Zeitungssterben in Deutschland
7. Dezember 2012Deutschland, Zeitungsland: Austrägerinnen, die noch vor Tagesanbruch ihren vollbepackten Handwagen durch die Wohnstraßen schieben. Familien, die am Frühstückstisch mit der Zeitung beschäftigt sind.
So war es jahrzehntelang. Die Zeitung als täglicher Begleiter, als Informationsquelle Nummer eins. Darin fanden sich Terminkalender und Trödelmarkt, Wetterbericht und Wissenswertes, Sporttabellen und Supermarktprospekte. Aber so ist es nicht mehr. Denn den deutschen Zeitungen geht es nicht gut: In zehn Jahren haben die Tageszeitungen fast ein Viertel ihrer Auflage verloren (siehe Grafik) und es geht weiter bergab. Im September 2012 ging die "Abendzeitung" in Nürnberg pleite, Deutschlands älteste Boulevardzeitung, gegründet 1919.
Auch die "Frankfurter Rundschau" (FR) hat Insolvenz angemeldet, eines der traditionsreichsten deutschen Blätter. Das bedeutet noch nicht ihr endgültiges Aus - aber allzu gut sieht es nicht aus, schließlich sprechen die Gesellschafter von "fortdauernden hohen Verlusten".
Das Ende der "Financial Times Deutschland"
Am 7. Dezember 2012 erschien die letzte Ausgabe der "Financial Times Deutschland". Die Titelseite war schwarz bedruckt, mit den Worten "Endlich schwarz", eine Anspielung auf die schwarzen Zahlen, die das Blatt in ihrer knapp 12-jährigen Geschichte nie schreiben konnte. Jetzt stehen mehr als 300 Mitarbeiter des Gruner + Jahr-Verlags vor einer ungewissen Zukunft.
Raschelt es weiterhin an den Frühstückstischen und in den Pendlerzügen? Hat die Zeitung in Deutschland eine Zukunft? "Ich glaube nicht, dass die Branche stirbt", sagt Zeitungsforscher Günther Rager. "Aber sie hat erhebliche Schwierigkeiten. Ich glaube nicht, dass sie in zehn Jahren noch so aussehen wird, wie sie heute aussieht."
Rager hat als Journalistikprofessor zur deutschen Presselandschaft geforscht. Nun ist er emeritiert, hat drei Zeitungen abonniert und sagt: "Es sieht nicht so aus, als ob man in absehbarer Zeit ein Patentrezept fände, um junge Menschen in größerer Zahl wieder für die Tageszeitung so zu erwärmen, dass sie abonnieren." Die 14- bis 29-Jährigen lesen viel seltener Zeitung als ihre Eltern. Die Leser wandern ab ins Internet, und, schlimmer noch für die Zeitungen: Die werbetreibende Industrie tut es auch.
Beim Bundesverband der deutschen Zeitungsverleger will man von Zukunftsangst nichts wissen. "Aber wir sind auch nicht sicher, wie die Zukunft aussehen wird", gibt Sprecherin Anja Pasquay zu. "Was daran liegt, dass die Zeitungsbranche seit einigen Jahren in einem gewaltigen Transformationsprozess steckt."
Zeitungen für Kenner und Liebhaber
Trotz aller Unsicherheit zeigt sich der Verlegerverband aber verhalten optimistisch: "Wenn man darüber nachdenkt", sagt Pasquay, "wie die deutsche Zeitungsbranche in zehn, zwanzig, dreißig Jahren aussehen wird, dann gehen wir davon aus, dass es immer noch gedruckte Zeitungen geben wird, die verkauft und gelesen werden."
Pasquay, die selbst zwei Zeitungen abonniert hat, zitiert ein Denkmodell zur Zukunft der Zeitung: Auf der einen Seite wenige gehaltvolle und teure Titel, in gedruckter Form und für eine kleine Elite. Auf der anderen Seite preiswerte oder gar kostenlose Massenblätter, etwa Pendlerzeitungen für die morgendliche U-Bahn-Fahrt zur Arbeit.
"Vielleicht wird die gedruckte Zeitung etwas für Kenner und Liebhaber", glaubt auch Zeitungsforscher Rager. "Aufgrund der Daten und Entwicklungen glaube ich, dass die Zeitung längerfristig ein erhebliches Publikum haben wird in dem Teil der Bevölkerung, der höher gebildet ist, der sich eine Zeitung leisten kann und will und der nicht nur online seine Informationen suchen möchte."
Große Politik und kleine Fahrraddiebe
Die insolvente "Frankfurter Rundschau" (FR) wird an diesen Entwicklungen vermutlich nicht mehr teilhaben - der Niedergang der Branche ist allerdings nur ein Ursache für ihre Pleite. Als gewichtigeren Grund machen Experten den anstrengenden und teuren Spagat der FR aus, die zugleich regionale und überregionale Zeitung sein wollte. So schreibt es nun auch die geschockte Belegschaft in einer Durchhalteparole: "Wir werden (weiterhin) über große Politik und kleine Fahrraddiebe schreiben." Nach Informationen des Mediendienstes Kress hat die Zeitung prüfen lassen, ob sich ein Weitermachen als rein digitale Zeitung rechnen könnte. Antwort: Nein.
Die eingestellte "Financial Times Deutschland" wird nach ihrem Ableben von der Konkurrenz hoch gelobt: Der Chefredakteur des "Handelsblatts", Gabor Steingart, hebt die journalistischen Innovationen der Wirtschaftszeitugn hervor: "Gerade in der Anfangsphase brachte sie frechere Überschriften und aufrüttelndere, einfühlsamere Kommentare." Doch trotz vieler gewonnener Preise und Lob konnte es die Wirtschaftszeitung nie schaffen, wirtschaftlich erfolgreich zu arbeiten.
"Demokratie ist gefährdet"
Der Lokalrivale der "Frankfurter Rundschau", die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", fürchtet eine düstere Zukunft: "Wenn die letzte anständige Zeitung verschwunden ist, bleibt nur noch das Geschwätz", kommentiert das Blatt. Medienwissenschaftler Matthias Karmasin sieht darin sogar eine Gefahr für die Gesellschaft: Es gehe nicht "um eine schwächelnde Branche, sondern eine Investition in die Infrastruktur der Demokratie."
Noch, sagt Verlegersprecherin Anja Pasquay, habe Deutschland mehr als 1500 verschiedene lokale Zeitungsausgaben. "Das ist sehr, sehr viel. Das ist auch im Vergleich mit anderen Ländern unendlich viel." Noch gibt es rund 330 Zeitungsverlage in Deutschland und rund 130 Vollredaktionen. Noch ist der deutsche Zeitungsmarkt der größte in Europa, der fünftgrößte der Welt. Und dennoch: Es raschelt von Jahr zu Jahr weniger.