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Politik

Zanken, um die AfD klein zu halten

18. November 2016

Gemeinsam sind sie stark, getrennt wollen sie es aber auch manchmal sein. Die Unionsschwesterparteien CDU und CSU, eigentlich vereint, zanken auf offener Bühne - auch aus strategischen Gründen. Das gab es schon einmal.

Deutschland Merkel und Seehofer
Bild: Getty Images/S. Gallup

Wer die Stimmung ein bisschen aufmischen will, geht auf Facebook. Ruprecht Polenz hat es vor einigen Wochen gemacht. "CDU-Geschäftsstelle sucht Büro-Immobilie in München", hat er geschrieben. "Vorzugsweise in der Nähe des Bayerischen Landtags", ergänzte der frühere Generalsekretär der CDU. Das war eine echte Grenzüberschreitung, der Versuch, ins Revier der CSU einzubrechen. War natürlich alles nur Spaß. Aber ein Wirkungstreffer.

Wohl noch nie in der langen gemeinsamen Geschichte lagen sich die beiden Christen-Parteien so in den Haaren wie seit Beginn des Flüchtlingszuzugs. Entlang der Frage, wie mit dem Ansturm umzugehen sei, verläuft die Argumentationsfront. Zwischen "Wir schaffen das" (Kanzlerin Merkel) und "Wir ändern das" (Tenor der CSU). Vor lauter Dissens blieb Angela Merkel dem CSU-Parteitag fern. Und Horst Seehofer, der CSU-Chef, kommt nun auch nicht zum CDU-Parteitag nach Essen Anfang Dezember.  

Der Geist, der aus Kreuth kam

Der Streit unter den Unionsschwestern ist derart massiv, dass erstmals seit langem wieder ein Gedanke Konjunktur hatte: die Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft. Und dahinter steht die viel fundamentalere Frage, ob die CSU, die nur in Bayern zur Wahl steht, demnächst auch bundesweit antreten soll? Oder: Will die CDU, die in Bayern politisch abstinent ist, Einzug in das größte Flächenland halten? Pläne wie diese gab es schon einmal.

Zwei, die sich nicht schätzten. Helmuth Kohl (links) und CSU-Chef Franz-Joseph StraußBild: picture-alliance/dpa

Es war der 19. November 1976 und die Nachricht schlug ein wie eine Bombe: Die CSU beschloss auf einer Klausurtagung in Wildbad Kreuth das Ende der Fraktionsgemeinschaft mit der CDU. Es war die große Zeit des Franz Josef Strauß. Der Parteichef der CSU lieferte sich über Jahre teils erbitterte Duelle mit Helmut Kohl, dem Vorsitzenden der CDU.

Beide litten unter dem Verlust der Macht im Bund. Beide hielten sich für den jeweils besseren Kanzler-Herausforderer. Seit sieben Jahren regierten Sozialdemokraten das Land - erst Willy Brandt, dann Helmut Schmidt. Nur eine Woche nach dem legendären Trennungsbeschluss von Wild Bad Kreuth legte der Bayer nach und bezeichnete Kohl in einer heimlich mitgeschnittenen Rede als "total unfähig" und schickte noch gleich die Prophezeiung hinterher: "Der Mann wird nie Kanzler". Womit er gründlich falsch lag.

Drei Wochen tobte der Kampf der Unionsschwestern. Am 12. Dezember nahm die CSU offiziell die Entscheidung zurück. Was sie sich reichlich vergolden ließ. Die besondere Eigenständigkeit der Christsozialen innerhalb der Bundestagsfraktion wurde gestärkt und in wichtigen politischen Fragen steht der kleineren Partei aus Bayern seitdem ein Vetorecht zu.

Letztlich ging es damals um die Machtfrage. Die Union hatte - mit Helmut Kohl als Spitzenkandidat - die Bundestagswahl 1976 verloren. Der Frust darüber war besonders bei der CSU zu spüren. Strauß, nicht Kohl, durfte 1980 Schmidt herausfordern - doch auch er verlor.

Wenn die CDU nach Bayern geht

Was hat die CSU damals zum Einlenken bewegt? Helmut Kohl hatte nach dem Trennungsbeschluss der kleineren Schwester gedroht, mit seiner CDU politisch in Bayern einzumarschieren. Das zeigte Wirkung. Ein CDU-Landesverband hätte, so die Berechnungen, der CSU großen Schaden im eigenen Revier zugefügt. Vor allem in den Großstädten und in den protestantischen Regionen Frankens hätte die CSU Federn lassen müssen. Ein Nachteil, der mit zusätzlichen Stimmen für eine bundesweit auftretende CSU nicht zu kompensieren gewesen wäre.

Die Flüchtlingspolitik entzweit die Unionsparteien. Längst dient der Konflikt wahlstrategischen Überlegungen Bild: picture-alliance/dpa/A. Weigel

Umgekehrt weiß die CDU, was sie an der kleineren Schwester aus Bayern bundespolitisch hat. Sie profitiert nachweislich von der Stärke der CSU im südlichsten Bundesland. Keine andere Partei hat so häufig mit absoluter Mehrheit regiert wie die Christsozialen in Bayern. Ein politisches Pfund, das der Union bei Bundestagswahlen nicht nur einmal zum Erfolg verhalf. Sie band und bindet die Rechtskonservativen an die Union - zumindest in Bayern.

Rechts von der Union: die AfD

Genau diese Erkenntnis sorgt nun unter neuen politischen Vorzeichen für Unruhe in den Unionsreihen - vor allem auf Seiten der CSU. Mit der AfD ist eine Partei auf Erfolgskurs, die eindeutig rechts von den Unionsparteien steht. Die alte Strauß-Formel, dass rechts von der Union nur noch die Wand zu sein habe, gilt derzeit nicht mehr. Das ist einer der Gründe, warum die CSU in der Flüchtlingspolitik anders auftritt als die Kanzlerin. Merkel verprelle mit ihrer Politik der offenen Grenzen klassisches Wählerpotential am rechten Rand, so der Vorwurf aus München.

Tatsächlich verliert die Union seit Monaten Wähler an die AfD. Umgekehrt genießt CSU-Chef Horst Seehofer unter AfD-Anhängern ein deutlich größeres Vertrauen als die AfD-Vorsitzende Frauke Petry. Inoffiziell scheint zwischen den Schwesterparteien seit langem abgemacht, dass die Kontroverse um die Flüchtlingspolitik wahlstrategischen Überlegungen folgt. Die CSU, die ihr früherer Vorsitzender Franz-Joseph Strauß schon früh zur Partei der deutlichen Aussprache erklärt hatte, scheut sich jedenfalls schon lange nicht mehr, in der Flüchtlingsfrage Forderungen der populistischen AfD zu übernehmen.

Horst Seehofer will, dass die Partei unbequeme Ansichten der Bevölkerung aufnimmt. Sein Bonmot Richtung Berlin, dort seien zu viele der Ansicht, das Volk störe die Politik beim Rechthaben, kommt gut an an bei der eigenen Parteibasis, aber auch bei potentiellen AfD-Wählern. Was nur im Interesse Angela Merkels sein kann, denn so umarmen die beiden Unionsschwestern sowohl die "Wir-schaffen-das", als auch die "Wir-korrigieren-das"-Klientel.