Zu viel Rücksicht auf die Türkei?
25. Februar 2016Für die Regierungskoalition kommt der Grünen-Antrag zur Unzeit. Sie will wegen der Flüchtlingskrise darauf verzichten, die Türkei wegen des Massenmordes an den Armeniern zu hart anzugehen und das Massaker vor 100 Jahren als "Völkermord" zu bezeichnen. Die Regierung steht unter Druck, die Flüchtlingszahlen spürbar zu verringern. In der Strategie der Bundeskanzlerin fällt der Türkei als wichtigstes Transitland für Flüchtlinge dabei eine besondere Rolle zu, am 7. März stehen wichtige Verhandlungen mit Ankara auf dem EU-Türkei-Gipfel an. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan gilt als reizbarer Verhandlungspartner, den man nicht verärgern möchte.
Nach armenischer Darstellung starben vom April 1915 bis 1917 im Zuge der Vernichtung der armenischen Minderheit im Osmanischen Reich bis zu 1,5 Millionen Armenier. Die Türkei als Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches hält dagegen: 300.000 bis 500.000 Armenier seien getötet worden, ebenso viele Türken seien gestorben. Und Ankara spricht von bürgerkriegsartigen Kämpfen und Hungersnöten. Bis heute reagiert die türkische Regierung äußerst verärgert auf den Begriff Völkermord.
Eigentlich sind sich alle einig
Dabei unterscheidet sich der Standpunkt der Koalitionsfraktionen bei dem Thema nicht von dem der Grünen. Bei einer Bundestagsdebatte im April 2015 waren alle Parlamentarier der Meinung, dass es sich bei den Massakern an den Armeniern vor 100 Jahren um Völkermord handelt. Auch Bundespräsident Joachim Gauck und Bundestagspräsident Norbert Lammert sprachen von Völkermord.
Was noch fehlte, war die Verabschiedung eines Antrags durch den Bundestag, in dem das Wort "Völkermord" auftaucht. Im Oktober einigten sich die Union, SPD und Bündnis 90/ Die Grünen schließlich darauf. Doch dieser wird nun als reiner Grünen-Antrag in den Bundestag eingebracht. Im Entwurf heißt es, das Schicksal der getöteten Armenier stehe "beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist". In dem Text wird zugleich auf die "Einzigartigkeit des Holocaust" sowie die "unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches" bei dem Massaker an den Armeniern verwiesen.
Kritik der Grünen
Der Vorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, wirft der Regierungskoalition vor, im vorauseilenden Gehorsam gegenüber der Türkei von dem gemeinsamenAntrag abgerückt zu sein. "Der Antrag verzichtet SOGAR darauf, die Bundesregierung aufzufordern, ihrerzeits den Völkermord anzuerkennen, um da jetzt nicht eine Vorführnummer daraus zu machen", sagt Özdemir gegenüber der DW. "Man hätte ohne weiteres sagen können: Es ist ja der Bundestag, es ist nicht die Regierung."
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph Bergner hatte sich bei der Debatte im April noch klar zu dem Thema geäußert: "Ich habe Zweifel, dass wir, wenn wir in dieser Diskussion überzeugend auftreten und klar Stellung beziehen wollen, auf den Begriff "Völkermord" verzichten können", sagte Bergner im Plenum. Gegen den Antrag der Grünen ist er trotzdem. "Unsere Einwände beziehen sich auf das Verfahren und nicht auf den Inhalt", sagt Bergner gegenüber der DW. "Wenn man in Verhandlungen mit einem Partner steht, versucht man, diese Verhandlungen nicht zu belasten", sagt er im Hinblick auf die Türkei. Der Parlamentarier wirft den Grünen vor, das Völkermord-Thema für ein parteitaktisches Manöver zu nutzen.
"Es gibt nie den richtigen Zeitpunkt"
Auch wenn der Grünen-Antrag im Parlament höchstwahrscheinlich scheitern wird, für CDU-Mann Bergner ist das Thema Völkermord an den Armeniern nicht vom Tisch. "Ich hoffe, wir werden zu einem geeigneteren Zeitpunkt uns innerhalb der Kaolition auf eine Formulierung verständigen."