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Politik

Zankapfel Flugabwehrsystem S-400

Roman Goncharenko
1. Juli 2019

Trotz US-Drohungen erhält die Türkei moderne Flugabwehrsysteme vom Typ S-400 aus Russland. Was macht diese Waffe so besonders, dass die Regierung in Ankara mit dem Deal ihre NATO-Partner brüskiert?

Das S-400-Luftabwehrsystem bei einer Präsentation in Moskau
Das S-400-Luftabwehrsystem bei einer Präsentation in MoskauBild: picture-alliance/AA/S. Karacan

Im Juli könnte es so weit sein: Vieles deutet darauf hin, dass die Türkei als erstes und bisher einziges NATO-Mitglied das moderne russische Flugabwehrsystem vom Typ S-400 geliefert bekommt. Appelle der US-Regierung, den 2,5-Milliarden-Dollar-Deal mit Russland zu stornieren, haben offenbar nichts genutzt. In Washington herrscht Sorge, Moskau könnte über seine Waffensysteme die NATO ausspionieren - vor allem die modernen US-Tarnkappen-Kampfflugzeuge vom Typ F-35, deren Verkauf an die Türkei die USA nun stoppen könnten.

Flexibel und günstig

Beim S-400 "Triumph" handelt es sich um ein Flugabwehrsystem großer und mittlerer Reichweite. Es ist das bisher leistungsstärkste Modell in einer Reihe von Abwehrsystemen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in der Sowjetunion entwickelt und später in Russland modernisiert wurden. Die Zahl 400 steht für die maximale Reichweite in Kilometern. Es kann Flugzeuge und taktische ballistische Raketen in einer Höhe von bis zu 27 Kilometern abschießen.

Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau soll das S-400-System das Rückgrat der russischen Flugabwehr bilden. Es wurde 2007 in den Dienst gestellt. Seitdem werden immer mehr Einheiten damit ausgestattet, auch auf der annektierten ukrainischen Halbinsel Krim und in der russischen Ostsee-Exklave Kaliningrad.

Ein S-400 besteht aus diversen Fahrzeugen, darunter einer Kommandozentrale, mobilen Radarstationen und Raketenwerfern. Hersteller ist der staatliche Rüstungskonzern "Almaz-Antey", der wegen Russlands Vorgehen gegen die Ukraine sowohl in der EU, als auch in den USA auf der Sanktionsliste steht. S-400 wurde entwickelt, um Flugzeuge, strategische Marschflugkörper, taktische ballistische Raketen, aber auch Drohnen in einer Höhe bis zu 27 Kilometern abzuschießen. In russischen Medien wird behauptet, das System sei besser als die Konkurrenzprodukte aus den Vereinigten Staaten oder Frankreich.

S-400-System bei einem Test in St. Petersburg (2015): Günstiger und besser als Konkurrenzprodukte?Bild: picture-alliance/AP Photo/D. Lovetsky

"Während der Westen die besseren Flugzeuge produziert, waren die Russen schon immer führend in der Raketentechnologie", bestätigt Richard Connolly von der britischen University of Birmingham. S-400 sei außerdem sehr flexibel und könne mit diversen Raketentypen eingesetzt werden. Ein weiterer Vorteil sei der Preis. "Das S-400 ist ungefähr halb so teuer wie das US-System 'Patriot'", so Connolly.

Doch es gibt möglicherweise auch politische Gründe für die Türkei, das russische Rüstungsprodukt zu kaufen. Gerade die Tatsache, dass S-400 speziell für Einsätze gegen US-Waffen entwickelt wurde, könnte für die Türkei attraktiv sein, meint der britische Experte und nennt als Beispiel den Putschversuch 2016, als das türkische Präsidentenmaschine in der Luft von einem F-16-Kampfjet bedrängt wurde, den einer der Putschisten flog.

Der Moskauer Militärexperte Alexander Golts ist der Ansicht, das der S-400-Kaufrein politisch ist. "Die Türkei hat keine Feinde, vor denen sie sich mit S-400 schützen müsste. Das ist ein Signal an die USA und andere, dass Ankara eine selbstständige Verteidigungspolitik betreibt", so Golts.

Erster Kriegseinsatz in Syrien

Die Türkei wäre das zweite Land nach China, das Abwehrsysteme vom Typ S-400 geliefert bekommt. Indien hat bereits einen Vertrag über 5,5 Milliarden Dollar unterschrieben und wartet auf die Lieferung. Auch einige Staaten der Golfregion haben Interesse signalisiert.

S-400-Start in Astrachan: Abschuss von Objekten in 27 Kilometern HöheBild: Getty Images/AFP

Doch das russische Raketenabwehrsystem habe auch Nachteile, sagen Experten. "Es wurde noch nie in einer ernsten Kriegssituation erprobt", macht Siemon Wezeman vom Stockholmer internationalen Friedensforschungsinstitut SIPRI deutlich: "Das einzige im Kampf getestete Flugabwehrsystem ist das US-System 'Patriot' im Golfkrieg 1991."

Dabei hat Russland sein Abwehrsystem bereits in Syrien stationiert, um seine Stützpunkte dort zu schützen. Präsident Wladimir Putin sagte außerdem, man teste dort neue Waffensysteme. "S-400 hätte die Chance gehabt, seine Fähigkeiten beim Schlag der USA mit 'Tomahawk'-Raketen auf Syrien 2018 zu zeigen, doch die russische Führung war vernünftig genug, es nicht einzusetzen", sagt der Moskauer Experte Golts.

Hoffnung auf Technologietransfer

Die Vorgängermodelle, etwa das S-300, waren in der Sowjetunion als Teil eines großen landesweiten Flugabwehrsystems konzipiert. Die Besonderheit von S-400: Es kann allein eingesetzt werden. Genau das macht es für die Türkei möglich, das russische Waffensystem außerhalb des NATO-Netzwerks zu betreiben. 

Offen ist, wie die Türkei ihre S-400 selbst vor Luftangriffen schützen möchte. In Russland übernimmt diese Rolle ein modernes Kurzstrecken-Flugabwehrsystem. Es wird quasi im Doppelpack mit S-400 an die eigene Truppe geliefert. Ob die Türkei auch dieses System in Russland kauft, ist unklar. Die Regierung in Moskau hat signalisiert, gerne auch andere Waffen an die türkische Armee verkaufen zu wollen.

Die Türkei erhofft sich von Russland auch einen Technologietransfer. So sollen einige S-400-Bauteile in türkischen Fabriken produziert werden. "Das wird aber eher eine symbolische Beteiligung", glaubt Alexander Golts und spricht von "ein paar Schrauben, nicht mehr". Nach unbestätigten Berichten russischer Medien habe Moskau sich geweigert, der Türkei Zugang zu den elektronischen Einstellungen, zu geben, etwa zur Erkennungssoftware, die Freund und Feind unterscheiden soll.

Nachfolgemodell offenbar schon serienreif

Während Russland gerade dabei ist, auch die eigene Armee mit S-400 auszustatten, wird bereits mit Hochdruck am Nachfolgemodell gearbeitet. Es soll S-500 "Prometheus" heißen und voraussichtlich 2020 einsatzbereit sein. Das Modell sei serienreif, teilte am Dienstag der Industrie- und Handelsminister Denis Manturow mit. Vom neuen System verspricht sich Moskau eine noch größere Reichweite, die gar den Abschuss tief fliegender Satelliten ermöglichen soll.

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