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Zecken können eine Fleischallergie auslösen

Jonas Schönfelder
5. Juli 2017

Menschen, die nie Probleme mit dem Verzehr von Fleisch hatten, reagieren plötzlich allergisch. Dass Zecken die Übeltäter sind, scheint sicher zu sein. Unheimlich ist es trotzdem. Gut ist: Der Spuk verschwindet wieder.

Die in den USA vorkommende Lone-Star-Zecke (hier ein Weibchen) ist eine von vielen, die eine Fleischallergie auslösen können.
Die in den USA vorkommende Lone-Star-Zecke (hier ein Weibchen) kann eine Fleischallergie auslösen Bild: CDC/James Gathany

Zuerst waren da die starken Bauchschmerzen, die seit Monaten immer wieder ohne erkennbare Ursache auftraten. Dann, so berichtet Gaby Honert, sei es eines Tages "zur Eskalation gekommen", nachdem sie Schweinenieren gegessen hatte. Am ganzen Körper bekam sie Quaddeln, ihr Kreislauf spielte verrückt und die Atemwege schwollen an. Eine starke allergische Reaktion, wie später im Krankenhaus festgestellt wurde. Was die heute 45-Jährige da noch nicht wusste: Ihr Körper hatte eine Allergie gegen Fleisch von Säugetieren wie Schweinen, Rindern, Wild und Lamm entwickelt. Davor hatte sie nie Probleme damit.

Schuld daran sollen Zecken sein. Doch wie können die Milben eine Fleischallergie auslösen? Dazu muss man wissen, dass der Mensch sowieso auf bestimmte Bestandteile im Fleisch reagiert - nämlich auf das uns fremde Zuckermolekül Alpha-Gal. Unsere Vorfahren, die Altweltaffen, haben Alpha-Gal schon vor 25 Millionen Jahren durch die Evolution verloren.

Unser Immunsystem produziert schon in der frühen Kindheit Antikörper dagegen, aber normalerweise nur harmlose IgG und IgM, die keine Allergien auslösen. Sie schaden uns Menschen nicht. "Wir haben täglich Kontakt zu Alpha-Gal über unser Essen und unser Darm ist voll damit", erklärt Tilo Biedermann, Direktor der Hautklinik der Technischen Universität München.

Nun zurück zu den Zecken. Forscher sagen, ihr Stich kann zu einer besonderen Reaktion des menschlichen Immunsystems führen: Nachdem der Zeckenspeichel in die Haut gelangt, produziert das Immunsystem plötzlich andere Antikörper gegen den Alpha-Gal-Zucker im Fleisch - nämlich IgE. Es veranlasst bestimmte Zellen, Histamin auszuschütten. Und die lösen Allergien aus, sagt Biedermann: "IgE ist sozusagen der gemeinsame Nenner von Soforttypallergien." Solche Allergien, so Biedermann, haben viele Menschen gegen Pollen, Erdnüsse oder Wespengift."

Da Alpha-Gal ein Bestandteil von Säugetierfleisch ist, kommt es bei dessen Verzehr von nun an zu allergischen Reaktionen, die lebensbedrohlich sein können.

Auslöser der Allergie noch unbekannt

"Wir sind uns ziemlich sicher, dass Stiche der in den USA heimischen Lone-Star-Zecke für die Produktion von IgE-Antikörpern gegen Alpha-Gal verantwortlich sind. Was wir nicht genau wissen ist, warum der Stich diese Reaktion auslöst", sagt Scott Commins von der University of North Carolina. Der Allergologe hat aber zwei mögliche Erklärungen: Zum einen sei es denkbar, dass der Zeckenspeichel Reste vorheriger Blutmahlzeiten mit Alpha-Gal von Säugetieren wie Hunden oder Hirschen enthält. Die zweite Möglichkeit sei, dass andere Stoffe als Alpha-Gal im Speichel dazu führen, dass der menschliche Körper anstatt der üblichen IgG- eine IgE-Immunreaktion auslöst. Ob Alpha-Gal in den Zecken selbst enthalten ist oder nicht: Dass ihr Speichel die Allergie auslösen kann, beweist ein Experiment, das Commins durchgeführt hat: "Wir haben Mäusen Speichel einer Zecke injiziert und sie haben mit der Produktion von IgE-Antikörpern gegen Alpha-Gal reagiert."

Commins und sein Kollege Thomas Platts-Mills waren es übrigens, die 2009 wichtige Fortschritte bei der Erforschung der ungewöhnlichen Allergie machten. Vorausgegangen war die Einführung eines neuen Krebsmedikaments, auf das einige Patienten in den USA allergisch reagierten. Ärzte fanden heraus, dass bei ihnen bereits Antikörper gegen Alpha-Gal, das auch in dem Medikament enthalten ist, vorhanden waren. Platts-Mills und Commins, damals beide an der University of Virginia tätig, hatten zu der Zeit bereits einige Menschen mit allergischen Reaktionen nach Fleischverzehr in Behandlung. Als Erste zogen sie aus der je nach Region unterschiedlich häufig auftretenden Alpha-Gal-Allergie Rückschlüsse auf ihren Auslöser: Die meisten Fälle wurden nämlich aus Gebieten im Südosten der USA berichtet, in denen die Lone-Star-Zecke zu Hause ist.

Gefährlicher Winzling - Die Zecke

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Viele Zeckenstiche, starke Gefährdung

Die Allergie ist jedoch nicht auf den Lebensraum der Lone-Star-Zecke (Amblyomma americanum) in den USA beschränkt. Es gibt Berichte über ähnliche Vorfälle aus Australien, Südamerika, Italien, Skandinavien und Deutschland. Hierzulande ist es beispielsweise der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus), der als Auslöser einer Fleischallergie fungieren kann, weiß der Münchener Allergologe Biedermann: "Unsere Studien zeigen, dass Leute, die sich besonders viel im Wald aufhalten, wie zum Beispiel Förster oder Jäger, einen hohen Anteil von IgE gegen Alpha-Gal aufweisen." Sie sind also besonders gefährdet, weil sie in der Regel häufiger von Zecken gestochen werden als Menschen, die nur selten oder nie in der Natur sind. Erst mehrere Stiche würden üblicherweise zu der Allergie führen. Ausnahmen, in denen sie durch einen einzigen Zeckenstich, zum Beispiel in eine Wunde, auslöst wird, gebe es aber auch.

Biedermann spricht von etwa 100 bekannten Fleischallergie-Fällen in Deutschland; viele seien wahrscheinlich noch gar nicht diagnostiziert. Sein amerikanischer Kollege Commins berichtet von 3000 Betroffenen in den gesamten USA. Sie müssen je nach Ausprägung der Allergie auf Rindersteaks, Wurst, gelatinehaltige Produkte wie Gummibären sowie bestimmte Medikamente verzichten.

Noch gibt es kein Medikament

Ungewöhnlich an der Fleischallergie im Gegensatz zu anderen Lebensmittelallergien ist übrigens, dass die zum Teil lebensbedrohlichen allergischen Reaktionen wie Hautausschlag, Krämpfe, Anschwellen der Atemwege und Herzkammerflimmern erst drei bis sechs Stunden nach dem Verzehr auftreten. Das macht die Einordnung der Reaktionen schwierig, die häufig nachts, einige Stunden nach dem Abendessen auftreten.

Ein Medikament gegen die Allergie gibt es bislang nicht. Scott Commins arbeitet mit seinem Team an der University of North Carolina deshalb daran, eine weitere Verstärkung der Allergie nach erneuten Zeckenstichen zu verhindern: "Wir hoffen, eine Art Impfstoff entwickeln zu können, ähnlich wie es ihn für die Behandlung der Wespengiftallergie gibt", beschreibt er ihr Vorhaben.

Die gute Nachricht: Die Allergie verschwindet mit der Zeit, wenn die Betroffenen keinen weiteren Zeckenstichen ausgesetzt sind. Auch für Gaby Honert ist seit Kurzem der Spuk wieder vorbei: "Ich bin jetzt Gott sei Dank so weit, dass ich nach sechs Jahren Allergie wieder alles essen kann", freut sie sich.

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