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Zaghafter Aufschwung in Portugal

Jochen Fagel (Lissabon) 3. September 2015

Mit neuen Qualitätsprodukten wollen Portugals Unternehmen mehr exportieren. Die Landwirtschaft boomt dank neuer Kulturen. Vor allem in der Provinz herrscht Aufbruchstimmung. Jochen Faget aus Nordportugal.

Lissabon (Bildergalerie) UGC
Bild: Farnaz Bernhardt

"Es geht wieder gut. Wir wachsen sogar stärker als erwartet", freut sich Isidro Lobo. Seine Kühlmöbelfabrik im nordportugiesischen Guimarães kann sich vor Aufträgen kaum retten. Nicht nur Portugiesen, auch Kunden aus den Niederlanden, Frankreich und sogar den USA bestellten immer mehr. Kurz und gut, der Laden brummt.

Nach Jahren der Krise herrscht Aufbruchstimmung bei Portugals Unternehmern. Denn die haben fleißig umstrukturiert, reorganisiert und - wichtigste Veränderung - neue Märkte gesucht. Statt simpler Kühltheken für Konditoreien und Metzger etwa baut die Kühlmöbelfabrik von Isidro Lobo jetzt topmoderne Kühlelemente für Supermärkte.

"Einkaufslandschaften" hießen die nun, scherzt der Firmenchef, dann fährt er ernsthaft fort: "Die Krise hat uns Zeit gegeben, über die Ausrichtung unseres Unternehmens nachzudenken. Dazu hatten wir früher nie Zeit. Wir setzen jetzt auf Qualität und Export. " Ergebnis: Trotz geringerem Umsatz bleibt am Schluss mehr Geld in der Firmenkasse. Und die Zahl der Mitarbeiter, die während der Krise auf unter 100 abgesunken war, ist inzwischen wieder auf knapp 200 angestiegen.

Selbst auf den verschlafenen Azoren mitten im Atlantik stiegen die TouristenzahlenBild: DW/J. Faget

Positive Zahlen

Portugal geht es langsam wieder besser, das belegen auch die jüngsten Zahlen: Die Konsumkredite sind um ein Viertel angestiegen, die Autoverkäufe um mehr als ein Drittel. Die Privatinsolvenzen sanken um neun Prozent, sind jedoch trotzdem noch etwa doppelt so hoch wie vor vier Jahren. Die Arbeitslosigkeit gar ist auf unter zwölf Prozent gesunken - wenn auch nur dank massiver Zahlenkosmetik durch die Regierung. Die lässt nicht nur Langzeitarbeitslose, die sich nicht mehr bei den Arbeitsagenturen melden, aus den Statistiken streichen. Sie gibt im Wahljahr 2015 auch besonders viel für eher wirkungslose Ausbildungs- und Umschulungsmaßnahmen aus, die die Zahl der Arbeitslosen zumindest zeitweise drücken.

Trotz alledem: Die Kassen klingeln wieder, es geht aufwärts. Der zu Ende gehende Tourismus-Sommer etwa hat alle Rekorde gebrochen. Dank niedriger Preise und gutem Wetter kamen so viele Touristen wie noch nie, bis zum Jahresschluss dürften es weit mehr als zehn Millionen werden. Der Urlauberansturm ist so groß, dass in Lissabons historischen Altstadtvierteln einerseits die Anwohner über die Fremdeninvasion klagen. Andererseits kurbeln hunderte neu eröffnete Hostels, Restaurants und Straßencafés die Wirtschaft in Portugals zweitgrößter und sonst eher verschlafenen Stadt Porto und sogar auf den Azoren-Inseln mitten im Atlantik an.

Aufschwung in der Provinz

Ausgerechnet in der Provinz scheint sich am meisten zu tun: Im mittelportugiesischen Viseu lässt der Jungunternehmer Filipe Simões eine neue Fabrik bauen. Sein Unternehmen produziert Trockenfrüchte. In Scheiben geschnittene getrocknete Apfel- und Birnenscheiben werden, in bunten Tüten verpackt, als "Gesundheitssnacks" verkauft. Mehr als die Hälfte davon geht ins Ausland. "Wir haben eine Marktlücke gefunden, setzen auf Qualität und Marketing", erklärt Simões stolz. Und die knapp 30 neuen Arbeitsplätze sind in der ländlichen Region Viseu mehr als willkommen.

Trockenfrüchte aus der ProvinzBild: DW/J. Faget

Überhaupt: Die einst schon tot gesagte Landwirtschaft erwacht zu neuem Leben: Tausende sind - auch aus den Großstädten, in denen sie keine Arbeit fanden - aufs Land gezogen, produzieren dort jetzt Blumen, Bienenhonig oder Blaubeeren.

Landwirtschaft boomt

Filipe Rodrigues etwa. "Ich kann Europa schon im März mit Blaubeeren beliefern. Zu dieser Zeit gibt es die sonst nirgendwo", sagt der Mann Ende 30. Ein fast schon typischer Neulandwirt: Der Mann hat nach seinem Wirtschaftsstudium im Ausland gelebt, dann den Familienbetrieb in der Provinz Trás-os-Montes, auf Deutsch "Hinter den Bergen", übernommen. Eigentlich habe er nie daran gedacht, Bauer zu werden, erinnert sich Rodrigues. Dann habe er sich den Betrieb genauer angesehen und die Ärmel hochgekrempelt: "Natürlich mache ich das auch, weil ich richtig Geld verdienen will."

Felipe Rodrigues produziert Pistazien "hinter den Bergen"Bild: DW/J. Faget

Dass das nicht mit herkömmlichen Produkten oder Methoden geht, habe er gleich gewusst, sagt Rodrigues. Darum habe er mit der Blaubeerzucht begonnen und einen Teil des Betriebs auf Pistazienproduktion umgestellt. Die bringen entschieden mehr Geld als die Mandelbäume, die vorher dort wuchsen, rechnet der Landwirt vor. Darüber hinaus sei das Exportpotential nach Europa riesig. Die traditionelle Olivenölproduktion hat Filipe Rodrigues verbessert und modernisiert. Seit dem hat er nicht nur verschiedene internationale Preise gewonnen, er verkauft sein Olivenöl jetzt sogar nach China. Zu Höchstpreisen selbstverständlich, und letztendlich als Folge der Krise: "Ein chinesischer Geschäftspartner hat mich gefragt, ob Portugal denn nichts zu verkaufen habe, wo es so gut wie nichts mehr einkaufe."

Fluch der Niedriglöhne

Die Portugiesen haben ihre Lektion aus der Krise gelernt, stellt Filipe Rodrigues fest. Die Unternehmer legten mehr Wert auf Qualitätsprodukte und wollten diese natürlich auch exportieren. Denn der Binnenmarkt wachse wegen der niedrigen Löhne nur langsam. Trotz erster positiver Anzeichen sei die Wirtschaftskraft der portugiesischen Bürger noch immer geringer als vor der Krise.

Genau da ist die Achillesferse des zarten portugiesischen Aufschwungs: Mit Durchschnittseinkommen von rund 800 Euro lässt sich Portugals Wirtschaft nicht ankurbeln. Das Land muss noch mehr produzieren, noch mehr exportieren. Das jedoch dürfte nur gelingen, wenn das Land die Löhne niedrig hält. Ein Teufelskreis, weiß auch Kühlmöbelhersteller Isidro Lobo aus dem nordportugiesischen Guimarães: "Ich würde unseren Mitarbeitern leidenschaftlich gern bessere Löhne bezahlen. Aber das geht nicht, weil ich als verantwortungsbewusster Geschäftsmann unsere Preise konkurrenzfähig halten muss. Sonst muss ich die Firma irgendwann schließen."

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