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KatastropheTürkei

Zehntausende in Erdbebenregion im Einsatz

8. Februar 2023

Auch drei Tage nach dem verheerenden Erdbeben in Teilen der Türkei und Syrien läuft die Suche nach Überlebenden weiter. Niedrige Temperaturen sorgen für schwierige Bedingungen. Die Zahl der Todesopfer steigt weiter an.

Mit Hochdruck wird nach dem schweren Erdbeben und zahlreichen Nachbeben im Süden der Türkei und im Norden Syriens nach verschütteten Überlebenden gesucht. Die Rettung läuft unter großem zeitlichem Druck. Denn zwei Tage nach dem Beben schwindet allmählich die Hoffnung, unter den Trümmern eingestürzter Gebäude noch lebende Personen zu finden. Nach Angaben des türkischen Vizepräsident Fuat Oktay sind 16.150 Personen in Rettungs- und Suchteams im Einsatz. Insgesamt seien rund 100.000 Helfer vor Ort. Die Arbeiten würden fortgesetzt, "bis wir den letzten Bürger unter den Trümmern erreicht haben", sagte Oktay. 

"Wettlauf gegen die Zeit"

Erschwert wird die Lage vielerorts durch eisigen Regen und auch Schnee. Das Wetter stellt nach Angaben der Rettungskräfte eine zusätzliche Gefahr dar - sowohl für die durch das Beben obdachlos gewordenen Menschen als auch für mögliche Überlebende in den Trümmern. "Es ist nun ein Wettlauf gegen die Zeit", sagte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus. Laut Berichten von vor Ort blieben auch die zweite Nacht in Folge viele Menschen auf der Straße - teils aus Angst vor Nachbeben und teils, weil sie keine Häuser mehr und auch keine Notunterkünfte hatten. Einige von ihnen entzündeten Feuer aus herumliegenden Holzteilen, um sich zu wärmen.

Die einen wärmen sich am Feuer, andere suchen weiter nach ÜberlebendenBild: Tunahan Turhan/ZUMA Wire/IMAGO

Sieben Monate altes Baby aus Trümmern gerettet

Feuerwehrleuten in der türkischen Südprovinz Adiyaman gelang es derweil zwei Tage nach dem Beben ein sieben Monate altes Baby aus den Trümmern zu retten. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtet, wurde das Baby in ein Krankenhaus gebracht.

Auch im südtürkischen Hatay befreiten Retter ein Baby 58 Stunden nach der Katastrophe. Die Helfer stiegen in eine Lücke zwischen den eingestürzten Hauswänden, wickelten das Baby in eine Decke und hoben es heraus, wie Aufnahmen der Nachrichtenagentur DHA zeigten. In Kahramanmaras wurde ein einjähriges Kind mit seiner schwangeren Mutter nach 56 Stunden lebend unter den Trümmern hervorgeholt, wie DHA berichtete. Der Vater war schon zuvor lebend gerettet worden.

Aus den Trümmern geborgen - 52 Stunden nach der Erdbebenkatastrophe in der Provinz HatayBild: Burak Kara/Getty Images

In der Südosttürkei wurde 52 Stunden nach dem Beben eine Frau lebend geborgen. Bilder des türkischen Senders NTV zeigten, wie die Einsatzkräfte in der Provinz Kahramanmaras die Frau auf einer Trage zu einem Krankenwagen brachten. Sie ist demnach 58 Jahre alt und aus einem eingestürzten Hotel gerettet worden. Eine 75-Jährige wurde 60 Stunden nach der Erdbeben-Katastrophe aus den Trümmern befreit. Nach sechsstündigen Rettungsarbeiten sei die Frau in der schwer getroffenen Provinz Hatay aus einem eingestürzten Haus befreit worden, berichtete die Onlinezeitung Gazete Duvar. Die Suche nach ihrem an Alzheimer erkrankten Ehemann brachen die Retter wegen fehlender technischer Ausrüstung schließlich ab.

Über 16.000 Tote

Inzwischen haben die Behörden mehr als 16.000 Todesopfer gemeldet worden, die meisten in den von den Beben betroffenen Regionen der Türkei. Rund 66.000 Menschen wurden verletzt. Aus Syrien melden die Behörden und die von der Opposition in den Rebellengebieten im Nordwesten betriebene Zivilschutzorganisation "Weißhelme" insgesamt mehr als 2660 Tote. Zudem gibt es dort mehr als 4650 Verletzte. Da die Rettungskräfte sich oft nur langsam durch die Trümmer kämpfen können, befürchten Experten einen weiteren deutlichen Anstieg der Todeszahlen in den kommenden Tagen.

So wie hier im türkischen Hatay hat das Erdbeben große Zerstörung angerichtetBild: Tunahan Turhan/ZUMA Wire/IMAGO

Retter in Syrien vermuten, dass noch immer Hunderte Familien unter den Trümmern begraben sind. Eines der am schwersten betroffenen Gebiete ist die von Rebellen kontrollierte Region Idlib, in der sich staatliche Nothilfe wegen der verfeindeten Kräfte im Bürgerkrieg schwierig gestaltet. Zudem wird die dringend benötigte Hilfe in Nordsyrien aus der Türkei durch beschädigte Straßen erschwert.

Mangel an medizinischer Ausrüstung 

Nach den Worten von Ismail al Abdullah, einem freiwilligen Mitglied der Weißhelme, ist die Lage weit schlimmer als nach den Bombenangriffen während des Bürgerkriegs. "Es ist etwas ganz anderes. Damals hatten wir es mit 20 bis 30 Bombenangriffen gleichzeitig zu tun. Aber nach diesem starken Erdbeben sind wir an mehr als 100 Orten im Einsatz. Das Ausmaß der Zerstörung und Verwüstung ist viel größer als bei den Bombenexplosionen. Beide Situationen sind tragisch und beide haben Menschenleben gekostet, aber es ist etwas völlig anderes", erklärte er im Interview der Deutschen Welle.

Eines der größten Problem sei die medizinische Ausrüstung: "Die Verletzten müssen medizinisch versorgt werden. Sie brauchen Sanitätsartikel. Sie brauchen Krankenhäuser, die sie aufnehmen. Wir stehen vor vielen Schwierigkeiten, aber dies ist eine der größten", sagte Abdullah. Die internationale Gemeinschaft müsse schnell Hilfe leisten, da die Zeit für die Suche nach weiteren Überlebenden sehr knapp sei.

Internationale Hilfe erbeten

Inzwischen hat Syrien die Europäische Union offiziell um Hilfe gebeten. Das Land habe den Katastrophenschutzmechanismus aktiviert, sagte der zuständige Kommissar Janez Lenarcic. Zuvor hatte der syrische Außenminister Faisal Mekdad die europäischen Staaten aufgefordert, sein Land zu unterstützen und Hilfe zu senden. Die Sanktionen gegen Syrien seien keine Ausrede dafür, dies nicht zu tun.

Nach Ansicht des Auswärtigen Amtes fallen aktuell benötigte Hilfsgüter nicht unter die Sanktionen der Europäischen Union gegen das Regime von Baschar al-Assad. Die Sanktionen richteten sich gezielt gegen das syrische Regime, gegen Profiteure der Kriegswirtschaft und gegen Personen, die schwerste Menschenrechtsverletzungen zu verantworten hätten, sagte eine Sprecherin des Amtes in Berlin. Bei allen verhängten Sanktionspaketen sei immer berücksichtigt worden, dass "negative Folgen in irgendeiner Art für die Zivilbevölkerung nach Möglichkeit vermieden werden". Das habe nach wie vor oberste Priorität. Lebensmittel, Medikamente und schweres Gerät für Bergungsarbeiten seien von den Sanktionen "ausdrücklich ausgenommen". Die Sprecherin warnte zugleich davor, "auf Narrative von Akteuren hereinzufallen", die versuchten, ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Sie bezeichnete es als "zynisch", dass Russland sowie das Assad-Regime dieses Narrativ bedienten.

Als Reaktion auf das verheerende Erdbeben stockt die Bundesregierung ihre humanitäre Hilfe für Syrien und die Türkei um weitere 26 Millionen Euro auf. Davon sind insgesamt 25 Millionen Euro für zwei Hilfsfonds der Vereinten Nationen vorgesehen sowie eine Million für den Malteser Hilfsdienst, wie eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes erläuterte. Der Transport von Hilfsgütern aus Deutschland läuft mittlerweile an. Dabei handelt es sich um Zelte, Schlafsäcke, Feldbetten, Decken, Heizgeräte und Generatoren. Ein Sprecher des Innenministeriums berichtete von etwa 82 Tonnen Material im Gesamtwert von einer Million Euro. Das Verteidigungsministerium stellt Flugzeuge für den Transport bereit. Von Donnerstag an soll es drei Flüge pro Tag geben. Am Flughafen Köln/Bonn brach bereits ein 50-köpfiges Team des Technischen Hilfswerks (THW) ins Katastrophengebiet auf, das auf die Ortung und Rettung verschütteter Menschen spezialisiert ist.

Der Bundestag gedachte am Mittwoch mit einer Schweigeminute der Opfer des Erdbebens in der Türkei und Syrien. Bundeskanzler Olaf Scholz versprach den Erdbebenopfern in der Türkei und Syrien weitere Unterstützung. "Die Bundesregierung hat den türkischen Behörden unverzüglich Hilfe zugesagt", sagt er in einer Regierungserklärung im Parlament. Man stehe in engem Kontakt mit den UN, um Hilfe auch in das syrische Erdbebengebiet zu bringen. "Jetzt zeigt sich wieder einmal, wie lebenswichtig dieser grenzüberschreitende Zugang ist, für den wir uns seit Jahren einsetzen." 

Kritik an Erdogan aus der Opposition

Der türkische Oppositionsführer hat Präsident Recep Tayyip Erdogan derweil Versagen vorgeworfen. "Wenn jemand hauptverantwortlich für diesen Verlauf ist, dann ist es Erdogan", sagte Kemal Kilicdaroglu, Chef der größten Oppositionspartei CHP. Erdogan habe es versäumt, das Land in seiner 20-jährigen Regierungszeit auf solch ein Beben vorzubereiten. Er warf Erdogan zudem vor, die Erdbebensteuer, die für die Vorsorge gedacht ist, verschwendet zu haben. Die trotz anderslautender Vorgaben dürftige Bausubstanz in der Türkei wird als ein Grund für die große Zahl der eingestürzten Häuser diskutiert. Erdogan reist heute in die Erdbebengebiete im Südosten des Landes. 

Mit einer Stärke von 7,7 bis 7,8 hatte das Beben am Montagmorgen das Gebiet an der Grenze zwischen der Türkei und Syrien erschüttert. Stunden später folgte ein weiteres Beben der Stärke 7,5 in derselben Region. Zudem gab es mehr als 50 Nachbeben. Tausende Gebäude stürzten ein. Das ganze Ausmaß der Katastrophe wird erst langsam deutlich.

kle/uh/cwo/qu (dpa, afp, rtr)

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