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Zehn Jahre nach dem Milosevic-Prozess

Dinko Gruhonjic /I van Djerkovic12. Februar 2012

Als ihr Ex-Präsident vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal angeklagt wurde, hofften viele Serben auf einen Beginn der Vergangenheitsbewältigung. Zehn Jahre danach ist davon wenig zu sehen.

Am zweiten Tag seines Prozesses sitzt der frühere jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic auf der Anklagebank des UN-Tribunals in den Haag (Archivfoto vom 13.02.2002). Gut zwei Jahre lang hat vor dem UN-Tribunal in Den Haag die Anklage ihre Vorwürfe der Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und des Völkermords gegen den einstigen jugoslawischen Staatspräsidenten Slobodan Milosevic erläutert. Nach einer Pause von 18 Wochen beginnt der 62-Jährige an diesem Montag (05.07.2004) seine Verteidigung. 150 Sitzungstage haben ihm die drei Richter dafür Zeit gegeben, beginnend mit einer vierstündigen Einleitung. Milosevic verzichtet weiter auf Vertretung durch einen Anwalt vor dem Gericht, das er nach wie vor nicht anerkennt. Foto: Paul Vreeker dpa (zu dpa Korr: " Beim UN-Tribunal kommt jetzt Milosevic zu Wort" vom 02.07.2004)
Kriegsverbrecher-Prozess gegen MilosevicBild: picture-alliance/dpa/dpaweb

Auf dem Foto, das am 28. Juni 2001 um die Welt ging, konnte man sehen, wie ein Wärter Slobodan Milosevic in das holländische Gefängnis in Scheveningen bringt. Es war der endgültige Sturz des Mannes, der zwölf Jahre lang Serbien regiert hatte und der sich nun wegen Kriegsverbrechen - einschließlich des Völkermordes in Bosnien und Herzegowina - vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag verantworten musste.

Viele Beobachter waren überrascht, dass die Auslieferung Milosevics an den Haager Tribunal keine nennenswerten Proteste in Serbien auslöste - schließlich war er lange Zeit sehr populär. In den 1990er Jahren standen große Teile der Bevölkerung treu zu ihm und unterstützten seine aggressive nationalistische Politik, die schließlich zu den Kriegen auf dem Balkan führte. Er gewann in dieser Zeit mehrere Wahlen haushoch, nicht zuletzt, weil die Opposition immer uneinig war. Erst im September 2000, als ein demokratisches Bündnis der 17 oppositionellen Parteien (DOS) gegen ihn antrat, verlor Milosevic. Wochenlang weigerte er sich, das Ergebnis anzuerkennen. Obwohl ihn sein mächtiger Polizeiapparat unterstützte, musste er nach massiven Protesten doch zurücktreten.

Wärter bringen Milosevic in den Haager GerichtssaalBild: AP

Ein Prozess ohne Urteil

Danach ging es relativ schnell: Der neue Premierminister Zoran Djindjic wollte seiner Verpflichtung der internationalen Gemeinschaft gegenüber nachkommen; darum ließ er den angeklagten Milosevic in einer spektakulären Aktion verhaften und übergab ihn dann im Juni 2001 an die Richter in Den Haag. Viele Serben sind davon überzeugt, dass Djindjic damit letztlich sein Todesurteil unterschrieben hat: Am 12. März 2003 ermordeten ihn in Belgrad Scharfschützen im Auftrag ehemaliger Milosevic-Getreuer um die militärische Spezialeinheit "Rote Barette" und den kriminellen "Zemun-Clan".

Symbol für serbische Vergangenheitsbewältigung: Strafgerichtshof in Den HaagBild: ICTY

Der Prozess gegen Slobodan Milosevic vor dem Haager Tribunal begann am 12. Februar 2002. Der gelernte Jurist übernahm seine Verteidigung selbst. Zu einem Urteil kam es aber nie - nach rund fünf Jahren, am 11. März 2006, starb der Angeklagte in Haft an einem Herzinfarkt.

Milosevic war der erste serbische Spitzenpolitiker vor dem Haager Tribunal, danach folgten andere Politiker sowie hochrangige Offiziere der serbischen Armee. Anders als ihr ehemaliger Präsident bekamen viele seiner engsten Mitarbeiter lange Haftstrafen wegen Kriegsverbrechen und wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Umdeutung der jüngsten Geschichte

Heute, zehn Jahre danach, glauben viele Menschen in Serbien, dass die Verpflichtungen gegenüber dem Haager Tribunal eingelöst worden sind, sagt Natasa Kandic, Leiterin der Menschenrechtsorganisation Fonds für humanitäres Recht aus Belgrad. Mit der Auslieferung der Verantwortlichen und ihrer Verurteilung hielten sie die Vergangenheitsbewältigung für erledigt, kritisiert Kandic.

Milosevics Mythos lebe in Serbien weiter, ergänzt der Direktor des Zentrums für Menschenrechte Vojin Dimitrijevic, der schon während des Milosevic-Regimes in der Opposition war. "Vielleicht war es ein großes Fehler, dass man seinerzeit die Verhandlung aus Den Haag ohne kritische Anmerkungen live im Fernsehen übertragen hat", so Dimitrijevic, "in dem naiven Glauben, dass die Menschen daraus etwas lernen." Stattdessen hat das die Popularität Milosevics nur erhöht: "Es ist sehr schwer zuzugeben, dass viele Mitglieder deiner Nation, angeführt von einem Mann, der mit den größten Söhnen Serbiens verglichen wurde, im Unrecht waren."

Einst Hoffnungsträger für die Zeit nach Milosevic: Zoran DjindjicBild: AP

Diese These bestätigt auch die Tatsache, dass nur zwei Jahre nach Milosevics Tod seine Sozialistische Partei Serbiens wieder an die Macht kam. Bis heute spielt sie eine wichtige Rolle in der regierenden Koalition - denn die neuere serbische Geschichte sei umgedeutet worden, so Dimitrijevic: "Wir sind jetzt in einer Zeit, wo wir hauptsächlich von mehr oder weniger extremen Nationalisten angeführt werden. Und das Haager Tribunal wird überwiegend als ein fremdes und ungerechtes Gericht wahrgenommen."

RECOM als Chance

Trotzdem ist die Arbeit des Tribunals sehr wichtig gewesen, sowohl für Serbien als auch für die ganze Region Südosteuropa, betont Natasa Kandic. Die dokumentierten Tatsachen über die Kriegsverbrechen sowie die rechtskräftigen Urteile erleichtern die Gründung einer Regionalen Kommission für die Feststellung der Fakten über die Opfer der Kriege im ehemaligen Jugoslawien (RECOM), wie Friedens- und Menschenrechtsaktivisten sie seit Jahren gefordert haben.

"Dokumente und sachliche Schlussfolgerungen bleiben uns, auch wenn das Haager Tribunal eines Tages aufgelöst wird. Sie sind sehr wichtig und sehr wertvoll. Sie werden auch weiter die Behörden und die Öffentlichkeit irritieren. Dies wird die mächtigste Waffe im Prozess der Vergangenheitsbewältigung sein", glaubt Kandic. Und die ist notwendig, betont die Menschenrechtsaktivistin, "um zu verhindern, dass sich solch schreckliche Verbrechen und Zerstörungen mit mehr als 100.000 Opfern auf dem Balkan je wiederholen."

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