EU-US-Handelsabkommen: Ein fauler Kompromiss für Brüssel?
28. Juli 2025
Viele Regierungen und Unternehmen atmeten auf, als das Handelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union (EU) nach fast vier Monaten Uneinigkeit am Sonntag endlich unterzeichnet war. Auch die Märkte reagierten positiv: Die Aktien europäischer Automobilhersteller stiegen zum Börsenstart an diesem Montag um bis zu drei Prozent, die breiter gefassten EU-Aktienindizes erreichten ein Viermonatshoch. Die Zinsen für europäische Anleihen sanken, ein mögliches Zeichen für den Optimismus der Anleger, dass sich der transatlantische Zollstreit wieder entspannen könnte.
Das Abkommen sieht auf die meisten Einfuhren aus der EU in die USA einen Zoll von 15 Prozent vor. Für einige Sektoren müssen die Zölle noch endgültig festgelegt werden. Zudem stellt die EU 514 Milliarden Euro für Investitionen in den USA – ihrem größten Handelspartner – bereit.
Der neue Basiszollsatz von 15 Prozent ist zwar niedriger als der im April für europäische Autohersteller eingeführte Satz von 25 Prozent. Auch entspricht er nur der Hälfte der von US-Präsident Donald Trump angedrohten 30 Prozent ab August. Doch im Vergleich zu den in Trumps erster Amtszeit geltenden Basiszöllen von 2,5 Prozent ist er eine enorme Steigerung.
EU- Kommission-Präsidentin Ursula von der Leyen sprach dennoch von einem "guten Geschäft". Der ausgehandelte Zollsatz bringe "Stabilität" und "Vorhersehbarkeit" in den transatlantischen Handel zurück. Von der Leyen gab allerdings auch zu, dass "15 Prozent nicht zu unterschätzen sind, aber es ist das Beste, was wir erreichen konnten".
Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz schloss sich dieser Meinung an. Das Abkommen sei ein Mittel, um "unsere Kerninteressen zu wahren" und "eine unnötige Eskalation der transatlantischen Handelsbeziehungen" zu verhindern. Merz zeigte sich aber enttäuscht über das Ergebnis und erklärte: "Ich hätte mir noch weitere Erleichterungen sehr gewünscht."
Ergebnis des Zoll-Deals sorgt für harsche Kritik an Brüssel
Während die politischen Entscheidungsträger der EU kundtun, sie hätten Trump zu einer Senkung der Zölle bewegen können, kritisieren viele europäische Politiker und Wirtschaftsführer das neue Abkommen als schädlich für die 27 Mitgliedstaaten. Die EU hatte ursprünglich einen Zollsatz von zehn Prozent angestrebt.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban äußerte sich in einem Facebook-Livestream mit den Worten: "Trump hat Ursula von der Leyen zum Frühstück verspeist." Das Abkommen sei "schlechter" als das, was das Vereinigte Königreich im Mai abgeschlossen habe, monierte Orban. Die meisten britischen Exporte unterliegen weiterhin einem pauschalen US-Zollsatz von zehn Prozent. Wirtschaftsexpertinnen und -experten warnen jedoch, das Abkommen mit den USA lasse wichtige Sektoren – wie die britische Pharmaindustrie und die Landwirtschaft – ungeschützt.
Der französische Premierminister François Bayrou bezeichnete das Abkommen als "düsteren Tag" und beklagte, dass die EU, "ein Bündnis freier Völker, das sich zusammengeschlossen hat, um ihre gemeinsamen Werte zu bekräftigen und ihre gemeinsamen Interessen zu verteidigen, sich in Unterwerfung begibt".
Der ehemalige EU-Politiker Guy Verhofstadt bezeichnete das Abkommen sogar als "skandalös" und "Katastrophe". In Kommentaren auf der Plattform "X" beklagte er, es habe seitens der Amerikaner kein einziges Zugeständnis gegeben und kritisierte, die EU habe schlecht verhandelt. Der deutsche Europaabgeordnete Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses des Europäischen Parlaments, schrieb auf "X", das Abkommen sei "einseitig", Brüssel habe Zugeständnisse gemacht, die "schwer zu akzeptieren" seien.
Der französische Unternehmer Arnaud Bertrand bezeichnete das Abkommen als "einseitigen Transfer von Wohlstand". Es gleiche jener Art von ungleichen Verträgen, die die Kolonialmächte im 19. Jahrhundert durchgesetzt hätten, "nur dass diesmal Europa auf der Opferseite steht".
Gibt es positiven Aspekte für die EU im Zollabkommen mit den USA?
Mit dem Abkommen hat die EU einen umfassenden Handelskrieg vermieden, der das Vertrauen von Unternehmen und die Konsumstimmung auf beiden Seiten des Atlantiks erheblich beeinträchtigt hätte.
In Erwartung höherer US-Zölle hatte Brüssel bereits Vergeltungsmaßnahmen in Höhe von 72 Milliarden Euro für amerikanische Importe vorbereitet, darunter Abgaben auf Flugzeuge und Automobile. Weitere Optionen waren Medienberichten zufolge Exportbeschränkungen für bestimmte Stahl- und Chemieprodukte sowie mögliche Maßnahmen gegen US-Dienstleistungsunternehmen – insbesondere im Bereich Big Tech und Finanzen. Hier erzielten die USA einen Handelsüberschuss von 109 Milliarden Euro gegenüber der EU.
Und obwohl das Abkommen bei weitem nicht ideal ist, könnten die wirtschaftlichen Auswirkungen möglicherweise relativ gering ausfallen. Unter Berufung auf Daten des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel berichtete die deutsche Wirtschaftszeitung "Handelsblatt" am Montag, die Zölle bedeuteten für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der EU aller Voraussicht nach lediglich einen Rückgang um 0,1 Prozent.
Dies ist deutlich weniger als die Schätzung der Investmentbank Goldman Sachs aus dem vergangenen Jahr, wonach bereits US-Zölle in Höhe von zehn Prozent zu einem Rückgang des europäischen BIPs um bis zu einem Prozent führen könnten.
Einige Branchen dürften sogar profitieren. Bloomberg Intelligence prognostiziert für den europäischen Automobilsektor einen Gewinnanstieg von vier Milliarden Euro, da der Zollsatz auch für Fahrzeuge und Fahrzeugteile aus der EU nun nur 15 statt 27,5 Prozent beträgt.
Deutsche Unternehmen allerdings stellen sich auf erhebliche Kosten ein: Das Handelsblatt schätzt, dass die neuen Abgaben für sie zusätzliche Belastungen in Höhe von rund 6,5 Milliarden Euro bedeuten.
Hätte Brüssel besser mit den USA verhandeln können?
Obwohl die EU einen Handelskrieg abgewendet hat, hagelt es Kritik, dass sie Washington keine echten Zugeständnisse abgerungen hat. Brüssel habe eine wichtige Gelegenheit verpasst, um Zollsenkungen für hochwertige europäische Exportgüter – darunter Wein, Spirituosen und Luxusgüter – zu erreichen, heißt es von Analystinnen und Analysten.
So hätten vor allem höhere Markt-Beschränkungen für US-Technologiegiganten und Finanzinstitute Trump unter Druck setzen können, Zölle auf Autos und Arzneimittel zu senken. Auch das frühe Aufweichen der EU-Vergeltungszölle hätte die Verhandlungsposition der Europäischen Union geschwächt.
Die EU-Politik habe zudem versäumt, die Innenpolitik der USA in den Blick zu nehmen und etwa Exporte aus Hochburgen der Republikaner gezielt zu beschränken oder US-amerikanische Unternehmen zu ermutigen, innerhalb der Trump-Regierung Lobbyarbeit (gegen hohe Einführzölle – Anm.d.Red.) zu betreiben.
Uneinigkeiten zwischen den EU-Mitgliedstaaten, insbesondere seitens Ungarns, haben Brüssels Position weiter geschwächt. Zudem hielten Trumps unvorhersehbare Taktik und aggressive Zollandrohungen die EU-Verhandlungsführenden während der gesamten Gespräche in der Defensive.
Was passiert als Nächstes im Handelsabkommen von USA und EU?
Das ausgehandelte Zollabkommen ist eher ein vorläufiger Rahmen als eine umfassende Vereinbarung. In den kommenden Monaten werden die Verhandlungsführenden aus Brüssel und Washington einen detaillierten Text ausarbeiten und einen Termin für das Inkrafttreten des 15-Prozent-Zolls festlegen.
Angesichts Trumps üblicher Praxis, in letzter Minute Forderungen zu stellen, was zuletzt bei den Handelsgesprächen zwischen den USA und Japan zu beobachten war, muss sich die EU aber noch auf mögliche Änderungen einstellen.
Das Abkommen muss dann von den EU-Mitgliedstaaten genehmigt und vom Europäischen Parlament geprüft werden - was mehrere Wochen dauern dürfte.
Ein weitere Unsicherheit sind zahlreiche Klagen, die in den Vereinigten Staaten selbst gegen die Zollpolitik der US-Regierung laufen. Die Klagenden argumentieren, nicht der US-Präsident, nur der US-Kongress habe die Befugnis, neue Zölle zu verhängen. Sollte eine dieser Klagen Erfolg haben, könnten die Zölle für ungültig erklärt werden, was neue Verhandlungen auslösen würde.
Auch wichtige sektorspezifische Abgaben sind noch ungeklärt. Brüssel drängt weiterhin auf Ausnahmeregelungen für Wein und Spirituosen – insbesondere für Frankreich und Italien. Niedrigere Sätze für Arzneimittel und Halbleiter werden ebenfalls diskutiert.
Und dann ist da noch die Zusage der EU, nicht tarifäre, also von Zollsteuern losgelöste Handelshemmnisse – wie beispielsweise Einfuhrhöchstmengen oder spezifische Sicherheits- oder Zulassungsstandards – abzubauen. Vor allem sie erfordern sorgfältige Verhandlungen, um eine Übereinstimmung mit den bestehenden EU-Standards sicherzustellen.
Adaption aus dem Englischen: Jeannette Cwienk