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Politik

"Kinder sind die ersten, die sterben"

Rahel Klein
26. Oktober 2018

Während die Welt über Sanktionen gegen Saudi-Arabien diskutiert, sorgen die Kriegsparteien im Jemen für eine Verschlimmerung der Lage. Care-Generalsekretär Karl-Otto Zentel war vor Ort und berichtet von der Situation.

Jemen Krieg | unterernährte Kinder
Laut UN-Schätzungen könnten schon bald 14 Millionen Menschen im Jemen von Hunger betroffen seinBild: picture-alliance/AP Photo/H. Issa

Deutsche Welle: Herr Zentel, Sie sind einer der wenigen deutschen Experten, die kürzlich im Jemen waren - sowohl im Norden als auch im Süden des Landes. Der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hat der Weltgemeinschaft diese Woche Versagen im Jemen vorgeworfen und erklärt, die Welt habe die humanitäre Katastrophe in dem Kriegsland zugelassen. Kommt von deutscher Seite eigentlich genügend Unterstützung oder sind wir nur gut im Verurteilen?

Karl-Otto Zentel, Generalsekretär von Care DeutschlandBild: DW/I. Wendt

Karl-Otto Zentel: Deutschland engagiert sich im Jemen. Das Auswärtige Amt hat im vergangenen Jahr für 42 Millionen Euro Hilfsprojekte bewilligt. Das ist schon bemerkenswert. Andererseits: Bei der Dimension der Katastrophe, die wir im Jemen haben, in der die UN jetzt davor warnen, dass jeder zweite Bewohner des Landes von einer Hungersnot betroffen sein könnte, kann es nie genug sein.

Was müsste Deutschland tun, um Druck auf die Kriegsparteien auszuüben? Die Bundeskanzlerin hat sich zuletzt für einen Stopp von Rüstungsexporten nach Saudi-Arabien ausgesprochen - wegen der Ermordung des regimekritischen saudischen Journalisten Jamal Khashoggi. Reicht das aus?

Lassen Sie es mich von der anderen Seite angehen: Was wäre jetzt im Jemen dringend notwendig? Das Wichtigste wäre ein sofortiger Waffenstillstand, damit Hilfsgüter, die schon im Land sind, aber nicht aus den Häfen herauskommen, bewegt werden können. Die UN haben berichtet, Nahrungsmittel in Lagern zu haben, die 3,7 Millionen Menschen für einen Monat versorgen könnten. Doch sie können die Mittel aufgrund der Kampfhandlungen nicht aus den Lagern herausholen.

Es braucht kommerziellen Handel von Nahrungsmitteln und anderen Gütern des täglichen Bedarfs, es braucht die Garantie von freiem Transport im Land und uneingeschränkten Zugang zu den Menschen in Not.

Daraus würde ich dann die politischen Forderungen - nicht nur an die Bundesrepublik, sondern an alle anderen - ableiten und sagen: Da muss jeder nur mögliche politische Druck aufgebaut werden, damit die in diese Kämpfe involvierten Parteien dem folgen. Das wäre dann der erste Schritt, mit der Hoffnung, dann längerfristig zu einem Frieden im Jemen zu kommen.

Es gibt Märkte und Lebensmittel im Jemen - doch nur wenige Menschen können sich Lebensmittel leisten, weil die Preise so gestiegen sindBild: picture-alliance/Bildagentur-Online

Sie waren vor anderthalb Jahren bereits im Jemen unterwegs. Was hat sich seither verändert?

Es gibt mehr Vertriebene durch die Kämpfe in Hodeidah. Es sind Hunderttausende von Menschen erneut auf der Flucht unter sehr schwierigen Bedingungen. Sie sehen in den Städten Menschen tagsüber auf den Müllhalden nach Nahrungsmitteln suchen, das war vor 18 Monaten noch nicht so. Das heißt, die Reserven, die die Familien hatten - und die Sozialstruktur ist eigentlich eine tolle und starke im Jemen - sind aufgebraucht.

Im sogenannten Rebellen-besetzten Gebiet haben Regierungsangestellte schon seit Jahren kein Gehalt mehr bekommen. Die Währung ist dramatisch verfallen. Im Gegenzug sind die Preise extrem hoch gegangen, weil die Güter importiert, also mit Hartwährung gekauft werden müssen.

Wir haben damals schon eine sehr schlechte hygienische Situation gehabt, aber in den Städten hat sich das jetzt nochmal verschlimmert, weil die Infrastruktur nicht mehr gewartet wird. Das heißt, sie haben massive Probleme mit Abfall, sie haben massive Probleme mit der Abwasserentsorgung.

Als ich jetzt dort war, gab es schon die ersten Berichte aus Distrikten, dass Menschen dort wirklich verhungern. Das hatten wir vor 18 Monaten auch noch nicht. Damals sind zwar Menschen gestorben, aber das war eine Kombination aus Erkrankungen, Mangelernährung und anderem. Jetzt ist es wirklich einfach akute Unterernährung, die gerade Kinder extrem trifft, weil sie die geringsten Reserven haben. Und das sind dann die Ersten, die sterben.

 

Im Verlaufe eines Jahres sind im Jemen laut UN fast 50.000 Kinder an den Folgen von Unterernährung gestorbenBild: picture-alliance/dpa/EPA/Y. Arhab

Wie schafft man es, mit den Bildern, mit all dem Leid umzugehen, das man vor Ort sieht?

Das ist sehr belastend. Die Bilder brauchen Zeit, um ihren Platz zu finden. Und es ist wichtig, diese Bilder anzunehmen, anstatt sie zu verdrängen. Das funktioniert nicht, das ist meine Erfahrung jetzt seit 30 Jahren in diesem Berufsfeld. Es ist wichtig, den Bildern einen Sinn zu geben, und der Sinn liegt für mich darin, dass darüber berichtet werden muss, dass dies die Möglichkeit bietet, weitere Hilfe zu mobilisieren für die Menschen, die sich dort in dieser katastrophalen Situation befinden.

Im September ist ein neuer Anlauf für Friedensgespräche zwischen der Regierung und den Huthi-Rebellen erneut gescheitert. Gibt es irgendwelche Anzeichen für Frieden?

Die Gespräche, die die Vereinten Nationen mit ihrem Sondergesandten versuchen zu moderieren, sind eigentlich nicht weitergekommen. Das ist mein Eindruck. Ich befürchte, da sind wir noch weit von einer positiven Entwicklung entfernt. Der Anlass für Friedensgespräche wäre die Anerkennung des Leidens der Zivilbevölkerung. Und ich befürchte, wir müssen davon ausgehen, dass keiner der in diese Kämpfe involvierten Gruppen das Wohl der Zivilbevölkerung am Herzen liegt.

 

Karl-Otto Zentel ist Generalsekretär von Care Deutschland. Die Hilfsorganisation ist seit 25 Jahren im Jemen aktiv und leistet aktuell vor allem humanitäre Hilfe.

Das Interview führte Rahel Klein.

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