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Literatur

Lesungen gegen Rechts in Chemnitz

Sabine Peschel
14. Mai 2019

Was können Schriftsteller gegen rechte Hetze tun? Drei PEN-Autorinnen ließen sich etwas einfallen, um Opfer von fremdenfeindlichen und rassistischen Angriffen zu unterstützen. Ein Blick nach Chemnitz.

Lesungen in Lokalen Eva Menasse las im Restaurant "Schmetterling"
Bild: DW/S. Peschel

Am vergangenen Wochenende tagte der PEN in Chemnitz. Man muss die Vorgeschichte erzählen, um zu verstehen, wie symbolisch dieses Schriftstellertreffen war.

Am 26. August 2018 ist Stadtfest in der drittgrößten sächsischen Stadt Chemnitz, es wird gefeiert und viel getrunken. Nachts um drei sitzt Daniel H. am Rande des Festes in der Brückenstraße, gleich neben dem Monument des riesigen Karl-Marx-Kopfes, als zwei Männer mit ihm in Streit geraten, handgreiflich werden. Vielleicht geht es um Drogen, vielleicht nicht. Am Ende lebt der 35-Jährige nicht mehr, er wurde mit mehreren Messerstichen getötet, ein zweiter Mann lebensbedrohlich verletzt.

Mord oder Totschlag, es ist ein grausames Verbrechen. Ungewöhnlich wird es durch die Identität der - vermutlichen - Täter. Festgenommen wird der 23 Jahre alte Alaa S., ein Syrer, der inzwischen in Dresden vor Gericht steht. Der Hauptverdächtige, der polizeibekannte Iraker Farhad A., ist auf der Flucht und international zur Fahndung ausgeschrieben. Er soll sich zusammen mit seinem Bruder in den Irak abgesetzt haben.

Aufmarsch der Rechtsradikalen

Anfang September marschieren in Chemnitz rechtsradikale Parteien auf, AfD und Pro Chemnitz demonstrieren gemeinsam mit Pegida und Neonazi-Hooligans. Sie brüllen ihren Hass gegen Fremde, Nicht-Weiße und Journalisten heraus, zeigen sich mit unverhüllten Nazi-Symbolen, recken den Arm zum Hitlergruß. Die Bilder gehen um die Welt. Der Streit, ob man von einer Hetzjagd auf Ausländer sprechen kann, hat politische Folgen.

Schon am 27. August 2018 demonstriert die rechte Szene in Chemnitz, und es kommt zu ausländerfeindlichen GewaltausbrüchenBild: Jan Woitas/dpa/picture alliance

Schon am 27. August mehren sich die Angriffe auf Ausländer. Rechtsextreme marodieren in der Stadt. Sie greifen auch das Lokal eines Deutschen an, das koschere Restaurant "Schalom". Es ist nicht der erste Angriff, erzählt sein Besitzer Uwe Dziuballa, aber einer, der erheblichen Schaden anrichtet. 42.000 Euro kostet die Renovierung.

Angriffe auf fremdländische Lokale

Mitten in der Stadt am Rande der zentralen Einkaufsmeile liegt das persische Lokal "Schmetterling". Ende September, wenige Wochen nach dem Angriff auf das jüdische Lokal, wird das von ehemaligen Flüchtlingen betriebene Restaurant von Rechtsradikalen angegriffen, Scheiben gehen zu Bruch. Danach bleiben die Gäste aus.

Am 7. Oktober wird das zweite persische Restaurant der Stadt attackiert. Vermummte verletzten den Wirt des "Safran" schwer, Masoud Hashemi muss im Krankenhaus behandelt werden. Auch dieser Angriff auf das erst sieben Monate zuvor eröffnete Restaurant ist nicht der erste, eine Scheibe wurde schon früher eingeschlagen, ein Hakenkreuz an die Wand geschmiert.

Die polizeilichen Ermittlungen zu diesen Angriffen wurden inzwischen eingestellt. Es gibt nicht genügend Beweismittel und keine Zeugen, die die Täter identifizieren könnten. Die Untersuchungen des Landeskriminalamts zum Fall "Mangal" gehen weiter. Das gehobene türkische Restaurant wurde am 18. Oktober mit zwanzig Brandsätzen abgefackelt. Sein Gastwirt Ali Tulasoglu lebt seit 1994 in Sachsen. 2017 erfüllte er sich den Traum eines eigenen Restaurants. 350.000 Euro Schaden und die Ungewissheit, wann er sein Lokal je wieder eröffnen kann, haben den Familienvater nicht aus Chemnitz vertrieben.

Tanja Kinkel liest im jüdischen Lokal "Schalom"Bild: DW/S. Peschel

"Wir sind für einander verantwortlich"

"Wenn eine Lektion aus dem ganzen Grauen der Geschichte und den positiven Dingen des letzten Jahrhunderts zu ziehen ist, dann ist das, dass wir alle für einander verantwortlich sind", sagt Tanja Kinkel. "Wenn wir aufhören, daran zu glauben, dann kann die Zivilisation, egal welche, in diesem Kulturkreis wirklich einpacken." Und die erfolgreiche Autorin historischer Romane belässt es nicht bei Worten. Ihr geht es um praktische Unterstützung der angegriffenen Lokale und darum, ein deutliches Zeichen zu setzen. Deshalb hat sie gemeinsam mit ihren Kolleginnen Lesungen in der Stadt organisiert. Der Stadt, die am 9. März 2019 durch eine Schweigeminute für einen verstorbenen Neonazi im Stadion des lokalen Fußballvereins FC Chemnitz erneut in die Schlagzeilen geraten war. "Ich habe alle vier Restaurantbesitzer gefragt", erzählt das PEN-Präsidiumsmitglied, "aber leider ist das 'Mangal' noch nicht wieder eröffnungsfähig."

Tanja Kinkel selber las im Restaurant "Schalom" aus verschiedenen Romanen ihrer dreißigjährigen Publikationsgeschichte, ein Zickzackkurs durch die Jahrhunderte. Als Hommage an ihren Gastgeber wählte sie zum Einstieg ihr im Hochmittelalter handelndes Buch "Das Spiel der Nachtigall" (2011), dessen zweite Hauptfigur eine jüdische Ärztin ist.

Ein Statement durch Anwesenheit

Nora Bossong trug im "Safran" Gedichte vor und las aus ihrem Roman um den italienischen Politiker und Philosophen Antonio Gramsci, "36,9 Grad". Die Stimmung ist ruhig, gelassen, ernsthaft. Sehr groß ist der Andrang nicht, man hätte gern mehr Chemnitzer in den Lokalen gesehen. Aber die PEN-Initiative konkurriert mit einer Menge anderer, gleichzeitiger Kulturveranstaltungen in der Stadt.

Nora Bossong bei ihrer Lesung im Restaurant "Safran"Bild: DW/S. Peschel

Am meisten Zuhörerinnen konnte Eva Menasse im Restaurant "Schmetterling" um sich versammeln. Die in Berlin lebende Schriftstellerin ist an ihrem Geburtstag nach Chemnitz gereist, um aus ihrem Erzählungsband "Tiere für Fortgeschrittene" zu lesen. Ihr Vortrag erntet viele Lacher, nur die Lokalbetreiber bleiben mit ernsten Gesichtern im Hintergrund. "Es war keine Frage", betont die Autorin nach ihrer Lesung, dass sie in Chemnitz Flagge zeigen wollte: "Man muss Leute unterstützen, denen sowas passiert ist. Wir können uns so etwas alle gar nicht vorstellen, denn uns passiert das nicht, dass man unsere Wohnungen, Häuser oder Läden zerstört. Ich finde wirklich, dass es nötig ist, da ein Statement durch Anwesenheit zu machen."

Man kann sich wohlfühlen in Chemnitz

Es gibt in Chemnitz eine große Szene, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzt und sich mit Initiativen wie "Willkommen in Chemnitz" oder "Protest als Fest" den Rechtsradikalen entgegenstellt. Auch Uwe Dziuballa, einer von etwa 600 Juden in Chemnitz, ist aktiv geworden, nicht erst seit den Angriffen auf sein Lokal, sondern schon seit 1998. Sein neuestes Projekt "Die Kippa bleibt" verfolgt er seit zwei Jahren. "Die Geschichte meiner Familie in dieser Gegend geht bis ins 18. Jahrhundert zurück, wir sind ja nicht nur zu Besuch hier. Ich fand es schwer erträglich, dass man sich als Jude in Deutschland wieder verstecken sollte."

Viele Bands setzten bei einem großen Konzert unter dem Motto "#wirsindmehr" in Chemnitz ein Zeichen gegen Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und GewaltBild: picture-alliance/dpa/S. Willnow

Das Zeichen, das die Autorinnen und der PEN mit ihrer Initiative gesetzt haben, unterstützt nicht nur die angegriffenen Lokale. Viel mehr noch dient es der Stadt selbst. "Wir haben Chemnitz als eine sehr freie Stadt erlebt", sagt PEN-Vizepräsident Ralf Nestmeyer nach der Konferenz. "Es gab flammende Plädoyers für Toleranz, auch von Seiten der Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig. Wir fühlten uns hier sehr wohl." Wenn sich am 1. Juni wie geplant Hooligan-Touristen und Rechtsradikale in Chemnitz versammeln und, so ist zu befürchten, wieder Bilder hassverzerrter Gesichter und waagerecht hochgereckter Arme das Bild der Stadt in der deutschen, möglicherweise sogar der internationalen Öffentlichkeit bestimmen werden, erinnert man sich hoffentlich auch daran. An die friedliche, tolerante, fröhliche Seite der Stadt in Sachsen.

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