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PolitikEuropa

Zankapfel der Politik: 13 getötete Geiseln

Daniel Derya Bellut
19. Februar 2021

Im Nordirak hat die türkische Armee 13 Leichen von entführten Staatsbürgern entdeckt. Der Vorfall vertieft die Gräben zwischen Opposition und Regierung - Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Bei einem Provinzparteitag der AKP am 15. Februar gesteht Staatspräsident Erdogan den Misserfolg bei der Befreiung der Geiseln ein: "Wir haben es nicht geschafft"
Staatspräsident Erdogan über den Versuch, die Geiseln zu befreien: "Wir haben es nicht geschafft"Bild: Emin Sansar/AA/picture alliance

Bei einer Militäroperation der türkischen Streitkräfte gegen die verbotene Kurdische Arbeiterpartei (PKK) im Nordirak wurden letzte Woche die Leichen von 13 türkischen Staatsbürgern aus einer Gebirgshöhle in der Gara-Region geborgen. Die PKK, die von der Türkei, den USA und der Europäischen Union als Terrorgruppe eingestuft wird, kämpft seit 1984 für die politische Autonomie der kurdisch besiedelten Gebiete in der Türkei. Die Umstände des Todes der 13 Personen sind bisher ungeklärt: Laut Angaben der türkischen Regierung sollen sie per Kopfschuss von den Milizen ermordet worden sein. Die PKK bestreitet das. Die Geiseln seien durch Bombardierungen durch die türkischen Luftwaffe ums Leben gekommen. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sagte, die Armee hätte die Entführten retten wollen. "Wir haben es nicht geschafft", gab er den Misserfolg zu.

Wer sind die 13 Toten?

Es handelt sich um türkische Staatsbedienstete - darunter Polizisten und Soldaten -, die in den Jahren 2015 und 2016 von der PKK im Südosten der Türkei entführt und in den Nordirak verschleppt wurden; dort hielt man sie jahrelang als Geiseln. Seit der türkische Staatspräsident Erdogan 2015 den Friedensprozess mit den Kurden aufgekündigt hat, entführt die Miliz wieder vermehrt türkische Staatsbürger und nimmt sie als Geiseln.

Öztürk Türkdogan - der Rechtsanwalt ist der Vorsitzende des Menschenrechtsvereins IHD Bild: privat

Was wusste die Regierung?

Diese Geiselnahmen durch die PKK haben in der türkischen Öffentlichkeit bisher nur wenig Beachtung gefunden. Oppositionspolitiker und Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass die Regierung beim Umgang mit dem Thema Transparenz vermissen lasse.

Nach Angaben des türkischen Menschenrechtsvereins IHD etwa habe man die Familienangehörigen der Geiseln jahrelang im Dunkeln gelassen. Sie hätten sich mehrmals vergeblich an Parteien oder NGOs wenden müssen, um Informationen über die Entführungen zu erhalten, berichtet der IHD-Vorsitzende Öztürk Türkdogan der Deutschen Welle. "Alle Kontaktaufnahmen waren erfolglos. Der Staat wollte einfach nicht kommunizieren."

Auch der Abgeordnete der größten Oppositionspartei CHP, Murat Bakan, berichtet der DW, dass die Regierung seine parlamentarischen Anfragen stets ignoriert habe. 

Der CHP-Abgeordnete Murat Bakan hat sich schon lange für die Geiseln eingesetztBild: Privat

Zahlreiche Familien hätten sich über die Gleichgültigkeit und den fehlenden Willen des Staates zur Aufklärung beklagt, so Bakan. "Obwohl ich die Situation der Familien - ihre Schreie und Hilferufe - ständig an das Parlament herangetragen habe, wurden nie irgendwelche Maßnahmen ergriffen."

Was kritisiert die Opposition?

Die sozialdemokratische CHP macht die türkische Regierung für den Tod der 13 Geiseln im Nordirak verantwortlich. In einer viel beachteten Rede auf der Fraktionssitzung warf der CHP-Vorsitzende Kemal Kilicdaroglu dem türkischen Präsidenten vor, zu wenig für die Rettung der Geiseln getan zu haben. Erdogan hätte die Geiselhaft durch Verhandlungen mit dem inhaftierten Kurdenführer Abdullah Öcalan beenden können. Auch Donald Trump, zu dem Erdogan gute Beziehungen pflegte, hätte vermitteln können. Der Präsident hätte, laut Kilicdaroglu, mit Menschenrechtsorganisationen kooperieren müssen, um eine Freilassung der Geiseln zu erwirken. Zudem warf er die Frage auf, warum die Militäroperation im Nordirak, die zu dem Tod der türkischen Staatsbürger führte, missglückte.

Der türkische Präsident Erdogan ließ alle Fragen unbeantwortet und bezeichnete Kilicdaroglu als "schlecht erzogen". Nach einer Kabinettssitzung am Mittwoch legte Erdogan gegen seinen Rivalen nach: "Kilicdaroglu ist ein Mann, der den CHP-Vorsitz mit Hilfe von Gewalt und Betrug erhielt." Zudem warf er dem Oppositionsführer vor, er wolle nicht zugeben, dass es sich bei der PKK um eine "verabscheuungswürdige Terrororganisation" handele. 

Der CHP-Chef Kilicdaroglu wirft Erdogan Versagen bei dem Geiseldrama vorBild: Adem Altan/AFP

Wie reagiert die türkische Regierung auf den Vorfall? 

Als sich Erdogan diese Woche auf einem Parteikongress der AKP in der Schwarzmeerstadt Rize befand, kam es zu einem kuriosen Auftritt: Während er auf dem Podium sprach, zückte er plötzlich sein Mobiltelefon und rief die Mutter einer der getöteten Geiseln an. Er erklärte der Mutter, dass ihr eine große Ehre zuteil werde, weil ihr Sohn nun ein Märtyrer sei, der "so Gott will, ein Nachbar unseres lieben Propheten geworden ist". Dann versprach Erdogan der Mutter, ihren Sohn zu rächen.

Das Telefonat wird von der Opposition heftig kritisiert, weil Erdogan den Tod von 13 türkischen Bürgern die nutze, um nationalistische Reflexe in der türkischen Bevölkerung zu schüren - für die eigene politische Agenda. Kritiker halten dem türkischen Präsidenten häufig vor, mit Hilfe von nationalistischer Rhetorik und Symbolpolitik von den wahren Problemen im Land abzulenken: Der desolate Zustand der türkischen Wirtschaft sowie zahlreiche Pannen bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie.

Wird die HDP zum Sündenbock erklärt?

Auch an der prokurdischen HDP ließ Erdogan kein gutes Haar. Er bezeichnete die Partei als "offizielle Terroristenhandlanger" und sprach der ihr das Existenzrecht ab. "Eine Partei, die die PKK nicht als terroristische Organisation definiert und sich nicht von ihr distanziert, kann keine politische Partei dieses Landes sein".

Die Tirade folgte einer Flut von Festnahmen: Insgesamt 718 Menschen wurden in Folge des Vorfalls in der Gara-Region in Gewahrsam genommen, darunter auch Provinz- und Bezirksvorsitzende der HDP. Nach Angaben des türkischen Innenministeriums werden ihnen Verbindungen zur PKK vorgeworfen - ein häufiger Vorwurf gegen kurdische Politiker: Die Beweislast ist in den meisten Fällen dünn. Die HDP-Führung argumentiert, dass zurzeit versucht werde, ihre Partei zu "kriminalisieren". "Die Anschuldigungen und Angriffe gegen die HDP sind ein Lynchversuch und Teil einer politischen Kampagne. Wir lehnen das ab", sagte der stellvertretende Vorsitzende der HDP-Fraktion Saruhan Oluc der DW.

Auch Experten sehen Anzeichen dafür, dass die türkische Regierung die HDP schrittweise kriminalisiert, um schließlich ein Parteiverbot zu rechtfertigen. Die linksgerichtete Partei ist die zweitgrößte Oppositionspartei und erwies sich bei den vergangenen Wahlen stets als Zünglein an der Waage. Sollte die HDP bei den nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Jahr 2023 die 10-Prozent-Hürde überschreiten, könnte es für Erdogan schwierig werden, eine Mehrheit zu erreichen. Seine islamisch-konservative Partei AKP verzeichnet seit Monaten schwache Umfragewerte.