Zhang Yimou und sein Verhältnis zur Macht
12. Februar 2019"Yi Miao Zhong / One Second" sollte am Freitag (15.02.2019) seine Weltpremiere auf der Berlinale erleben. Angeblich wegen technischer Probleme bei der Post-Production musste der Wettbewerbsfilm, der von der Kulturrevolution in China erzählt, jetzt abgesagt werden. Viele Beobachter halten das für einen Vorwand und vermuten, dass die chinesischen Kulturbürokraten in letzter Minute zugeschlagen haben.
Kulturrevolution - ein brisantes Thema
Denn das Thema Kulturrevolution muss in China noch immer mit Vorsicht behandelt werden. Eine breite öffentliche Debatte über die "Zehn chaotischen Jahre" - wie die Zeit von 1966 bis zu Maos Tod 1976 offiziell oft umschrieben wird - ist tabu. Offensichtlich fürchtet die chinesische Führung die Fragen nach der Schuld für Millionen Tote. Wer trug die Verantwortung für all die zerstörten Leben, für Menschen, die hungerten, Jugendliche, die nie eine Bildung erhielten, Intellektuelle, die gefoltert, verbannt oder gar in den Selbstmord getrieben wurden?
Es ist nicht Zhang Yimous erster Film über die Kulturrevolution, und es ist kaum anzunehmen, dass sein Film diese Fragen offen aufwirft. Und es bleibt - wenn auch gut begründete - Spekulation, ob es daran lag, dass erstmals ein Kandidat für den Bären noch während der Berlinale aus dem Wettbewerb genommen werden musste. Der Regisseur steht für ein Interview nicht zur Verfügung. Es heißt, er sei, anders als geplant, nicht in Berlin.
Zhang Yimou ist kein regimekritischer Regisseur
Auch wenn er in seinen Filmen immer wieder brisante gesellschaftliche oder historische Themen aufgreift, ist der 68-Jährige längst kein regimekritischer Filmemacher mehr. Er gehört zu den erfolgreichsten und international bekanntesten Regisseuren Chinas und auch zu den Stars, die der Berlinale seit Jahrzehnten verbunden sind.
Schon für seinen ersten großen Film "Hong Gaoliang / Rotes Kornfeld" erhielt er 1988 den Goldenen Bären. Sein opulentes Heldenepos "Ying xiong / Hero" lief 2003 im Wettbewerb. Zuletzt war er 2012 auf der Berlinale vertreten, mit einem Film über das japanische Massaker in Nanjing 1937 "Jin ling Shi san chai / The Flowers Of War", in dem Hollywood-Star Christian Bale eine Hauptrolle spielte.
Seit den Achtzigerjahren hat Zhang - Anfang des Jahrzehnts bekannt geworden als Kameramann von Regisseur Chen Kaige - mehr als zwanzig Filme gedreht, in einigen selber als Darsteller mitgespielt. Seine Filme und Drehbücher erhielten Auszeichnungen in Cannes und Venedig.
Der Schock nach dem 4. Juni '89
Doch Zhangs Verhältnis zu den chinesischen Machthabern war durchaus wechselhaft. Nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung zeigte er sich Anfang Juni 1989 von den Geschehnissen auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking tief erschüttert. Vor 30 Jahren, in der Nacht vom 3. auf den 4. Juni 1989, als sich die Hardliner unter Li Peng in der chinesischen Führung durchgesetzt hatten, wurden Hunderte von Menschenleben und der Traum von Freiheit auf dem Pekinger Tian'anmen-Platz niedergewalzt.
Zhang Yimou und seine Crew waren dabei, den Film "Ju Dou" abzudrehen. Auch Zhang blieb die ganze Nacht schlaflos. Mit einigen Kollegen sah er sich die deprimierenden Zeugnisse der Niederschlagung an: die blutenden Studenten, die ausgebrannten Busse, zerstörte Straßen. Wang Bin, der damals schon seit vielen Jahren sein Berater für Literaturverfilmungen war, berichtete später, wie Zhang reagierte: "Ich merkte, wie es ihn betraf, es ging ihm um sein Land."
Wegen der Erlebnisse in dieser Nacht änderte Zhang die Schlussszene von "Ju Dou". Wang Bin berichtete: "Am Ende des Films gibt es in 'Ju Dou' ein riesiges Feuer, und das drückt unsere Gefühle aus. Das war der 4. Juni."
Jahrelanges Aufführungsverbot
Zhangs filmische Meisterwerke wie "Ju Dou" (1990), "Rote Laterne" (1991), oder "Leben!" (1994) waren bis Mitte der Neunziger von chinesischen Leinwänden verbannt. Die Verfilmung eines Romans von Yu Hua, "Leben!", war der letzte Film, mit dem er die Zensurbehörden noch herausforderte. Vier Jahrzehnte umspannt dieser Film, der die Umwälzungen der jüngeren chinesischen Geschichte einschließlich der Katastrophe der Kulturrevolution feinfühlig im Schicksal einer Schattentheater spielenden Familie erzählt.
Der 1951 geborene Regisseur hätte in ähnlicher Weise sein eigenes Leben verdichten können: Er gehörte während der Kulturrevolution als Sohn eines Angehörigen der Kommunisten-feindlichen Guomindang-Armee zur stinkendsten Kategorie aller üblen Klassenzugehörigkeiten. Seine Jugend verbrachte er zwangsverschickt auf dem Land und in einer Textilfabrik.
Als "Leben!" 1994 in Cannes ausgezeichnet wurde, durfte Zhang Yimou nicht ausreisen. Die Behörden verboten ihm für die nächsten fünf Jahre, Filme mit ausländischem Kapital zu produzieren. Sie drohten mit einem kompletten Drehverbot in China. Aber Zhang wollte immer in China arbeiten.
Eventmanager der chinesischen Machthaber
Spätestens 1998 waren die ständigen Konflikte mit der Zensurbehörde Vergangenheit. Zhang durfte die Oper "Turandot" in der Verbotenen Stadt inszenieren. 2005 ließ er das Mammut-Spektakel auch an einigen westlichen Spielstätten wiederaufleben, darunter auch im Münchner Olympiastadion.
Nach seiner überaus erfolgreichen Inszenierung der olympischen Eröffnungszeremonie am bedeutsamen 8. 8. 2008 und der Schlussfeier im Pekinger Vogelnest durfte Zhang Yimou im Auftrag der Kommunistischen Partei zum 60-jährigen Jubiläum der Volksrepublik China am 1. Oktober 2009 noch einmal als oberster Zeremonienmeister der Nation wirken: Der weltbekannte Regisseur ließ sich als Eventmanager der chinesischen Machthaber vereinnahmen.
Internationaler Erfolg mit Kung-Fu-Filmen
Filmisch zum ersten Mal besonders deutlich zeigte sich die Hals-Wende Zhangs in seinem 2002 veröffentlichten Kampfkunst-Film "Hero". Nicht nur ließen die chinesischen Behörden die bis dahin teuerste chinesische Filmproduktion in der Großen Halle des Volkes uraufführen - sie unterstützten auch die Einreichung des Films für die Oscar-Prämierung.
Auch wenn "Hero" keine Auszeichnung erhielt, wurde er an den amerikanischen Kinokassen zum erfolgreichsten ausländischen Film des Jahres. In China wurde das Epos um den ersten Kaiser Qin Shi-huang-di als Einverständniserklärung mit den Machthabern verstanden: Um das Reich zu einigen und die Stabilität im Land zu sichern, lässt der Kaiser in großem Maßstab töten.
Zhang Yimou hat sich immer dagegen verwehrt, wenn ihm rein finanzielle Interessen unterstellt wurden. An Politik sei er nicht interessiert, betonte er immer wieder, aber auch nicht an Reichtum. Ihm ginge es immer und in erster Linie darum, das kulturelle Erbe Chinas lebendig zu halten, mit oder gegen Hollywood konkurrenzfähig zu sein. Dass er mit seinen Bilderschöpfungen auch der Partei diente, empfand er nicht als Verrat am eigenen künstlerischen Credo.
Fast totalitäre Überwachung
Dass Zhang Yimous neuester Film auf der Berlinale erst einmal nicht laufen kann, hat in China Bestürzung hervorgerufen, die sich vielfach in den sozialen Medien äußert.
In der relativen Öffnungsphase 2008 mochten Zhang Yimou und andere chinesische Künstler und Intellektuelle noch auf eine Erweiterung der Grenzen der Freiheit gehofft haben, auf eine differenziertere Realitätsbeschreibung in der Kunst und im Internet, ja, selbst in offiziellen Medien.
Nach Xi Jinpings Machtantritt 2012 hat sich das ins Gegenteil verkehrt. Aus Hoffnung wurde Beklemmung, aus Freiheitsstreben fast totalitäre Überwachung. Im akademischen Bereich, in den Medien und in den kreativen Künsten hat eine neue Phase begonnen: die der Kontrolle. So ist zu erklären, weshalb auch ein Star-Regisseur, ein einstiger Ästhet der Macht, wieder kürzer ans Gängelband der Partei genommen wird.