Zoff bei Bertelsmann
19. Februar 2003Die über Jahrzehnte hinweg als Ideallösung gepriesene Trennung von Unternehmensführung und Eigentümerfamilie gilt nicht mehr. Auch strebt die Familie Mohn mit Bertelsmann-Aktien nicht mehr an die Börse, sondern die Familie will weiterhin die Geschicke des Konzerns bestimmen. Dafür hat Reinhard Mohn seine Frau Liz mit der Wahrnehmung der Familieninteressen in der Bertelsmann-Verwaltungsgesellschaft betraut, die den Konzern beherrscht. Bei der Vorstellung seines neuen Buches über "Die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmers" hat Mohn zudem ehemaligen Spitzenmanagern Eitelkeit und Ruhmsucht vorgeworfen.
Die Firmengeschichte
Der Bertelsmann-Konzern ist eines der größten Medienunternehmen weltweit, in Europa steht Bertelsmann an erster Stelle. Das ist das Lebenswerk von Reinhard Mohn. 1947 - nach Rückkehr aus der amerikanischer Kriegsgefangenschaft - übernahm Mohn von seinem Vater die Führung des weitgehend zerstörten Unternehmens. Nach schwierigem Neubeginn folgte 1950 der Start des Bertelsmann-Leserings, einer Buchgemeinschaft. Schritt für Schritt wurden die Druckereien ausgebaut, in die Schallplattenproduktion diversifiziert, Deutschlands größter Zeitschriftenkonzern Gruner+Jahr gekauft sowie die führende Position beim privaten Fernsehen in Europa aufgebaut. Daneben expandierte Bertelsmann mit seinen vielfältigen Aktivitäten international - vor allem in Europa und Nordamerika, aber auch in Asien und Lateinamerika. Mittlerweile ist der Konzern mit Buchverlagen, Leseringen, der Musikproduktion, Druckereien, Zeitschriften, Fernsehen und Dienstleistungen weltweit tätig. Der Jahresumsatz beläuft sich auf knapp 20 Milliarden Euro.
Der Chef
Für Reinhard Mohn hatte das Unternehmen stets Vorbildfunktion. Das betraf vor allem die Unternehmensführung, die von Dezentralisation, Eigenverantwortung und Gewinnbeteiligung der Mitarbeiter, von Motivation sowie von gesellschaftlichem Engagement geprägt war und ist. Nun ist das Vorbild in's Gerede gekommen. Denn über Jahrzehnte hinweg hatte Mohn die Trennung von Unternehmensführung und Eigentümerfamilie zum Prinzip erhoben - und konsequenterweise den größten Anteil am Unternehmen in eine Stiftung eingebracht. Der Gang an die Börse wurde vorbereitet. Doch die Trennung von
Unternehmensführung und Eigentümerfamilie gilt jetzt nicht mehr. "Federführend für die Wahrnehmung des Familieneinflusses habe ich meine Frau eingesetzt", erklärte Mohn der erstaunten Öffentlichkeit und den entsetzten Mitarbeitern.
Der Zwist
Der Herrscher sieht sich von eitlen und eigensüchtigen Managern enttäuscht und postuliert: Verlass sei nur auf die eigene Familie. Vor allem ehemalige Spitzenmanager können sich angesprochen fühlen. Mark Wössner, 16 Jahre lang Vorstandschef von Bertelsmann und dann unsanft verabschiedet, hält Mohns Beschimpfung für "nicht sachgerecht und nicht fair". Der Aufsichtsratsvorsitzende Gerd Schulte-Hillen, zuvor langjährig erfolgreicher Chef der Zeitschriftensparte, mahnte öffentlich, "bei großen strategischen Fragen immer unternehmerischer Erfahrung und Kompetenz entscheidendes Gewicht zu geben". Wenn das Gewicht der Familie derart gestärkt werde, wie von Mohn verordnet, werde das Risiko von Fehlentscheidungen keineswegs kleiner.
Ohne Reinhard Mohn ging und geht bei Bertelsmann nichts. Mohn ist stets auf der Suche nach den fähigsten Managern. Er bestimmt über Aufstieg und und Ende der Karriere. Das galt auch für Thomas Middelhoff, strahlender Held der New Economy, der Bertelsmann an die Börse bringen wollte und der im Sommer 2002 ohne Vorwarnung die Konzernzentrale verlassen mußte. Der bereits auf's Altenteil gewechselte Druckerei-Vorstand Gunther Thielen wurde zurückgeholt und zum Vorstandschef ernannt. Er hält das Unternehmen auf Kurs und achtet darauf, dass trotz schwierigem Umfeld Gewinne erwirtschaftet werden.
Der Clan
Ende März wird Thielen die Bilanz für das vergangene Jahr erläutern. Doch nicht so sehr die erfolgreichen Zahlen sind von öffentlichem Interesse, sondern der abrupte Wechsel der Prinzipien und die Rückkehr der Eigentümerfamilie an die entscheidenden Schalthebel sorgen für Schlagzeilen. Denn nicht nur Reinhard und Ehefrau Liz Mohn sitzen im achtköpfigen Vorstand der Bertelsmann-Verwaltungsgesellschaft, sondern auch ihre Kinder Brigitte und Christoph. Da im Vorstand der Holding für alle wichtigen Entscheidungen eine Dreiviertelmehrheit nötig ist, ist Vorsorge getroffen, dass auch nach dem Tod des Konzernpatriarchen bei Bertelsmann gegen die Familie Mohn nichts geht.