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"Durch die Sozialen Medien haben wir die Wahrheit verloren!"

29. März 2018

Nach dem Skandal um Datenmissbrauch durch Cambridge Analytica will Facebook es seinen Nutzern erleichtern, ihre Privatsphäre zu schützen. Die Big-Data-Unternehmerin Yvonne Hofstetter bezweifelt, dass das genügt.

Yvonne Hofstetter deutsche Mathematikerin
Bild: Heimo Aga

Facebook zieht Konsequenzen aus dem Datenskandal: Auch seine Zusammenarbeit mit einigen großen Datenhändlern will das Netzwerk beenden. Das soll den Datenschutz der Nutzer verbessern, teilte der Konzern kürzlich mit. Betroffen seien die Firmen WPP, Experian, Transunion und Acxiom.

Facebook-Chef Marc Zuckerberg hatte sich zuvor dafür entschuldigt, dass die britische Analysefirma Cambridge Analytica Daten von 50 Millionen Facebook-Nutzern einsetzen konnte, um den Wahlkampf von US-Präsident Donald Trump zu unterstützen. Von einer Änderung seines Geschäftsmodells will Facebook aber vorerst nichts wissen. 40 Milliarden Dollar im Jahr setzt das Netzwerk damit um, dass es personalisierte Werbung verkauft. Dafür muss es die Gewohnheiten seiner Nutzer kennen.

Viele Menschen nutzen Facebook am SmartphoneBild: picture-alliance/NurPhoto/N. Kachroo

Was haben Digitalisierung, Big Data oder Künstliche Intelligenz mit unseren freiheitlich-demokratischen Gesellschaften zu tun? Mit dieser und anderen Fragen rund um die Entfaltung und die Auswirkungen der Digitalisierung beschäftigt sich Yvonne Hofstetter. Sie bewegt sich dabei in zwei Welten: in der Welt der Künstlichen Intelligenz und der des Rechts.

 

DW: Frau Hofstetter, was weiß Facebook heute über uns?

Yvonne Hofstetter: Alles. Jedenfalls mehr als Ihre Frau!

Der Algorithmus, den nur Facebook kennt, was genau tut der?

Facebook überwacht Ihr komplettes Online-Verhalten über Cookies. Selbst wenn Sie nicht auf der Facebook-Seite sind, wird aufgezeichnet, wo Sie sich sonst bewegen. Es werden sehr viel mehr Daten gesammelt, als vielen Menschen klar ist.

Ihre Rohdaten sind wie ein Tagebuch, das Sie über Jahre hinweg abliefern. Die Algorithmen verbinden die Daten und finden Dinge über Sie heraus. Zum Beispiel: 'Jemand, der gut HTML programmieren kann, der liebt auch Lakritz.' Solche Dinge werden aus Ihren Tagebuchinformationen erzeugt.

Welche Gefahr steckt denn darin?

Alle Daten, die Sie hinterlassen, sind fluid, die bleiben nicht bei Facebook. Ich habe mal bei einem deutschen Medienunternehmen etwas auf dem Tisch liegen sehen, darauf stand: 'Selektorenliste'. Dieses deutsche Medienunternehmen sagte: 'Wir wollen unsere Kunden besser kennen lernen. Wir wollen genau das machen, was auch Facebook macht. Zwar haben wir diese Daten nicht, aber dann kaufen wir diese Daten eben, etwa bei professionellen Daten-Brokern. Facebook hat immer gesagt, unsere Daten kommen nicht weg. Aber im aktuellen Fall erleben wir das Gegenteil.

Yvonne HofstetterBild: picture-alliance/dpa

Jetzt liegt diese Selektorenliste auf dem Tisch bei irgendjemandem, mit dem Sie nichts zu tun haben, den Sie nicht mal kennen. Das könnte Ihr Arbeitgeber sein oder der Staat oder die Versicherung oder die Krankenversicherung. Vielleicht auch das Krankenhaus? Die Unterlagen können einer Person bis zu 3000 Charaktereigenschaften zuordnen: Ihre sexuelle Orientierung oder sexuellen Vorlieben, oder Ihren Klarnamen.

Den Leuten macht es offensichtlich überhaupt nichts mehr aus, dass ihre Informationen bei x-beliebigen Menschen herumfliegen

Für Sie ist das eine Horrorvorstellung?

Für mich ist das Horror. Viele Leute haben nicht verstanden, worin der Wert von Information liegt – nämlich nicht nur, dass ich in die Vergangenheit schaue.

Der Wert von Information ist, dass ich steuernd und regelnd in Ihre Zukunft eingreife. Darum geht es ja auch in dem konkreten Fall Cambridge Analytica und Facebook. Ich möchte, dass Wähler so entscheiden, wie ich sie manipuliert habe. Ich kann - über die Daten - die Knöpfe bei ihnen identifizieren, an denen ich drehen muss, damit sie etwas machen, was ich möchte. Und sie glauben, sie hätten selbst entschieden!

Sie selbst nutzen, wie ich gelesen habe, kein Smartphone. Aber ist es damit getan? Schützen wir unsere Daten ausreichend?

Sie schützen ihre Daten nicht ausreichend, das können Sie gar nicht. Viele Voreinstellungen sind so gemacht, dass Daten von ihnen abgegriffen werden. Das ist das, was die Wirtschaft will und die schaut natürlich zu, dass sie Daten von Ihnen kriegt – etwa, wenn Sie neue Apps installieren, die dann vielleicht nicht mehr richtig funktionieren, wenn Sie versuchen, ihre Daten besser zu schützen.

Das Maß ist voll, sagen viele nach diesem neuerlichen Datenskandal. Aber das Gros der Nutzer macht weiter wie bisher und nimmt diese Ausforschung in Kauf. Steuern wir sehenden Auges in den Abgrund?

Wir leben in einem Herrschaftssystem, das sich Demokratie nennt. Aber wir haben kein Gefühl mehr dafür, was das bedeutet oder was es heißt, wenn Daten gegen Dich eingesetzt werden. Andere Staaten wie beispielsweise China setzen genau dieselben Technologien ein, um das Gegenteil von Freiheit zu erreichen, nämlich die totale Überwachung und das Zementieren eines repressiven Systems.

Gehen wir in die gleiche Richtung?

Der Skandal um Facebook geht weiterBild: Reuters/D. Ruvic

Wir haben genau die gleichen technischen Möglichkeiten. Was uns aber davon abhält, ist unser Herrschaftssystems. Nur: Wer sagt denn, dass Demokratie auch Demokratie bleiben muss? Wir sehen ja, wie schnell Demokratie kippen kann. In Russland nach dem Fall des Warschauer Pakts oder in der Türkei. Und selbst die USA haben inzwischen eine hybride Herrschaftsform etabliert, etwas zwischen defekter Demokratie und Autokratie.

Gibt es Chancen für einen Wandel? Ein Umsteuern bei der Nutzung digitaler Technologien?

Nein, da bin ich pessimistisch. Wir sitzen in einer Höhle, fühlen uns ganz wohl und wollen gar nicht hören, was draußen los ist. Wenn dann Menschen wie ich erklären: 'Da draußen sieht die Wirklichkeit ganz anders aus.' Dann interessiert das keinen! Am Schlimmsten ist es, wenn sich die Masse in der Höhle umdreht und sagt: 'Das ist ja doch auch nur eine weitere Meinung, die Du da hast.'

Durch die Sozialen Medien haben wir die Wahrheit verloren. Da steht jetzt alles gleich gültig nebeneinander, ob das eine Wahrheit ist, eine Tatsache, eine Meinung oder eine Lüge. Es wird nicht mehr unterschieden! Und das ist natürlich fatal für die Demokratie, denn da muss ich mein politisches Handeln im Diskurs begründen. Die Sozialen Medien haben ganze Arbeit geleistet: Sie haben uns in viele Einzelmeinungen fragmentiert und in Filterblasen gesteckt. Jetzt haben wir ein politisches Meinungsbildungsproblem.

Was fordern Sie?

Facebook, Twitter, Uber, Airbnb - die ganze Plattform-Ökonomie sagt: 'Wir sind ja nur Technologieanbieter. Was da auf unserer Plattform passiert, das geht uns nichts an, dafür übernehmen wir keine Haftung.'

Also muss ich dringend die Plattformen klassifizieren. Dann stelle ich etwa fest: Facebook ist ein Medienunternehmen. Und deshalb muss es für seine Inhalte verantwortlich gemacht werden!

Die studierte Juristin Yvonne Hofstetter, Jahrgang 1966, ist Geschäftsführerin der Big Data-Firma Teramark Technologies GmbH in Zolling. Als Essayistin und Buchautorin publiziert sie zu den Feldern Künstliche Intelligenz, Industrie 4.0 und Big Data.

Das Interview führte Stefan Dege.

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