1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Zentralafrika: Auf der Flucht vor Gerüchten

Jan-Philipp Scholz | Adrian Kriesch
3. Mai 2017

Die Krise in der Zentralafrikanischen Republik hat dramatische Ausmaße angenommen. Auf der Flucht vor Gewalt sind viele von der Versorgung abgeschnitten. Auch das Geld reiche nicht, beklagen Helfer aus der Region.

Gruppe von Flüchtlingen mit UN-Blauhelm, Zentralafrikanische Republik
Bild: DW/J.-P. Scholz

Madelaine Bosopi hat die letzte Nacht in der Wildnis unter freiem Himmel geschlafen - wieder einmal. Die 50-Jährige hatte von einem Streit im Nachbardorf gehört. Eigentlich ging es nur um ein paar gestohlene Kühe. Doch dann machte das Gerücht die Runde, dass Ex-Séléka-Kämpfer unterwegs sein, um die angeblichen Kuhbesitzer zu rächen und ein Blutbad anzurichten.  "Sie wollen den ganzen Ort niederbrennen", so die Großmutter. "Da wären wir ihnen in unseren Hütten total ausgeliefert."

Madelaine Bosopi fühlt sich den Milizen ausgeliefertBild: DW/J.-P. Scholz

"Wir haben einfach nur Angst"

Die Séléka (übersetzt: Allianz) hatte sich vor fünf Jahren als Rebellengruppe gebildet, um den damaligen Präsidenten Francois Bozizé zu stürtzen. Doch die Miliz zerfiel in zahlreiche verfeindete Lager. Die meisten Splittergruppen verstehen sich wie die frühere Séléka noch immer als Verteidiger der muslimischen Minderheit im Land, aber viele sehen in ihnen lediglich bewaffnete Kriminelle, die mit Erpressung und Plünderungen die einheimische Bevölkerung tyrannisieren.

Noch während Madelaine Bosopi ihre Geschichte der vergangen Nacht erzählt, bricht wieder Unruhe in dem kleinen Dorf in der Provinz Ouham-Pendé aus. Mehrere Dutzend Frauen packen hastig Schlafmatten und ein paar Lebensmittel ein und nehmen ihre Kinder an die Hand. Es gibt neue Gerüchte, dass bewaffnete Rebellen im Anmarsch seien. Keine der Frauen kann sagen, woher ihre Informationen kommen oder vor welcher Rebellengruppe sie genau aus dem Dorf fliehen. "Wir haben einfach nur Angst", erklärt eine junge Mutter.

Krankenhäuser praktisch unerreichbar

Yambia Adam hat bereits drei ihrer Kinder verlorenBild: DW/J.-P. Scholz

Inzwischen sind mindestens vierzehn verschiedene Milizen in Zentralafrika aktiv, auch Einheimische haben den Überblick verloren. In der angespannten Lage reicht ein vages Gerücht, um Frauen und Kinder aus ihren Hütten zu vertreiben. Lieber in der Wildnis der Gefahr von Schlangenbissen, Malaria und Hunger ausgesetzt sein, als auf eine plündernde und vergewaltigende Meute im Drogenrausch zu treffen, so die Abwägung der Mütter.

Auch Yambia Adam musste schon dutzende Male aus ihrem Dorf in die Wildnis fliehen - und hat auf der Flucht drei ihrer sechs Kinder verloren. Nun sitzt sie im Krankenhaus der Stadt Paoua und fürchtet um das Leben ihrer fünfmonatigen Tochter Reine. "Wenn ich ihr Milch gebe, bricht sie alles sofort wieder aus", erklärt Adam. Über 40 Kilometer musste sie mit ihrer Tochter zurücklegen - zum Teil zu Fuß, zum Teil auf dem Rücksitz vorbeifahrender Motorräder. Schließlich erreichte sie das von der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" unterstützte Krankenhaus. "Wir sind immer wieder an Milizen-Checkpoints vorbeigekommen", berichtet Adam. Als diese gesehen hätten, dass sie kein Geld bei sich trug, hätten sie sie jedoch passieren lassen.

Spärlich ausgestattet und für viele unerreichbar: das Krankenhaus in PaouaBild: Reuters/B. Ratner

Straßensperren und Angriffe bewaffneter Gruppen sind auch für humanitäre Organisationen eines der Haupthindernisse, die Menschen in der Region zu versorgen. Seit 2013 sind mehr als 20 Nothelfer bei ihrer Arbeit in der Zentralafrikanischen Republik ums Leben gekommen, weil sie zwischen die Fronten gerieten. "Immer wieder müssen wir mit den bewaffneten Gruppen neu verhandeln, damit sie uns Zugang zu der notleidenden Bevölkerung gewähren", erklärt Abou Dieng, Regionaldirektor des Welternährungsprogramms (WFP), während eines Besuchs in der Gegend.

Helfer bitten um Hilfe

Doch die internationalen Organisationen haben ein noch größeres Problem als die Unsicherheit: Selbst wenn ihre Hilfe bei der betroffenen Bevölkerung ankommt, reicht sie bei Weitem nicht aus. Mehr als zwei Millionen Menschen, rund die Hälfte der Bevölkerung Zentralafrikas, sind dringend auf humanitäre Unterstützung angewiesen. "Im Rahmen unseres Spendenaufrufs haben wir ausgerechnet, dass wir dafür dieses Jahr 400 Millionen US-Dollar benötigen", so Dieng. Doch bisher hätten sie weniger als zehn Prozent dieses Geldes erhalten, bilanziert der Nothelfer.

Hilfslieferungen sind ein seltenes Bild, weil Rebellen die Wege belagern - und weil Spenden fehlenBild: Reuters/B. Ratner

Wenn sich daran nicht bald etwas ändere, könne aus dem lokalen Konflikt ein wahrer Flächenbrand werden, warnt sein mitreisender Kollege Richard Danziger von der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Er wolle den Teufel nicht an die Wand malen, so der IOM-Westafrikadirektor. Doch es gehe hier nicht nur um eine humanitäre Krise in einer abgelegenen Region Afrikas. "Gucken Sie sich nur die umliegenden Länder an: Da haben wir alles von Boko Haram in Nigeria über Al-Kaida im Maghreb bis hin zu den Milizen im Südsudan. Wenn wir nicht aufpassen, dann wird diese Region schnell zum Rückzugsgebiet für alle möglichen weiteren Unruhestifter."