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Politik

Deutlich weniger Terroranschläge weltweit

Rahel Klein
28. Januar 2019

Laut einer Studie gab es 2018 wesentlich weniger Tote durch Angriffe und Anschläge als im Jahr zuvor; auch die Zahl der Terrorattacken sank. Im DW-Interview spricht Terrorismusexperte Matthew Henman über die Gründe.

Syrien, Al-Rakka: Soldaten der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF)
Die Stadt Rakka in Syrien war bis Oktober 2017 in der Hand des sogenannten "Islamischen Staates" Bild: picture-alliance/AP/A. Waguih

Deutsche Welle: Die Zahl der weltweiten Terroranschläge ist 2018 im Vergleich zum Vorjahr um ein Drittel gesunken. Das ist das Ergebnis Ihrer Studie. Demnach gab es auch ein Viertel weniger zivile Opfer durch Anschläge. Was sind die Gründe dafür?

Matthew Henman: Die Zahl der Anschläge war in den Jahren 2016 und 2017 extrem angestiegen, eine Folge aus den Kämpfen um Gebietskontrollen im Irak und in Syrien, also vor allem um Mossul und Rakka. Aber auch wegen Kämpfe um weitere vom "Islamischen Staat" kontrollierte Gebiete. Die Gefechte haben zu einer großen Zahl an erfassten einzelnen Anschlägen geführt. 2018 gab es keine derartigen abgestimmten Kämpfe um größere Ballungsgebiete wie in den Vorjahren. 

Diese rückläufigen Anschlagzahlen in Syrien und Irak haben am meisten dazu beigetragen, dass die Zahl der Terroranschläge in der gesamten Welt gesunken ist. Es geht also vor allem auf die Schwächung des IS zurück.

Gab es im Hinblick auf die Art der Terroranschläge Veränderungen?

Die überwiegende Mehrheit der Gewalt, die wir beobachten, ist immer noch islamistisch. Aber wir sehen auch ein wachsendes Gewaltpotenzial des Rechtsextremismus. Die Zahlen, die wir da in Westeuropa oder den USA haben, sind aber in keinster Weise mit denen islamistischer Gewalt zu vergleichen.

Welches sind die gefährlichsten Terrorgruppen weltweit?

Es wäre ein schwerer Fehler und ein Irrglaube zu denken, dass der IS besiegt sei. Obwohl der IS den größten Teil seiner Gebiete verloren hat, war er im vergangenen Jahr mit Blick auf die Zahl der Todesopfer noch immer die tödlichste Terrororganisation der Welt. Die Bedrohung besteht nicht nur im Irak und in Syrien weiter, sondern auch in Afghanistan, Westafrika, im Jemen, Somalia und in Südostasien bleibt die Gruppe aktiv. An den IS kamen nur die Taliban ansatzweise heran, sie waren 2018 für doppelt so viele Todesopfer verantwortlich wie noch im Jahr davor, vor allem bei den afghanischen Sicherheitskräften gab es viele Opfer.

Deshalb ist Afghanistan vor Syrien im vergangenen Jahr auch zum gefährlichsten Land der Welt aufgestiegen?

Absolut. Es ist eine Kombination aus vor allem zwei Dingen: den Taliban, die große Anschläge auf die Sicherheitskräfte verüben und dem IS und seinen lokalen Ablegern, die vereinzelte, aber hochintensive Massenanschläge gegen die lokale Bevölkerung verüben.

Wie sieht es in Europa aus - hat die Zahl der Anschläge dort zu- oder abgenommen?

Die Geschwindigkeit der Gewalt hat ein Stück weit nachgelassen und die Zahl der Todesopfer ist stark zurückgegangen. Es gab eine Reihe kleinerer Angriffe durch Terroristen, die wir als Einzeltäter einstufen würden, aber es gab im westlichen Europa keine größeren Massenanschläge wie in den Jahren davor. Trotzdem bleibt das generelle Bedrohungslevel hoch, weil es in Westeuropa nicht nur um islamistische Gewalt geht, sondern auch rechter Extremismus auf dem Vormarsch ist - da geht es oft um Sachschäden oder niedrigschwellige Angriffe mit Verletzten.

Weltweit gibt es deutlich weniger Anschläge, aber die Anzahl der Anschläge in der Ukraine ist gestiegen. Dort wurden sogar die meisten Terroranschläge weltweit registriert. Woran liegt das?

Der Konflikt in der Ukraine ist ziemlich statisch. Wir beziehen uns in unseren Analysen auf Open-Source-Daten. Das heißt, wir können nur mit dem arbeiten, was auch gemeldet wird. Wenn Separatisten an der Grenze zur Ostukraine mit kleineren Waffen schießen, dann verzeichnet die Ukraine das als Anschlag. In Afghanistan oder Syrien würde es keine entsprechenden Aufzeichnungen über jedes kleine Feuergefecht geben. Das heißt, es gibt zwar die meisten registrierten Anschläge in der Ukraine, das liegt aber daran, dass die Protokollierung dort deutlich genauer stattfindet und dass die Kämpfe in einer Gegend konzentriert und lokalisiert sind. Das macht es einfacher, sie zu erfassen.

Welche Region ist weltweit die Gefährlichste?

Wenn ich Geld darauf setzen müsste, in welcher Region Islamisten als nächstes die Kontrolle über große Gebiete erlangen, dann würde ich Westafrika sagen. Der IS hat dem nigerianischen Militär schwere Verluste zugefügt, viele dort sind desertiert und das Militär ist auch nicht besonders gut in der Lage, Gebiete zu verteidigen, wenn es ständigen Angriffen des IS gegenübersteht. Ich wäre sehr überrascht, wenn die Terrorgruppe es nicht schaffen würde, die Kontrolle über große Gebiete im Norden Nigerias wiederzuerlangen.

Nigerianische Soldaten führen einen blutigen Kampf gegen islamistische GruppenBild: Getty Images/AFP/I. Sanogo

Was glauben Sie, wie sich die Zahl der Terroranschläge weltweit entwickeln wird? Werden die noch weiter zurückgehen oder wieder steigen, vor allem angesichts der aktuellen Entwicklungen im Nahen Osten?

Ich könnte mir vorstellen, dass es ungefähr so bleiben wird, vielleicht wird es einen leichten Anstieg an Anschlägen geben. Der IS hat die letzten zwölf Monate in Syrien und dem Irak damit verbracht, sich neu zu formieren, sich von den Verlusten zu erholen und sich auf einen Neustart als Aufstandsbewegung vorzubereiten, nicht als territoriale Bewegung wie in der Vergangenheit. Und er wird langsam wieder anfangen, die Zahl der Angriffe zu erhöhen, vor allem im Osten und Süden Syriens und im Nord- und Zentralirak. Die Aktivitäten ihrer Verbündeten an anderen Orten dürften auch weiter steigen. Wahrscheinlich wird es auch mehr Kämpfe in Idlib geben und eine Offensive der syrischen und russischen Regierung, die Kontrolle dort vollständig zurückzugewinnen. Und eine türkische Offensive auf die Kurden in Syrien ist ebenfalls wahrscheinlich. Der Konflikt in der Ukraine dürfte auch nicht abklingen. Und in Afghanistan operieren die Taliban zunehmend aus einer Position der Stärke heraus.

Matthew Henman ist der Stellvertretende Direktor des Jane's Terrorism and Insurgency Center (JTIC) in London. Das JTIC ist Teil des Forschungsinstituts IHS Markit und erstellt anhand von Open Source Daten jedes Jahr den Global Attack index, in dem Terroranschläge weltweit erfasst werden.

Das Interview führte Rahel Klein.

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