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Senator: "Ich weiß, wo die Mädchen sind"

Jan-Philipp Scholz, z.Zt. Abuja16. Mai 2014

Senator Ahmed Zanna kommt aus der Region, die am schlimmsten vom Boko Haram-Terror betroffen ist. Obwohl selbst ein Mitglied der Regierungspartei, wirft er dem Präsidenten Versagen im Kampf gegen die Terroristen vor.

Ahmed Zanna Senator Nigeria
Bild: DW/J. P. Scholz

Deutsche Welle: Die Entführung der Schülerinnen vor einem Monat ist in Ihrem Heimatstaat Borno passiert. Angeblich wussten die nigerianischen Sicherheitskräfte schon Stunden vorher, dass Boko Haram die Schule in Chibok überfallen würde. Wie konnten die Terroristen trotzdem ungehindert mehr als 200 Mädchen verschleppen?

Ahmed Zanna: Das ist wirklich beängstigend, aber das ist seit mindestens einem halben Jahr Alltag. In einigen Fällen hat Boko Haram sogar Drohbriefe verschickt, wo sie als nächstes angreifen wollen. Diese Informationen erreichen auch die Sicherheitsorgane, aber leider werden daraus keine Konsequenzen gezogen. Es gibt verlässliche Quellen, die besagen, dass unsere Sicherheitskräfte zwei bis drei Stunden vorher von dem Angriff wussten, aber nichts unternommen haben. Als Boko Haram dann den Angriff startete, waren schon alle verschwunden. Einer der Soldaten hat einen Herzinfarkt bekommen und ist gestorben, der Rest ist einfach weggelaufen.

Der nigerianische Staat gibt umgerechnet 4,5 Milliarden Euro für sein Militär aus. Warum herrschen dann bei Armee und Polizei solche Zustände?

Ich bin wirklich irritiert vom Verhalten unserer Sicherheitskräfte. Die Befehlshaber, mit denen ich in Kontakt bin, beschweren sich vor allem über die mangelhafte Ausrüstung. Es fehlt an Waffen, sogar an Uniformen. Die Moral der Soldaten ist extrem gering. Ich würde auch gerne wissen, wohin das ganze Geld fließt.

Es gibt Informationen, dass einige hochrangige Politiker - Sie eingeschlossen - wissen, wo die entführten Mädchen sich aufhalten könnten. Stimmt das?

Ja, ich wurde von Leuten aus meiner Heimatregion informiert. Ich habe die Informationen, dass die Mädchen in einer bestimmten Gegend gesehen wurden, auch an die Sicherheitskräfte weitergegeben. Zwei bis dreimal habe ich ihnen gesagt, dass sie von einem bestimmten Ort an einen anderen weitertransportiert wurden. Ich möchte nicht sagen, wo das genau ist. Vielleicht sind sie inzwischen auch schon wieder woanders. Aber ich habe sehr gute Kontakte in meinem Wahlkreis, deshalb werde ich sehr gut informiert.

Und Sie möchten nichts darüber sagen, welche Informationen Sie über den letzten Aufenthaltsort bekommen haben?

Das könnte die Mädchen in Gefahr bringen. Vielleicht wurden sie inzwischen ohnehin schon wieder weitertransportiert. Ich denke, es ist besser, wenn ich hier nichts sage.

Aber wenn es Informationen darüber gibt, wo sich die Mädchen befinden könnten oder sich zumindest noch vor kurzem befunden haben, warum tut die Regierung nichts?

Das Militär ist schlichtweg zu schlecht ausgestattet. Sie haben meine Informationen sogar bestätigen können, aber sie können sie nicht befreien, ohne das Leben der Mädchen zu gefährden. Jetzt, nachdem die internationale Gemeinschaft uns zur Hilfe gekommen ist, werden sie die Mädchen vielleicht retten können. Heute noch habe ich Information bekommen, dass man sich sicher ist, dass die Mädchen befreit werden können. Das macht mich sehr hoffnungsfroh.

Es braucht also die Unterstützung der USA und anderer Länder?

Ja, wir brauchen sie. Die Gewalt von Boko Haram dauert nun schon drei Jahre an - ohne, dass ein Ende abzusehen ist. Vor allem in den letzten sechs Monaten ist die Lage eskaliert. Die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft ist sehr wichtig und die Unterstützung absolut unerlässlich.

Im Moment spricht die ganze Welt über Boko Haram, aber keiner kann sich wirklich ein Bild der Organisation machen. Ist es eine islamistische Terrororganisation, sind es einfach Kriminelle oder ist es etwas ganz anderes?

Ursprünglich waren sie eine islamische Organisation, aber sie haben sich zu Kriminellen entwickelt. Nur so ist doch zu erklären, dass sie ganze Dörfer überfallen, alles zerstören und einfach jeden töten, auch Muslime, Frauen und Kinder. Das ist absoluter Wahnsinn. Das sind keine Islamisten.

Und warum sind sie so gut ausgestattet?

Das ist wirklich erstaunlich. Einiges haben sie wohl im Tschad gekauft, das meiste kommt aber von Beutezügen und gehörte der Armee und der Polizei.

Sogar Präsident Goodluck Jonathan hat gesagt, dass er Boko Haram-Unterstützer in seinem Umfeld vermutet. Gibt es wirklich Politiker, die Boko Haram unterstützen?

Soweit ich weiß, gibt es keine Politiker, die diese Kriminellen finanzieren. Es ist unser fehlerhaftes System, dass ihnen die Macht gegeben hat. Ich habe schon mal gesagt, dass ich es für eine Art ethnische Säuberung halte. Der Regierung ist es einfach ganz egal, was da los ist. Sie sehen es so: Es geschieht in einer bestimmten Region, innerhalb einer Volksgruppe, die sowieso nicht zu den Unterstützern der Regierung zählt. Noch nie hat unser Präsident ein Wort des Mitgefühls ausgedrückt. Ihn interessiert einfach nicht, was mit den Menschen im Nordosten des Landes passiert.

Es gibt also keinen politischen Willen der Regierung, das Problem in den Griff zu bekommen?

Ganz genau! Wenn es den politischen Willen gäbe, dann könnte man das Militär entsprechend ausstatten und dann würde man den Kampf auch gewinnen. Aber wenn ich eins und eins zusammenzähle, dann sehe ich da den Versuch gewisser Kreise, unsere Volksgruppe auszulöschen.

Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, das Problem mit Boko Haram in den Griff zu bekommen?

Wir müssen es als ein nationales Problem sehen. Wenn ein Teil Deines Körpers krank ist, dann kann Du das auch nicht ignorieren, selbst wenn es nur ein kleiner Teil ist. Lasst es uns nicht als regionales oder religiöses Problem sehen, sondern als eines, das das ganze Land betrifft. Und es betrifft ja jetzt schon unsere gesamte Wirtschaft.

Ahmed Zanna sitzt seit drei Jahren im nigerianischen Senat, der zweiten Kammer des nigerianischen Parlaments. Dort vertritt er neben zwei anderen Abgeordneten den Bundesstaat Borno, der in den letzten Jahren am meisten von Boko Haram-Anschlägen betroffen war. Er gehört der in Borno dominierenden Volksgruppe der Kanuri an.

Das Gespräch führte Jan-Philipp Scholz.

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