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Politik

Die Qual der Zahl

9. Oktober 2018

Es mag verwundern in einem Land, das Statistiken pflegt und gerne Ordnung hält. Aber niemand kennt die Zahl der Moscheen und islamischen Gebetsräume in Deutschland. Die Deutsche Islamkonferenz könnte das bald ändern.

Deutschland Köln Tag der Offenen Moschee
Bild: DW/Julia Vergin

Wie viele Bauten oder auch wie viele Moscheevereine es halbwegs genau gibt - das weiß in Deutschland niemand. Dabei lässt sich so herrlich streiten über angeblich "zu viele" oder auch "immer mehr Moscheen". Seit dem Konflikt um die Kölner Ditib-Moschee sind islamische Gotteshäuser wieder in der Diskussion. Denn viele verbinden mit dem repräsentativen Bau in der Domstadt eine Machtdemonstration des türkischen Staates.

Bei der Zahl der Moscheen, der Gebetsräume oder auch Moscheevereine in Deutschland gibt es nur Schätzungen. Das hat, wie der Religionswissenschaftler Michael Blume erläutert, einen einfachen juristischen Grund: "Nach der deutschen Verfassung gibt es keine Registrierungspflichten für Religionsgemeinschaften. Das heißt: Solange eine Religionsgemeinschaft oder ein religiöser Verband nicht Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, wird das überhaupt nicht erfasst."

Moscheen wie Tempel

Michael Blume, ReligionswissenschaftlerBild: privat

So wisse auch niemand genau, wie viele buddhistische Tempel es in Deutschland gebe, zieht Blume einen Vergleich. Moscheen in Deutschland registrieren sich nach dem Vereinsrecht. Und es bleibt ihnen selbst überlassen, ob sie einem größeren Verband wie der Ditib angeschlossen oder komplett selbständig sind.

Das Gegenbeispiel sind die Großkirchen. Sie werden eigens im umfänglichen "Jahrbuch" des Statistischen Bundesamtes genannt, ebenso wie die jüdischen Gemeinden. Kirchen und jüdische Gemeinschaft in Deutschland haben staatskirchenrechtliche oder Grundlagen-Verträge mit dem Staat. Dagegen fehlt im Statistik-Jahrbuch jedes Stichwort wie "Islam", "Moschee" oder "Muslime". Zudem zählt die zentralistisch geprägte katholische Seite nicht nur in Deutschland, sondern weltweit jeweils sorgfältig, wie viele Kirchen oder Kapellen es gibt.

2500, 2600, 2700

Die liberale "Ibn Rushd Goethe Moschee" in Berlin. Im Grunde ist sie ein Raum in einem evangelischen Gemeindehaus Bild: picture-alliance/NurPhoto/E. Contini

Und doch gibt es Zahlen zu den Moscheen in diesem Land. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) teilte Anfang Oktober mit, es gebe rund 2500 Moscheen. Viele von ihnen lägen in Hinterhöfen, etwa 900 seien öffentlich erkennbar. Auch da lässt sich die Ungenauigkeit durch einen Vergleich erklären. Der Islam ist deutlich weniger hierarchisch organisiert als die anderen monotheistischen Religionen. Da können auch ein paar fromme Freunde zunächst mal einen Gebetsraum einrichten - oder, wie in Berlin, eine feministische Juristin eine "liberale Moschee".

Bis Mai dieses Jahres befasste sich der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages mit der "Finanzierung von Moscheen bzw. 'Moscheevereinen'". Und kam auch auf die Qual der konkreten Zahl an Moscheen. Die Klärung sei schwierig, da keine amtlichen Statistiken über die Anzahl religiöser Gebäude geführt würden. "Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen 2600 und 2700 muslimische Gebetsstätten unterschiedlicher Ausgestaltung existieren." Allerdings würden nur wenige "als Moscheen im klassischen Sinne wahrgenommen". Nur die repräsentativen Neubauten wiesen eine "neo-osmanische bis postmoderne Glas- und Betonarchitektur auf". Die große Mehrheit der teilweise als "Hinterhofmoscheen" bezeichneten Gemeindehäuser befinde sich dagegen anonym in Hinterhöfen, Gewerbegebieten oder umgewandelten Fabrikanlagen.

Immerhin fassen die Fachleute des Bundestages die vorliegenden Schätzungen zusammen: Sie reichten "von mindestens 2350 bis 2750 Moscheegemeinden oder –vereinen". Und sie nennen auch eine Gesamtzahl der Muslime in Deutschland: zwischen 4,4 bis 4,7 Millionen "Muslime unterschiedlichster Glaubensrichtung, Konfession, Ethnie und politischer Gesinnung". Lediglich eine Minderheit, zwischen 15 bis 30 Prozent, der Muslime sei in einer Gemeinde oder einem Verein organisiert.

Repräsentative Bauten und das Ausland

Die Fatih-Moschee in Dresden. Eher unscheinbar, ohne Minarett. Und doch 2016 Ziel eines Brandanschlags Bild: picture alliance/dpa/AP Photo/J. Meyer

Von diesem Defizit konkreter Zahlen kommt Islamwissenschaftler Blume auch zu der Frage, warum die wenigen repräsentativen Moscheen tendenziell aus dem Ausland finanziert sind. Sei es aus der Türkei (der Verband Ditib, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, vertritt nach eigenen Angaben mehr als 960 formell selbständige Mitgliedsvereine) oder aus Saudi-Arabien. "Das große Problem der islamischen Gemeinden ist: Sie haben nicht genügend Geld.", sagt Blume. "Weil sich wirklich sehr wenige Muslime überhaupt als Mitglieder von Moscheegemeinden verstehen." Für den Bau einer kleinen Moschee könne man vielleicht noch Spenden einwerben. Ganz schlimm werde es aber bei der Frage, wer die Imame oder die Jugendarbeit bezahle. "Und deswegen ist der türkische Staat so stark", sagt der Religionswissenschaftler. Der türkische Staat bezahle die Imame. 

Michael Blume, der 2017 das Buch "Islam in der Krise" veröffentlichte, sieht die Ungenauigkeiten insgesamt problematisch. "Wir wissen nicht einmal genau, wie viele Muslime es gibt, weil es nicht erfasst wird. Wir wissen grob die Zahl der Menschen muslimischer Herkunft, die aus muslimisch geprägten Staaten kommen. Aber ein Teil von dem, ein wachsender Teil von dem sagt: Ich bin gar nicht religiös, ich habe mit Religion gar nichts mehr am Hut. Da gibt es andere, die sagen: Ja, ich bin Muslim, aber ich gehöre zu überhaupt keiner Gemeinde und keinem Verband. Und nur ein ganz kleiner Teil schließt sich überhaupt zu religiösen Vereinen zusammen, die dann Moscheen gründen." Nach seiner Überzeugung fehlt es da an Aufarbeitung. Bund und Länder könnten Wissenschaftler beauftragen, eine Übersicht zu erstellen, schlägt er vor. 

So gilt: Eine genaue Zahl der Moscheen in Deutschland kennt niemand. Im Amtsdeutsch des Bundestages gilt für die Zahl ebenso wie für die Frage der Moscheevereins-Finanzierung: Es gebe einen "grundlegenden Mangel vorausgesetzter Daten, fehlenden Zugriff und Kontrollmöglichkeit möglicherweise existierender Datensätze".

Noch im Herbst soll die Deutsche Islam-Konferenz zusammenkommen, zum ersten Mal seit der Bundestagswahl 2017. Eine Verständigung über eine bessere statistische Erfassung könnte da durchaus ein Gesprächsthema sein.