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Politik

Zitterpartie bei US-Zwischenwahlen

9. November 2022

Bei den Midterms zeigen die bisherigen Zahlen keinen klaren Gewinner. Allerdings scheinen sich die Demokraten von Präsident Joe Biden besser zu behaupten als zunächst erwartet.

USA Midterms-Wahlen | Florida
Bild: HERRERA-ULASHKEVICH/EPA-EFE

Auch Stunden nach Schließung der Wahllokale ist weiter unklar, welche Partei in beiden Kammern des US-Kongresses künftig die Mehrheit stellt. Es könnte aber sein, dass sich die Demokraten deutlich besser schlagen als prognostiziert. Die oppositionellen Republikaner müssten allerdings nur einen Sitz im Senat und fünf im Repräsentantenhaus hinzugewinnen, um die Mehrheitsverhältnisse umzudrehen.

Bei der Wahl der offenen Senatsmandate entsprachen erste Ergebnisse den Prognosen. In den Bundesstaaten Indiana, Kansas, Kentucky, Ohio, Florida und Oklahoma etwa setzten sich Republikaner laut US-Medien durch, in Colorado, New York, Pennsylvania, Michigan und Illinois hingegen demokratische Kandidaten.

Votum zur Halbzeit

Die Zwischenwahlen, kurz: Midterms, markieren die Halbzeit in der vierjährigen Amtsperiode des US-Präsidenten. Abgestimmt wird über alle 435 Sitze im Repräsentantenhaus sowie über ein Drittel der 100 Sitze im Senat - diesmal sind es 35 Mandate, weil noch eine außerplanmäßige Wahl in Oklahoma hinzukommt. Wegen der verschiedenen Zeitzonen konnten die Menschen in einigen Regionen von Kentucky und Indiana bis Mittwoch, 0.00 Uhr MEZ abstimmen, während die letzten Wahllokale im Bundesstaat Alaska erst um 7.00 Uhr MEZ schlossen. 

Im Repräsentantenhaus verfügen die Demokraten von US-Präsident Joe Biden derzeit über 220 Stimmen, die Republikaner über 212 (Wahlergebnis 2020: 222 zu 213 Sitzen). Nach einem Todesfall und zwei Rücktritten sind drei Sitze vakant. Im Senat herrscht - dank zweier unabhängiger Senatoren, die fast immer mit den Demokraten stimmen - ein 50:50-Patt, das die Regierungspartei durch die Stimme von Vizepräsidentin Kamala Harris jedoch für sich entscheiden kann.

Angekreuzt: Stimmabgabe in Orlando/FloridaBild: Gregg Newton/AFP/Getty Images

Darüber hinaus bestimmten die US-Bürger in 36 Bundesstaaten die Gouverneurin oder den Gouverneur. Von diesen Amtsinhabern stellten die Demokraten bisher 16, die Republikaner 20; in allen 50 Staaten waren es bislang 22 Demokraten und 28 Republikaner. Auch in drei US-Außengebieten (Guam, Nördliche Marianen und Amerikanische Jungferninseln) wird über die Gouverneure abgestimmt. In Deutschland entspräche ihr Amt am ehesten dem Ministerpräsidenten eines Bundeslandes.

Sieger im Scheinwerferlicht

Auf einige mutmaßliche Sieger aus ihren Reihen richtet sich besondere Aufmerksamkeit. So konnte der Gouverneur von Florida, der Republikaner Ron DeSantis, seinen Posten der Nachrichtenagentur AP zufolge verteidigen. Der 44-Jährige gilt als möglicher Anwärter auf eine Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2024 - und als Rivale des früheren Präsidenten Donald Trump, der zuvor bereits Drohungen ausgestoßen hatte. Er könne über DeSantis "Dinge erzählen, die nicht besonders schmeichelhaft sind", sagte Trump dem Sender Fox News. "Ich weiß mehr über ihn als jeder andere - mit Ausnahme vielleicht seiner Frau."

Rhetorisch bedroht: Floridas alter und neuer Gouverneur Ron DeSantis am Montag in Hialeah/FloridaBild: Eva Marie Uzcategui/AFP/Getty Images

Eine frühere Sprecherin Trumps im Weißen Haus, Sarah Huckabee Sanders, setzte sich laut US-Medien in Arkansas als Regierungschefin durch, wo bereits ihr Vater Mike Huckabee von 1996 bis 2007 Gouverneur war. Im Bundesstaat Massachusetts sorgte die Demokratin Maura Healey für eine Premiere: Die 51-jährige wurde nach Hochrechnungen als erste offen homosexuelle Frau in der Geschichte des Landes zur Gouverneurin gewählt. 

Stichwahl im Süden?

Je nachdem, wie nah beide Parteien im Rennen um das Kapitol beieinanderliegen, lassen belastbare Ergebnisse länger auf sich warten: In Kalifornien etwa dauert es oft Wochen, bis alle Stimmzettel ausgezählt sind, weil in dem Bundesstaat auch Briefwahlunterlagen berücksichtigt werden, die erst Tage nach der Wahl eingehen - sofern die Umschläge spätestens an diesem Dienstag abgestempelt wurden. Auch Nevada und der Bundesstaat Washington handhaben dies so.

Der Ausgang der Senatswahl könnte noch deutlich später feststehen als die Sitzverteilung im Repräsentantenhaus. Denn in Georgia und Louisiana müssen die Kandidaten eine absolute Mehrheit erreichen, um ein Mandat zu erringen. Gelingt dies keinem Bewerber, kommt es zur Stichwahl, die in der ersten Dezemberhälfte stattfinden würde. Zumindest in Louisiana sieht AP aber den republikanischen Amtsinhaber John Kennedy als Sieger. In Georgia läuft es nach Auszählung fast aller Stimmen auf eine Stichwahl hinaus. Die Abstimmung in dem traditionell eher republikanischen Bundesstaat im Süden galt von vornherein als ein mögliches Schlüsselrennen bei der Wahl.

Per Post: Briefwahl-Stimmzettel in Salt Lake City/UtahBild: George Frey/Getty Images

Alle Gesetze müssen in den Vereinigten Staaten sowohl vom Repräsentantenhaus wie auch vom Senat bestätigt werden. Dennoch sieht sich ein US-Präsident - historisch betrachtet - oftmals einer oppositionellen Mehrheit in einer oder beiden Kongresskammern gegenüber. Dies erschwert ihm die Arbeit deutlich. Im präsidentiellen System der USA stimmen die Fraktionen allerdings wesentlich seltener geschlossen ab als in parlamentarischen Demokratien wie Deutschland oder Großbritannien.

Rückenwind dank Inflation

Den Republikanern, denen viele Wähler eine höhere ökonomische Kompetenz zuschreiben als der Regierungspartei, spielt vor allem die Inflation in die Karten, spürbar an rasant gestiegenen Preisen etwa für Benzin und Lebensmittel. Daran ändert auch nichts, dass der US-Arbeitsmarkt so robust ist wie schon lange nicht mehr.

Biden steckt seit Monaten im Umfragetief. Für den 79-Jährigen sind diese Midterms von herausragender Bedeutung. Es geht nicht allein um Wirtschaftspolitik, um Antworten auf den Klimawandel und das Votum zu einem der wichtigsten Themen der vergangenen Monate: das Recht auf Abtreibung, das der Oberste Gerichtshof mit seinem Urteil vom Juni als nicht verfassungsmäßig verbrieft ansieht.

Heißer Wahlkampf: Demonstration für das Recht auf Abtreibung vor einem Monat in New YorkBild: Jeenah Moon/Getty Images

Es geht auch um das politische System als solches, da zahlreiche republikanische Kongress-Kandidaten das Ergebnis der Präsidentenwahl von 2020 anzweifeln - indem sie sich den völlig unbelegten Vorwurf des unterlegenen Ex-Staatschefs Trump zu eigen machen, es habe seinerzeit Wahlbetrug gegeben.

Noch am Donnerstag hatte Biden erklärt, man habe ihm gesagt, falls die Republikaner in beiden Kongresskammern die Mehrheit holten, müsse er sich gar auf ein Amtsenthebungsverfahren gefasst machen, wobei er überhaupt nicht wisse, was ihm vorgeworfen werde. Trump wiederum könnte mit Rückenwind eine erneute Kandidatur für 2024 erklären. Für kommenden Dienstag hat er bereits eine "sehr große Ankündigung" in Aussicht gestellt.

Wieder mitmischen: Ex-US-Präsident Donald Trump in Miami/Florida am SonntagBild: Eva Marie Uzcategui/AFP/Getty Images

Auch außenpolitisch dürfte ein "devided government", also eine parlamentarische Mehrheit der Opposition, spürbar werden: Die Milliardenhilfen für die Ukraine, warnen Experten, könnten von den Republikanern beschnitten werden. Innenpolitisch müsste Biden vermehrt zu Dekreten greifen, die nicht der Zustimmung des Kongresses bedürfen. Ambitionierte Gesetzesvorhaben könnte der Staatschef kaum noch durchbringen.

"Am Schreibtisch sitzen und Drohungen abwehren"

Bidens etwaige Lage nach einem solchen Wahlausgang brachte Gregory Magarian von der Washington University in St. Louis unlängst auf den Punkt: "Die zweite Hälfte seiner Präsidentschaft wäre rein defensiv." Bildhaft fügte der Rechtswissenschaftler im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur hinzu: "Er würde im Wesentlichen an seinem Schreibtisch sitzen und politische Drohungen abwehren."

jj/mak/se (dpa, afp, rtr, ap, phoenix, cbs)