Zehntausende stemmen sich in Moskau gegen Behördenwillkür
10. August 2019Begleitet von einem massiven Aufgebot der Sicherheitskräfte haben in Moskau Zehntausende Menschen gegen Polizeigewalt und für freie und faire Wahlen demonstriert. Die Behörden sprachen von 20.000 Teilnehmern, Beobachter schätzten die Zahl dagegen auf 50.000. Die Kundgebung auf dem Sacharow-Prospekt in der russischen Hauptstadt war die größte seit vielen Jahren.
Nach Angaben des Bürgerrechtsportals OWD-Info wurden im Zuge der Proteste mehr als 170 Menschen in Moskau festgenommen und etwa 100 weitere bei Solidaritätskundgebungen in anderen Städten.
Die bekannte Oppositionelle Lyubow Sobol kam einige Stunden vor der Demonstration in Polizeigewahrsam. Ihr Büro wurde durchsucht. Sobol ist eine enge Mitarbeiterin von Alexej Nawalny, dem bekanntesten Kritiker von Präsident Wladimir Putin. Die Behörden erklärten, es gebe Informationen, wonach Sobol und andere Aktivisten während der Kundgebung eine Provokation geplant hätten.
Nach dem offiziellen und friedlich verlaufenen Teil der Demonstration in Moskau riefen die Organisatoren die Teilnehmer auf, noch einen "Spaziergang" durch die Stadt zu unternehmen. Während dieser Anschlusskundgebung kam es zu einem Großteil der Festnahmen. Die Polizei hatte vor den Protesten angekündigt, gegen nicht genehmigte Aktionen erneut mit aller Härte durchzugreifen. Teilnehmern drohen Anklagen wegen Anstiftung zu Massenunruhen, die mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden können.
Die Opposition will erreichen, dass all ihre Kandidaten bei der Stadtratswahl in vier Wochen antreten dürfen. Regierungskritiker sind dort wegen angeblicher Formfehler bei ihren Registrierungsanträgen nicht zugelassen. Viele prominente Oppositionspolitiker sitzen in Haft. Die Moskauer Wahl im September gilt als Test für die landesweite Parlamentswahl 2021.
Zu den Protesten haben aber auch bekannte Blogger mit Millionen Followern aufgerufen, um ein Zeichen gegen Polizeigewalt zu setzen. Am Rande der Demonstration zogen Hundertschaften von Uniformierten in Schutzwesten, mit Schlagstöcken und Helmen auf. Vor den Personenkontrollen der Polizei staute es sich. Menschen mussten lange warten, um überhaupt zum Versammlungsort zu gelangen. Gekommen sind viele junge Menschen, aber auch Eltern mit ihren Kindern und Ältere.
Die Großkundgebung war bereits die vierte in der russischen Hauptstadt innerhalb von vier Wochen. Bei nicht erlaubten Protesten an den beiden vergangenen Samstagen waren mehr als 2000 Menschen vorübergehend festgenommen worden; in mehreren Fällen drohen drakonische Strafen. Sicherheitskräfte gingen dabei massiv gegen friedliche Demonstranten vor. Das hatte international scharfe Kritik ausgelöst.
jj/lh (dpa, rtr, afp)