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Zahnpasta-Lächeln für Marine

Romy Straßenburg20. Mai 2014

Bei den Europawahlen könnte der rechtsextreme Front National (FN) in Frankreich die meisten Wählerstimmen holen. Unter Marine Le Pen hat sich das Image der Partei gewandelt. Sie gibt sich jünger und bürgerlicher.

Marine Le Pen im Interview mit Journalisten
Bild: Andreas B. Krüger

Kaum hat Gaëtan Dussausaye für das Interview an dem großen ovalen Holztisch Platz genommen, klingelt es an der Bürotür. An diesem Morgen werden Wahlkampfplakate frisch aus der Druckerei angeliefert. Wenige Wochen vor den Europawahlen haben Gaëtan und seine Mitstreiter viel zu tun. Jede freie Minute verbringen sie im Sitz des "Front National Jeunesse", so der Name der Jugendorganisation des FN. "Super!", kommentiert Gaëtan die Poster mit dem Konterfei von Marine Le Pen. Sein Zahnpasta-Lächeln gleicht dem seiner Parteichefin. Vor ein paar Tagen ist er 20 geworden. Er, der Philosophiestudent, der bei den Kommunalwahlen Ende März als Kandidat für den Front National antrat.

Knapp 5,5 Prozent der Wählerstimmen holte er im traditionell linken 11. Pariser Arrondissement, zwischen Place de la Bastille und République. "Das ist eine Wählerschaft, die uns soziologisch nicht gerade nahe steht", gesteht er. "Aber was mich während der Kampagne sehr ermutigt hat, war diese Weiterentwicklung in den Gesprächen mit den Anwohnern. Es gab eine Neugier der Leute. Nicht mehr nur eine radikale Ablehnung. Und es gab sogar ganz eindeutige Sympathiebekundungen für unsere Bewegung." Das sei vor zwei Jahren noch undenkbar gewesen.

Neue Akzeptanz trotz radikaler Positionen

Diese neue Akzeptanz von Teilen der französischen Gesellschaft verdankt die Partei von Marine Le Pen besonders den jungen Kandidaten und FN-Anhängern wie Gaëtan. Der Student mit der sanften Stimme und den femininen Gesichtszügen gibt sich charmant. Seine Antworten sind eloquent, ausgewogen. Häufig reagiert er mit einer Gegenfrage: "Warum sollten die Menschen denn Angst vor uns haben? Was wäre denn überhaupt eine rechtsextreme Partei?"

Gaëtan verpackt die nationalistischen Parolen gesellschaftstauglichBild: DW/Romy Straßenburg

Die Souveränität, die soziale Gerechtigkeit und der Patriotismus - das sind die Werte, wegen derer ich heute im Front National bin." Gaëtan ist ein Anti-Stereotyp, dem es gelingt, die Rechtsextremen deswegen salonfähiger zu machen, weil er alles tut, um die alten, nationalistischen Positionen in einem gemäßigten Diskurs zu verpacken. Denn das Parteiprogramm des Front zielt inhaltlich weiterhin auf ein Frankreich, das sich in sich selbst zurückzieht und abschottet. Dazu gehört die Abschaffung des Euro und die Forderung, Frankreich müsse souverän über die eigenen Grenzen entscheiden können - der Front stellt also das Schengener Abkommen in Frage. Illegale Einwanderer sollen abgeschoben und die Todesstrafe wieder eingeführt werden.

Marine Le Pen spricht die junge Generation an

Der Politologe Jean-Yves Camus sieht in diesem Wechsel der Generationen und der gemäßigteren Rhetorik die wichtigsten Gründe für die neue "Wählbarkeit" des FN, trotz ihrer radikalen Positionen. Die zeige sich zuallererst in der Persönlichkeit der Parteichefin, die 2011 die Nachfolge ihres Vater Jean-Marie antrat. "Marine Le Pen hat mehr Chancen auf Wahlsiege als einst ihr Vater aus mehreren Gründen: Sie ist vierzig Jahre jünger als er. Jean-Marie Le Pen sprach zu den Leuten eher wie ein älterer Herr, der noch die vierte französische Republik kannte, das französische Kolonialreich. Marine Le Pen spricht mit Worten und über Themen ihrer Generation." Noch im vergangenen Dezember war ihr Vater wegen rassistischer Parolen über die Volksgruppe der Roma ein weiteres Mal zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

Marine Le Pen spricht die jüngeren Franzosen anBild: Reuters

Gaëtan äußert auf Nachfrage zwar flammendes Lob für die Leistungen des 85-Jährigen, aber dieser sehe eben "die Welt nicht unbedingt auf die gleiche Art und Weise wie ein junger Mensch im 21. Jahrhundert." Deswegen spreche er lieber über die heutige Politik seiner Partei anstatt über die "Geschichtsstunde" und über Faschismus und Islamfeindlichkeit. Die "Verteufelung", der die Partei so lange ausgesetzt gewesen sei, würde heute nicht mehr funktionieren. "Der Front National hat eine Dynamik angestoßen und klar gemacht: Jetzt reicht es. Wir werden die Medien und unsere politischen Gegner dazu zwingen, uns so zu sehen, wie wir sind, mit unserem Projekt, unseren Ambitionen, mit unserem Programm."

Weniger Europa wählen

In den Umfragen zu den Europawahlen am 25. Mai liegt die Partei derzeit knapp über 20 Prozent und noch immer ist es möglich, dass sie am Ende als stärkste Partei hervorgeht. Darin spiegelt sich einerseits der Frust über die ausbleibenden wirtschaftlichen Erfolge der Regierung von François Hollande. Andererseits aber auch die steigende Skepsis der Franzosen gegenüber Europa. Aus einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos geht hervor, dass 74 Prozent mit ihrer Stimme bei den Europawahlen ihr Misstrauen gegenüber der EU zum Ausdruck bringen wollen. In Deutschland sind es 50 Prozent. Dass die Zugehörigkeit zu Europa eher eine "gute Sache" ist, finden in Frankreich nur noch 48 Prozent der Befragten (aber 63 Prozent der Deutschen). Mit seiner Anti-Europa-Rhetorik stößt der FN also bei den krisengebeutelten Franzosen, deren Regierung Brüssel zu verstehen gegeben hat, es brauche mehr Zeit um die Haushaltsdefizitgrenze einzuhalten, auf offene Ohren.

So sieht der neue Front National aus: Julien Rochedy und Marion Maréchal-Le PenBild: Andreas B. Krüger

Und so lautete bei der Vorstellung ihrer Europawahl-Kandidaten am 22. April in Paris die Botschaft dann erwartungsgemäß "für weniger Europa wählen gehen". Ganz hinten im Saal, mit verschränkten Armen an eine Wand gelehnt, verfolgte Marion Maréchal-Le-Pen die Pressekonferenz. Sie begleitet ihre Tante Marine und den Großvater Jean-Marie bei Wahlkampfauftritten, spricht in Mikrofone und posiert für Fotos. "Europa ist eine neue Form von Hegemonie, die es zu bekämpfen gilt", findet die 24-Jährige. Drei Generationen des Front, die behaupten es ginge mehr denn je um "Frankreichs Freiheit".

Die etablierten Parteien haben noch keine passende Antwort auf die Frage gefunden, wie sie in Zukunft den alten, aber neu verpackten Positionen und den immer neuen Wahlerfolgen der Rechtsextremen entgegenwirken können. Gaëtan will indes alles dafür tun, dass der Front bei den Präsidentschaftswahlen 2017 an die Macht kommt. Er, so Gaëtan, gehöre schließlich zu denen, die "noch an Frankreich glauben".

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