander", als Gesellschaftsmodell, in dem europäische Werte wie Freiheit, Gleichheit und Solidarität gelebt werden.
Menschen aus aller Welt - über Ländergrenzen und kulturelle Unterschiede hinweg - musizieren im Orchester harmonisch und gleichberechtigt zusammen. Die klassische Musik trage zu diesem Miteinander bei, sagt Dieter Rexroth. "Die klassische Musik ist Ausdruck dessen, was wir unter Menschenwürde verstehen. Weil sie genau dieses Menschheitsideal zum Ausdruck bringt: Alle Menschen sind gleich."
Zukunft der Orchester in Corona-Zeiten
Durch Corona könne sich die Orchesterwelt allerdings verändern, meint Rexroth. Allein dadurch, dass eventuell Gelder fehlen, um große Orchester weiter zu finanzieren oder freiwerdende Stellen im Orchester mit Nachwuchskräften neu zu besetzen.
Hwayoon Lee hingegen ist optimistisch. Mit ihren 25 Jahren ist sie auf den Konzertbühnen in Deutschland und Europa bereits gefragt. Während des Lockdowns hat Lee ihre Musik aufgezeichnet und die Videos ins Netz gestellt. "So wie die Ärzte medizinisch helfen, habe ich auf meine Weise versucht, Menschen in der Isolation mit Musik zu helfen."
Jetzt aber ist sie froh, endlich wieder auf einer richtigen Bühne vor Publikum spielen zu können. "Es ist toll, nach der langen Coronakrise beim Young Euro Festival aufzutreten. Auf dieser Bühne zu spielen, war ein Traum von mir, und ich hätte nicht gedacht, dass er noch in Erfüllung geht."