Zschäpe im Aussteigerprogramm für Rechtsextreme aufgenommen
25. August 2025
"Ich habe die Nachricht mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Schock aufgenommen. Wobei uns Angehörige der Opfer eigentlich nichts mehr schockieren kann, aber in dem Fall doch noch ein Stück weit", sagt Michalina Boulgarides der DW.
Sie ist die Tochter von Theodoros Boulgarides, der 2005 in München vom Nationalsozialistischen Untergrund, kurz NSU, ermordet wurde. Eines von insgesamt zehn Opfern der Rechtsterroristen um Beate Zschäpe, die 2018 vom Oberlandesgericht München zu einer lebenslangen Haftstrafe mit besonderer Schwere der Schuld verurteilt worden war.
Zschäpe, die zur Aufklärung der Mordserie zwischen 2000 und 2007 wenig beigetragen hat, ist nun in das Neonazi-Aussteigerprogramm "Exit" aufgenommen worden. Für Boulgarides, welche die Nachricht aus den Medien erfuhr, ein Schlag ins Gesicht aller Betroffenen.
Sofortiger Ausschluss von Zschäpe gefordert
Sie hat mit weiteren Hinterbliebenen eine Petition auf der Onlineplattform Campact gestartet und einen Brief an die Bundesregierung geschrieben – bisher noch ohne Antwort. Ihre Forderung: der sofortige Ausschluss von Zschäpe aus dem Aussteigerprogramm sowie die rechtliche und finanzielle Unterstützung der Hinterbliebenen und Betroffenen durch dauerhafte angemessene Opferrenten.
"Wir haben in den vergangenen 20 Jahren schon einiges miterlebt, und es ist einfach alles wie immer. Das Schlimme ist, dass wir erneut merken, dass der Regierungsapparat nicht dazulernt, was auch den Umgang mit den Betroffenen betrifft", sagt Michalina Boulgarides. "Ich persönlich habe den Opferschutz nicht erlebt."
Angehörige kritisieren Täter-Opfer-Umkehr
Jahrelang richteten sich die polizeilichen Ermittlungen fast ausschließlich gegen die Familien der Ermordeten, denen Verbindungen zur Mafia oder Drogenhandel unterstellt wurden. Die Aufnahme von Zschäpe in ein Aussteigerprogramm ist für Boulgarides ein weiteres Signal einer Täter-Opfer-Umkehr: Die verurteilte Mörderin werde dagegen bei der Resozialisierung unterstützt.
"Wenn sie während des Prozesses oder ihrer Haftzeit gesprochen hätte, sich vielleicht auch mal entschuldigt hätte, hätten auch die Betroffenen anders reagiert. Aber sie sagt, sie wendet sich ab von der rechten Szene, obwohl sie nachweislich während ihrer Haftzeit Kontakt zu dieser hatte. Das passt für uns nicht zusammen, und ist überhaupt nicht glaubwürdig."
Ein Sprecher von "Exit-Deutschland" sagte im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau, man nehme grundsätzlich nicht dazu Stellung, wer aktuell an dem Aussteigerprogramm teilnehme. Es sei aber generell Bedingung für eine Aufnahme, dass eine ernsthafte Reflektion über begangene Taten und deren Motivation bestehe.
Wie lange bleibt Beate Zschäpe in Haft?
Im November 2026, nach 15 Jahren Haft - inklusive Untersuchungshaft - , entscheidet das Oberlandesgericht München über die endgültige Haftdauer von Zschäpe, die derzeit in der Justizvollzugsanstalt Chemnitz sitzt. Die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Opfer und Hinterbliebenen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), Barbara John, vermutet, die NSU-Terroristin wolle mit der Aufnahme bei "Exit" ihre vorzeitige Haftentlassung vorbereiten.
Michalina Boulgarides vermutet dieselben Motive bei Zschäpe: "Sie tut dies, um ihre Haftzeit zu verkürzen, anders kann ich es mir nicht erklären. Wenn jemand wirklich geläutert ist und sagt, dass er Reue zeigen möchte, dann läuft das anders ab. Dabei glaube ich an diese Aussteigerprogramme und finde es gut, dass es sie gibt."
Motivation und Wille, aus der Szene auszusteigen, entscheidend
In Deutschland existieren viele Aussteigerprogramme, sowohl staatliche als auch zivilgesellschaftliche Angebote. "Exit", im Jahr 2000 gegründet, war die erste Initiative und blieb für viele Jahre das einzige zivilgesellschaftliche Ausstiegsprogramm.
Seit 2018 bietet das Kompetenzzentrum gegen Extremismus "Konex", Teil des Landeskriminalamtes in Baden-Württemberg, Programme in den Bereichen Rechtsextremismus, Linksextremismus, Islamismus und auslandsbezogenen Extremismus an, seit kurzem auch eines für "Reichsbürger".
"Für einen erfolgreichen Ausstieg sind der Ausstiegswillen und die Bereitschaft entscheidend, also die Motivation, ob ich wirklich aussteigen will. Und da kommt es drauf an, wie verfestigt, radikalisiert und in der Szene eingebettet jemand ist", sagt Conrad Klosinski, Leiter der Ausstiegsberatung von "Konex" der DW. "Und dann müssen wir auch immer wieder schauen, ob die Motivation echt ist oder nur dazu dient, eine Erleichterung der Strafe bei der Haftdauer zu bekommen."
Immer mehr Jugendliche radikalisieren sich im Internet
"Konex" hat in sieben Jahren mehr als 1.000 sogenannte Vorgänge bearbeitet – von der Einmalberatung am Telefon bis hin zu Fällen, die sich über mehrere Jahre hinziehen. Der Bereich Rechtsextremismus sei zwar aktuell leicht rückläufig, der Anteil der Jugendlichen dafür aber stark angestiegen. Vor allem über das Internet, in Chatgruppen und sozialen Medien wie TikTok finde heute die Radikalisierung statt, mit immer neuen Codes und Symbolen.
"Das Wichtigste ist, gegenseitiges Vertrauen aufzubauen, um einschätzen zu können, was die Person von uns will, wie ernst sie es meint und was wir ihr auch bieten können", sagt Klosinski. "Unser Minimalziel ist, dass die Person keine politisch motivierten Straftaten mehr begeht. Und natürlich wäre es das Beste, woran wir auch arbeiten, dass sie sich dann wirklich nachhaltig distanziert, deradikalisiert, ideologisch neu aufstellt und im Idealfall mit beiden Beinen auf der freiheitlich demokratischen Grundordnung steht."