Im Zuge der Gewalt an der Grenze zwischen Gazastreifen und Israel starb auch ein acht Monate altes Mädchen - es erstickte nach dem Einatmen von Tränengas. Die Unruhen dürften an diesem Dienstag eine Fortsetzung erfahren.
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Die Zahl der bei gewalttätigen Auseinandersetzungen im Gazastreifen an der Grenze zu Israel getöteten Palästinenser ist auf 59 gestiegen. Ein acht Monate altes Mädchen sei erstickt, nachdem es von israelischen Soldaten eingesetztes Tränengas eingeatmet habe, teilte das Gesundheitsministerium in Gaza mit. Die Zahl der am Montag bei Massenprotesten verletzten Palästinenser belaufe sich auf 2771, etwa die Hälfte von ihnen habe Schussverletzungen erlitten.
Palästinenser gedenken am Nakba-Tag der Vertreibung
Die Proteste im Gazastreifen richteten sich gegen die Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem sowie eine mehr als zehnjährige Blockade des Küstenstreifens durch Israel und Ägypten. Nach den schweren Zusammenstößen ist zunächst nicht mit einer Entspannung zu rechnen. Auch für diesen Dienstag sind wieder Demonstrationen in den Palästinensergebieten geplant. Am 15. Mai gedenken die Palästinenser am Nakba-Tag (deutsch: Katastrophe oder Unglück) der Vertreibung und der Flucht Hunderttausender Landsleute während des ersten Nahost-Krieges 1948 im Zuge der israelischen Staatsgründung.
Israels Vorgehen an der Gaza-Grenze wurde von vielen Ländern, insbesondere in der arabischen Welt, scharf kritisiert. Auf Antrag Kuwaits kommt der Sicherheitsrat um 16.00 Uhr MESZ zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. Israel wirft jedoch der im Gazastreifen herrschenden Hamas vor, Zivilisten im Konflikt auf zynische Weise als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen. Israels Armee hat den Auftrag, Palästinenser um jeden Preis daran zu hindern, die Gaza-Grenze zu überqueren. Die Hamas wolle unter dem Deckmantel der Proteste Anschläge in israelischen Grenzorten verüben, sagte Armeesprecher Ronen Manelis.
Die Hamas sei schuld, sagen die USA
So sehen es auch die USA. Die Regierung in Washington weist die Verantwortung für die Gewalt im Gazastreifen voll und ganz der radikal-islamischen Hamas zu. Die Hamas habe die Situation absichtlich und auf zynische Weise ausgenutzt, sagte ein Sprecher von US-Präsident Donald Trump.
Trump selbst ging auf die Frage, wer Schuld an der Gewalteskaltion trage, nicht ausdrücklich ein. Anlässlich der Feierlichkeiten zur Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem hob er stattdessen die Freundschaft zwischen den USA und Israel hervor. Mögliche Rechte der Palästinenser erwähnte er nicht. "Israel ist eine souveräne Nation mit dem Recht, seine Hauptstadt selbst zu bestimmen", sagte Trump, der nicht persönlich nach Jerusalem gekommen war, sondern sich in einer Videobotschaft äußerte.
Der US-Präsident hatte im Dezember in einem umstrittenen Alleingang Jerusalem als Israels Hauptstadt anerkannt. Die Entscheidung wurde international scharf kritisiert. Es kam seither immer wieder zu Unruhen in den Palästinensergebieten. Israel hat den Ostteil Jerusalems im Sechstagekrieg 1967 erobert. Den Anspruch der Palästinenser auf Ost-Jerusalem als Hauptstadt eines eigenen Staates Palästina lehnt Israel ab. Doch die internationale Gemeinschaft pocht darauf, dass der künftige Grenzverlauf in Verhandlungen beider Seiten geklärt wird.
"Danke, Präsident Trump"
Ungeachtet dessen bezeichnete Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu die Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem als "glorreichen Tag". Israel habe "keine besseren Freunde auf der Welt" als die USA. "Danke, Präsident Trump, dass Sie den Mut hatten, ihre Versprechungen einzuhalten!" Es sei auch "ein großer Tag für den Frieden", sagte Netanjahu. "Ein Frieden, der auf Lügen basiert, kann nur an den Felsen der nahöstlichen Realität zerschellen."
Die Bundesregierung rief angesichts der Auseinandersetzungen zur Mäßigung auf. Die Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem dürfe kein Anlass für Gewalt sein, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amts in Berlin. Im Konflikt um den Status von Jerusalem könne es nur eine einvernehmliche Verhandlungslösung geben.
Scharfe Kritik von Erdogan
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte in London, Amerika sei nun nicht mehr Teil der Lösung des Nahostkonflikts, sondern Teil des Problems. Washington habe seine "Rolle als Vermittler im Friedensprozess des Mittleren Ostens verwirkt und verloren". Erdogan ging noch einen Schritt weiter und bezeichnete Israel als "Terrorstaat", der einen "Genozid" betreibe. Der türkische Botschafter wurde nicht nur aus Israel, sondern auch aus den USA zurückbeordert. Ob es zu einer weiteren Verschärfung der diplomatischen Beziehungen kommt, ist unklar.
sti/haz/sam (dpa, rtr, afp, ap)
Gelobtes Land, Feindesland: 70 Jahre Israel
Triumph oder Katastrophe? Vor 70 Jahren wurde der Staat Israel gegründet. Nach dem Holocaust war der 14. Mai 1948 für Juden ein Wendepunkt, von dem an sie in eine neue, verheißungsvolle Zukunft blickten. Ein Rückblick.
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Triumph der Hoffnung
Es ist vollbracht. Am 14. Mai 1948 verkündete Premierminister David Ben Gurion vor der jüdischen Ratsversammlung die Gründung des Staates Israel. "Nie wich seine Hoffnung", umriss Ben Gurion die Geschichte des jüdischen Volkes. "Nie verstummte sein Gebet um Heimkehr und Freiheit". Nun verfügten die Juden über einen eigenen Staat.
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In der Neuen Welt
Diplomatischer Triumph: Umgehend wird in New York vor dem Gebäude der Vereinten Nationen die Flagge des neuen Staates gehisst. Für die Israelis war dies ein weiterer Schritt in Richtung Sicherheit und Freiheit: Endlich haben sie einen international anerkannten Staat.
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Die dunkelste Stunde
Welche Bedeutung die Staatsgründung Israels hat, wird vor dem Hintergrund des Holocausts deutlich. Die Nationalsozialisten ermordeten während des Zweiten Weltkriegs sechs Millionen Juden. Das Bild zeigt die Insassen des Konzentrationslagers Auschwitz nach der Befreiung.
Bild: picture-alliance/dpa/akg-images
"Nakba" - die Katastrophe
Unmittelbar nach der Staatsgründung greifen unter anderem Ägypten, Syrien, Jordanien und der Irak Israel militärisch an. Israel behauptet sich und erweitert die Kontrolle des palästinensischen Territoriums von 56 auf 77 Prozent. Dies führt zur Flucht von 700.000 Palästinensern. "Nakba", die Katastrophe, steht bis heute für den Nahhostkonflikt, der bereits 1917 mit der Balfour-Deklaration begann.
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Arbeit an der Zukunft
Die Schnellstraße Nr. 2 verbindet nicht nur die Städte Tel Aviv und Netanja - sie dokumentiert auch den Aufbruchswillen des jungen Staats. Eröffnet wurde die Straße 1950 von der israelischen Premierministerin Golda Meir. Sie verordnet dem Land einen straffen ökonomischen und gesellschaftlichen Modernisierungskurs.
Bild: Photo House Pri-Or, Tel Aviv
Kindheit im Kibbuz
Die Kibbuzum - so lautet die Pluralform von "Kibbuz" - waren über ganz Israel verteilte ländliche Kollektivsiedlungen, die vor allem in den ersten Jahren nach der Staatsgründung gebaut wurden. Hier setzten meist säkular oder auch sozialistische orientierte Juden ihre Vorstellungen von Gemeinschaft um.
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Der wehrhafte Staat
Die Spannungen mit den arabischen Nachbarn halten an. 1967 münden sie in den "Sechstagekrieg", in dessen Verlauf Israel Ägypten, Jordanien und Syrien besiegt. Zugleich bringt Israel unter anderem Ost-Jerusalem und das Westjordanland unter seine Kontrolle - der Beginn weiterer Spannungen und Kriege in der Region.
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Siedlungen im Feindesland
Die israelische Siedlungspolitik heizt den Konflikt mit Palästina immer wieder an. Die Autonomiebehörde wirft Israel vor, durch den anhaltenden Siedlungsbau einen künftigen palästinensischen Staat unmöglich zu machen. Auch die Vereinten Nationen verurteilen den Siedlungsbau. Israel zeigt sich bis heute unbeeindruckt.
Bild: picture-alliance/newscom/D. Hill
Wut, Hass, Steine
Im Winter 1987 protestierten die Palästinenser gegen die israelische Vorherrschaft in den besetzten Gebieten. Der Protest entzündete sich in Gaza-Stadt und griff rasch auf Ost-Jerusalem und das Westjordanland über. Der Aufstand zog sich über Jahre hin und endete mit Unterzeichnung des Oslo-Abkommens 1993.
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Endlich Frieden?
Unter Vermittlung des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton nahmen Israels Premierminister Yitzhak Rabin (l) und PLO-Chef Jassir Arafat 1993 Friedensgespräche auf. Diese mündeten in das "Oslo-Abkommen", in dem beide Seiten einander offiziell anerkannten.
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Leerer Stuhl
Der Mord an Jitzhak Rabin am 4. November 1995 torpedierte den Friedensprozess und zeigte die Zerrissenheit Israels. Gemäßigte und Radikale, säkulare und ultra-orthodoxe Juden entfremdeten sich immer mehr. Rabin wurde auf einer Kundgebung von einem radikalen Jura-Studenten erschossen. Das Bild zeigt den damaligen Premier Schimon Peres neben dem leeren Stuhl seines Amtsvorgängers.
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Versuch, das Unsagbare zu sagen
Der Völkermord an den Juden prägt die deutsch-israelischen Beziehungen bis heute. Im Februar 2000 hielt der damalige Bundespräsident Johannes Rau eine Rede in der Knesset - auf Deutsch. Die Sprache der ehemaligen Täter in der israelischen Bundesversammlung: eine ungeheure Herausforderung für beide Seiten, vor allem aber für die Nachfahren der Opfer. Aber auch ein weiterer Schritt der Annäherung.
Bild: picture-alliance/dpa
Die israelische Mauer
Die israelische Siedlungspolitik verhärtet die Fronten im Konflikt mit den Palästinensern. Israel begann im Jahr 2002 mit dem Bau einer 107 Kilometer langen Mauer im Westjordanland. Das unterband zwar teilweise die Gewalt - löste aber die politischen Probleme des 70-jährigen Konfliktes zwischen beiden Völkern nicht.
Bild: picture-alliance/dpa/dpaweb/S. Nackstrand
Verneigung vor den Toten
Der neue deutsche Außenminister Heiko Maas stellt sich entschieden in die Tradition der deutsch-israelischen Annäherung. Seine erste Auslandsreise führte ihn in den jüdischen Staat. Im März 2018 legt er in der Gedenkstätte Yad Vashem einen Kranz zu Ehren der Opfer der Shoa nieder.