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Politik

Zoff in Le Pens Hochburg

Bernd Riegert Hénin-Beaumont
23. April 2017

Rechtspopulistin Marine Le Pen ist in Hénin-Beaumont zu Hause. In dieser "vergessenen" Kleinstadt will sie die historische Entscheidung am Abend abwarten. Von Bernd Riegert, Hénin-Beaumont.

Frankreich Präsidentschaftswahl Marine Le Pen
Marine Le Pen in Hénin-Beaumont: Grenzen dicht, Frankreich zuerstBild: Reuters/P. Rossignol

Vor dem Wahllokal Nummer 12 in der "Jean-Jacques Rosseau"-Schule in dem kleinen Städtchen Hénin-Beaumont geht es hoch her. Eine ältere Dame erzählt stolz in Dutzende Fernsehkameras, dass sie soeben ihr Kreuz bei der Front National-Kandidatin Marine Le Pen gemacht hat. Aufgebracht keift ein Mann, der für den linksextremen Jean-Luc Mélenchon gestimmt hat, sie an. Sie solle sich schämen - und lässt derbe Schimpfworte auf die FN-Wählerin herabprasseln. Die schreit zurück, sie wolle aus Europa heraus und das sei jetzt eine prima Gelegenheit.

Warum sie - wie Marine Le Pen - die EU ablehnt, kann die Dame auf Nachfrage der DW nicht so recht begründen. "Weil es mir reicht und das ganze System verrottet ist", lautet ihre Antwort. Die Stimmung ist gereizt an diesem Wahltag. Dazu trägt auch die kleine Gruppe spärlich bekleideter Demonstranten bei, die in der Nähe gegen Le Pen und den populistischen US-Präsidenten Donald Trump protestieren. Die Polizei drängt die Gruppe ab. 

"Du bist doch das Allerletzte": Harte Wortgefechte zwischen Le Pen-Wählerin (links) und GegnerBild: DW/B. Riegert

Wahrscheinlich wird der FN in Hénin-Beaumont überdurchschnittlich abschneiden. Die Stadt mit hoher Arbeitslosigkeit und einem niedrigen Bildungsniveau im strukturell schwachen Norden Frankreichs ist eine Hochburg der Rechtspopulisten. Hier stellt der Front National den Bürgermeister.

Marine Le Pen, die seit 2011 Chefin des Front National (FN) ist, hat in der Gegend 1998 ihre politische Karriere als Stadträtin gestartet. Darum hat sie nicht Paris, wo die verachtete "Elite" wohnt, sondern Hénin-Beaumont als Ort für ihre von den internationalen Medien verfolgte Stimmabgabe gewählt. Hier lebten "die vergessenen und abgehängten Franzosen" begründete Le Pen ihren Schritt vor zwei Wochen. Um die wolle sie sich kümmern.

Im dunkelbraunen Mercedes-Bus mit abgetönten Scheiben fuhr Le Pen vor. Bodyguards schützten sie bei jedem Schritt. Durch einen Seiteneingang betrat sie das Wahllokal. Die zahlreichen Schaulustigen aus Hénin-Beaumont, die in den Fenstern der Häuser gegenüber dem Wahllokal Ausschau hielten, bekamen die Chefin nicht zu Gesicht.

Voller Körpereinsatz: Proteste gegen Trump, Le Pen und den BrexitBild: picture-alliance/AP Photo/M. Spingler

Prognosen schwierig

Auch die Studentin Victoria ist an diesem Sonntag wählen gegangen. Sie hat sich für den linksextremen Kandidaten Jean-Luc Mélenchon entschieden. So ganz überzeugt ist sie von seinen Ansichten zwar nicht, aber sie glaubt, nur wenn er in die Stichwahl um das Präsidentenamt in zwei Wochen kommt, lasse sich Marine Le Pen noch verhindern. Vielleicht erreiche die ja auch gar nicht die Stichwahl, wenn sich der liberale Emmanuel Macron oder der konservative Francois Fillon durchsetzen, hofft Victoria. Wie sie zucken die meisten der Wähler auf die Frage, wer die besten Chancen habe, die Schultern.

Victoria: Man muss Le Pen verhindern helfenBild: DW/B. Riegert

"Man weiß es einfach nicht mehr. Diese Wahl ist völlig ungewiss", meint Louise, ein blonde Mittvierzigerin, die ebenfalls Mélenchon ihre Stimme gegeben hat. Ähnlich geht es auch den Meinungsforschern. Die vier Kandidaten mit den bisher höchsten Umfragewerten liegen eng beieinander.

Die belgische Zeitung Le Soir veröffentlichte eine letzte Umfrage, nach der die Rechtspopulistin Le Pen allerdings mit Abstand als Gewinnerin aus der ersten Runde hervorgehen würde. In Frankreich dürfen seit Freitag keine Umfragen mehr veröffentlicht werden. Im Ausland dagegen schon. Die Wahlbeteiligung lag im Norden Frankreichs am Mittag bereits leicht über der Wahlbeteiligung beim letzten Mal. Le Pen könnte in der Region um Hénin-Beaumont zusätzliche Wähler mobilisiert haben. Oder vielleicht ihre Gegner?

Terrorangst bei den Wahlen: Polizeikräfte vor dem WahllokalBild: DW/B. Riegert

Wahlen im Ausnahmezustand

Die Wahlen finden wegen der Terrorgefahr unter Ausnahmerecht und noch einmal verschärften Sicherheitsmaßnahmen statt. Nachdem am Donnerstag ein mutmaßlich islamistischer Terrorist Polizisten auf den Champs-Élysée in Paris attackierte, hat der französiche Staat 50.000 Polizisten und 7000 Soldaten zum Schutz der Wahlen abgestellt. In der Nähe von Hénin-Beaumont wurden wegen eines verdächtigen Fahrzeugs zwei Wahllokale für kurze Zeit geschlossen. Das ganze war ein Fehlalarm. Im Wahllokal 12, wo zwei Polizisten postiert sind, bleibt es ruhig, bis auf das laute Wortgefecht der Wähler und die Anti-Le Pen-Trump-Demonstranten. 

Am Abend will Parteichefin Le Pen ihren von ihr erhofften Wahlsieg in der ersten Runde und damit ihren Einzug in die Stichwahl in der Sporthalle von Hénin-Beaumont feiern. Erst einmal gelang es dem Front National bisher, einen Kandidaten in die Stichwahl zu bringen. 2002 schaffte es der Vater von Marine, Jean-Marie, in die zweite Runde. Inzwischen ist Jean-Marie von seiner Tochter abserviert worden. Sie hat die einst stramm rechtsextrem und rassistisch ausgerichtete Partei in eine rechtspopulistische Bewegung umgeformt, die auch in bürgerlichen Kreisen wählbar ist. 2014 war der FN die erfolgreichste Partei in Frankreich bei der Europawahl.

Interessantes Spektakel: Anwohner gegenüber Wahllokal Nummer 12Bild: DW/B. Riegert

Dass Hénin-Beaumont in der Nähe von Lille eine FN-Hochburg ist, haben Anhänger Le Pens am Samstag sehr deutlich gemacht. Auf einer Abraumhalde nahe der Stadt brachten sie mit großen weißen Buchstaben die Initialien von Marine Le Pen (MLP) und den Namen der Partei an. Bereits am Sonntag waren die Buchstaben, die weithin auf der Autobahn zu sehen waren, wieder abgebaut. 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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