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PolitikNahost

Ägyptens bedrückende Wirklichkeit

Mahmoud Hussein
25. Januar 2021

Zehn Jahre ist es her, dass Ägypter und Ägypterinnen Hosni Mubarak stürzten. Zwar ist die Lebensmittelversorgung stabiler, doch gegen Kritiker geht das Regime unter Abdel Fattah al-Sisi härter vor denn je.

Bildergalerie Ägypten Dritter Jahrestag des Aufstandes 25. Januar 2014
Protest und Gedenken: Demonstration zum dritten Jahrestag der Revolution, Kairo, 2014 Bild: AFP/Getty Images

Freiheit, Gerechtigkeit, Menschenwürde. Das waren die zentralen Anliegen, die die Ägypter am 25. Januar 2011, auf ihrer ersten Protestkundgebung auf die Straße trugen. Über Wochen gingen sie von diesem Tag an auf die Straße, um gegen die politischen und gesellschaftlichen Zustände zu protestierten, denen sie während der 30-jährigen Herrschaft von Präsident Hosni Mubarak ausgesetzt waren.

Je länger die Proteste dauerten, desto brutaler gingen die Sicherheitsbehörden gegen die Menschen vor. Aufhalten konnten sie die im ganzen Land demonstrierenden Ägypter aber nicht. Am 11. Februar 2011 trat Präsident Mubarak schließlich zurück. Die Ägypter hofften auf bessere Zeiten: Der Repressionsapparat würde aufgelöst, das Land würde sich in Richtung Freiheit und Rechtsstaatlichkeit bewegen. 

Das Miliär und die Polizei haben versucht, die Proteste gewaltvoll niederzuschlagen (Januar 2011)Bild: picture alliance/AP/B. Curtis

Doch es kam anders. 2013 folgte ein Militärputsch gegen Präsident Mohammed Mursi, seit 2014 regiert Abel Fattah al-Sisi das Land nun mit harter Hand. "Ägypten erlebte in allen Bereichen eine furchtbare Gegenreaktion", sagte der ägyptische Aktivist Hossam El-Hamalawy im DW-Gespräch. "Das gilt besonders für die Freiheitsrechte. Die Gegenrevolution hat das Land in einen Zustand gedrängt, der bedrückender ist als der vor der Revolution von 2011. Der Aufstand hat eine furchtbare Entwicklung genommen und zu einem massiven Rückschritt geführt."

Dramatische Menschenrechtslage

Denn es steht dramatisch schlecht um die Menschen- und Bürgerrechte. In den Gefängnissen des Landes herrschten schlechte Haftbedingungen, erklärte kürzlich die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI). Zudem dokumentiert AI immer wieder Folter und Hinrichtungen. Viele Verurteilte hätten "unfaire Gerichtsverfahren" hinnehmen müssen. Zuletzt habe es eine "fieberhafte Hinrichtungswelle" gegeben, so Amnesty.

Auch Human Rights Watch verurteilt in seinem Jahresbericht für 2020 "den harten Griff der autoritären Regierung". Die COVID-19-Pandemie habe die ohnehin furchtbaren Haftbedingungen weiter verschlechtert.

Der starke Staat. Graffiti in Kairo, gesprayt im Januar 2011Bild: Ganzeer

Auch das Europäische Parlament zeigt sich alarmiert. Im Dezember vergangenen Jahres kritisierte es die "sich verschlechternde Menschenrechtssituation in Ägypten" und forderte "eine eingehende und umfassende Überprüfung der Beziehungen der Union zu Kairo".

Diese Sicht teilen auch die Vereinten Nationen. Der arabische Frühling sei in Ägypten nur von kurzer Dauer gewesen, erklärte die UN-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte, Agnes Callamard, der Nachrichtenagentur AFP: "Das Regime hat schlimme Lehren aus ihm gezogen." Jegliches Freiheitsstreben werde im Keim erstickt.

Das ägyptische Regime bestreitet derartige Vorwürfe indessen. Auf eine entsprechende Anfrage der Presseagentur AFP erklärte das Außenministerium, die Regierung messe der Meinungsfreiheit höchste Bedeutung bei. "Es gibt keine politischen Gefangenen und die Festnahmen beziehen sich nur auf Handlungen, die gegen das Strafrecht verstoßen", so das Ministerium. Doch die Dokumentationen der verschiedenen Menschenrechtsorganisationen zeigen eine andere Entwicklung.

"Ein konstantes Rachebedürfnis"

Nach Ansicht des Aktivisten Hossam el-Hamalawy habe die Revolution von 2011 bei den Angehörigen des Regimes tiefe Spuren hinterlassen. "Die herrschende Elite des Landes empfindet ein konstantes Bedürfnis nach Rache. Drei Jahre lang schien es, als seien die Säulen ihrer Herrschaft, ihres Reichtums und ihrer Interessen bedroht, ein großer Teil der Elite fürchtete, im Gefängnis zu landen", so El-Hamalay. "Seitdem lebt die herrschende politische Klasse in einem Zustand der Paranoia und fürchtet eine Wiederholung der Ereignisse vom Januar 2011."

Abdel Fattah al-Sisi: Die Menschenrechtslage hat sich unter ihm dramatisch verschlechtertBild: Costas Baltas/AP Photo/picture alliance

Magdi Shendi, Journalist und Chefredakteur der Zeitung Al-Mashhad, die sich selber als unabhängig bezeichnet, führt diesen Kurs hingegen auf einige Fälle von Gewalt und Terror nach der Revolution zurück.  

Dies hätte die Regierungsbehörde dazu veranlasst, auf ein strenges Sicherheitsregime zu setzen. Ägypten habe unter Terrorismus und dessen Folgen gelitten, so Shendi. Viele Ägypter hätten es begrüßt, dass der Staat die Ordnung auch mit Gewalt verteidigt habe. "Es gibt die Bereitschaft, die derzeitigen Richtlinien zu überprüfen und die Haftpraxis zu reformieren. Dies gilt allerdings nicht mit Blick auf Kriminelle und Terroristen."

Doch wer in Ägypten als Terrorist gilt, das definiert das Regime unter Abdel Fattah al-Sisi. Immer wieder wurden seit Amtsbeginn seine Kritiker oder Aktivisten unter dem Vorwurf der Terrorismusunterstützung ins Gefängnis gesteckt.

Kluft zwischen Arm und Reich

Die Kluft zwischen Arm und Reich bereitet dem Land weiterhin große Probleme. In den sozialen Netzwerken und auch in soziologischen und ökonomischen Studien ist es ein wiederkehrendes Thema. Die Mittelschicht werde durch die ungleiche Verteilung des Wohlstands untergraben, so der immer wieder zu hörende Vorwurf. Stattdessen konzentrierten sich Geld und Vermögen in den Händen einer kleinen Elite. 

Abriss von Elendsquartieren in Kairo: Die Regierung will die Bewohner in neue Sozialbauten umsiedelnBild: Sayed Hassan/dpa/picture-alliance

Journalist Shendi sieht dennoch einige Fortschritte in der Entwicklung. "Es gibt nun Renten aus der Sozialversicherung, es gibt Projekte, die auf Solidarität und Würde setzen, auch gibt es in einigen Regionen Infrastrukturmaßnahmen." Doch schätzten die Ägypter solche Entwicklungen nicht allzu hoch ein. "Eine Revolution weckt riesige Erwartungen. Sie setzt Hoffnungen frei, angesichts derer sämtliche Fortschritte geringfügig scheinen."

Welche sozialen Fortschritte das Land tatsächlich erreicht hat, lässt sich anhand der offiziellen Quellen nur schwer ermitteln. Kürzlich gab der ägyptische Premierminister Mostafa Madbouli erstmals seit 20 Jahren Zahlen zur Entwicklung der Armutsquote in Ägypten bekannt. Demnach lebten knapp 30 Prozent der Ägypter im Zeitraum 2019/2020 unterhalb der Armutsgrenze. In den beiden Jahren zuvor habe diese Zahl bei 32,5 Prozent gelegen. Andere Zahlen legt jedoch die staatliche Zentralagentur für öffentliche Mobilisierung und Statistik vor. Ihr zufolge lag die Armutsquote vor fünf Jahren bei knapp 28 Prozent, sei dann aber wieder um gut zwei Prozentpunkte gestiegen. 

Al-Sisi habe sich teils riesige Prestige-Projekte vorgenommen, die vor allem auf einen großen Propagandaeffekt setzten, sagte Aktivist Hossam El-Hamalawy. "Davon können er und eine Gruppe von Geschäftsleuten und Generälen profitieren. Aber das sind Schein-Projekte, die auf das Leben der Bürger keine Auswirkungen haben."

Aus dem Arabischen adaptiert von Kersten Knipp.