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GesellschaftDeutschland

Ziviler Ungehorsam für die gute Sache

25. Februar 2022

Klima-Aktivisten blockieren Autobahnen und Flughäfen. Ihr Ziel: ein Verbot, Lebensmittel zu vernichten. Manche halten den Protest für legitim. Aber ist er auch legal?

Klimaaktivisten blockieren Kreuzung im Hafen
Klima-Aktivisten der Initiative "Letzte Generation" kleben sich auf einer Straßenkreuzung in Hamburg festBild: dpa

Ihre schärfste Waffe ist Klebstoff. Einer, mit dem man in Sekundenschnelle ohne großen Aufwand alles Mögliche fixieren kann – auch Menschen. Und genau das passiert gerade in Deutschland. Bevorzugt auf Autobahnen oder Straßen, die zu Flughäfen führen. Täter und Opfer sind dieselben Personen: überwiegend junge Leute der Kampagne "Essen retten – Leben retten", die sich selbst auf dem Asphalt festkleben. Mit ihren Blockaden legen sie seit dem 24. Januar überall den Verkehr lahm.

Kampf gegen Welthunger und Luftverschmutzung

"Aufstand der letzten Generation" nennt sich die Initiative, die mit ihrem landesweiten Protest ein Gesetz zum Verbot von Lebensmittelvernichtung erzwingen will. Ihre erste Forderung an die Bundesregierung, nachzulesen auf der Homepage: "Große Supermärkte sollten verpflichtet werden, noch genießbares Essen zu spenden – und so gegen den Welthunger vorzugehen und deutlich ihren CO₂-Ausstoß zu reduzieren." 

Die Bevölkerung schwankt zwischen Verständnis, Ärger und Wut. Berichte über Autofahrer, die einen unerwarteten Stau vor dem Eintreffen der Polizei selbst auflösen wollen, häufen sich. Das Problem: Die menschlichen Hindernisse, die sie wegtragen wollen, kleben so stark auf der Straße fest, dass Lösungsmittel benötigt werden.

Eine Nacht hinter Gitter wird in Kauf genommen

Was das für die Betroffenen bedeutet, liest sich in einem Tweet der "Letzten Generation" so: "Meine Hand klebt an der Straße und ist ziemlich kalt. Ich werde sehr wahrscheinlich die kommende Nacht in einer Einzelzelle ohne Bettzeug verbringen. Ich bin dennoch 100 % entschlossen, das Richtige […] zu tun."

Die Aktivisten nehmen also in Kauf, von der Polizei zur Gefahrenabwehr vorübergehend mit aufs Revier genommen zu werden. Der Grund: die Blockaden sind potenziell gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr. Wie solche Aktionen rechtlich bewertet werden, hängt vom Einzelfall ab. Die höchste juristische Instanz in Deutschland, das Bundesverfassungsgericht, hat dazu 1995 eine wegweisende Entscheidung getroffen: Demnach sind Sitzblockaden unter bestimmten Voraussetzungen im Rahmen der Versammlungsfreiheit zulässig.

Historisches Vorbild: Blockaden gegen Atommüll-Transport

Allerdings wird sich die "Letzte Generation" kaum darauf berufen können. Denn entscheidend ist aus rechtlicher Sicht die Verhältnismäßigkeit. Dazu gehören unter anderem Dauer und Intensität einer Aktion, ihre vorherige Bekanntgabe und Ausweichmöglichkeiten. Wichtig ist auch ein erkennbarer Zusammenhang zwischen der Blockade und dem damit angestrebten Ziel. Klassisches Beispiel: Protest gegen Atommüll-Transporte nach Gorleben. 

November 2011: Straßenblockade in Gorleben aus Protest gegen Castor-Transporte in das atomare ZwischenlagerBild: Christian Charisius/dpa/picture alliance

Sie für gefährlich zu halten und deshalb symbolisch Straßen oder Bahnschienen zu blockieren, kann im Zweifelsfall noch als zulässiger Protest durchgehen. Die "Letzte Generation" geht jedoch wesentlich weiter und belässt es nicht bei Botschaften – sie fordert von der Politik ultimativ ein Gesetz zum Verbot von Lebensmittelvernichtung. Erst wenn dieses Ziel erreicht ist, sollen die Blockaden enden.

Protestforscher sieht keine Chance für Dialog mit der Politik

Der Berliner Protestforscher Moritz Sommer hält Blockaden als Ausdruck zivilen Ungehorsams zwar grundsätzlich für legitim, sieht bei der "Letzten Generation" aber eine "symbolische Diskrepanz" zwischen der Protestform und dem Ziel: die Ernährungsindustrie zu reformieren. "Es gelingt den Aktivisten nicht, der Bevölkerung verständlich zu machen, was der Zusammenhang ist", sagt der Soziologe vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) im DW-Gespräch. 

Protestforscher Moritz Sommer über die "Letzte Generation"

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Chancen auf einen Dialog zwischen der "Letzten Generation" und der Politik erkennt Sommer momentan nicht. Das war auch so, als einige der Aktivisten 2021 mit einem Hungerstreik von der Politik mehr Engagement im Kampf gegen die Klimakrise verlangten. Schon vor dem Hintergrund, sich nicht "erpressen" lassen zu wollen, werde es jetzt keine ernsthaften Gespräche mit der Initiative geben, meint Sommer.

Zudem wundert er sich, "warum dieses Thema jetzt so in den Vordergrund gehoben wird". Seit Dezember 2021 amtiert eine Regierungskoalition mit dem sozialdemokratischen Bundeskanzler Olaf Scholz und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir von den Grünen. Deshalb sieht der Protestforscher noch Spielraum für eine durchgreifende Reform der Ernährungswirtschaft – "auch im Sinne der Aktivisten".

Berlin als Hotspot der Blockaden

Verständnis für die Blockaden der "Letzten Generation" hat die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang: "Klar ist, es darf niemand gefährdet werden", sagte sie Anfang Februar in einem "Tagesspiegel"-Interview. "Ich halte zivilen Ungehorsam dann für ein legitimes Mittel des politischen Protests, wenn er eben friedlich vonstattengeht." Hinter solchen Aktionen stecke eine große Sorge um die Zukunft.

Ganz anders sieht das Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey. Wie hier für Klimaschutz und gegen Lebensmittelverschwendung protestiert werde, sei "grenzüberschreitend und nicht zu akzeptieren", meint die Sozialdemokratin. Und sie dürfte sich durch eine Ankündigung der "Letzen Generation" bestätigt fühlen: Am 25. Februar soll der Flugverkehr am Berlin-Brandenburger Airport zum Erliegen gebracht werden. Die deutsche Hauptstadt ist seit Beginn der Proteste ein Hotspot der Blockaden.

Nachlassender Elan scheint für die Klimaaktivisten also kein Problem zu sein. Auch Protestforscher Moritz Sommer hält es für unwahrscheinlich, "dass die Aktionen in zwei, drei Tagen aufhören". Die Blockaden dauerten schon ziemlich lange an. Das zeuge von der Überzeugung, der Verzweiflung und dem Glauben, "dass sie keine anderen Mittel mehr haben".

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland
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