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Zu viele Hits aus zweiter Hand

Rafael Heiling2. Februar 2005

Die Menschen hören gern Gutes von gestern. Deshalb spielen Bands bewährte Lieder nach, anstatt neue zu erfinden. Ein Krisensymptom, sagen Experten.

Nicht nur Abba wird ständig kopiertBild: AP

Abbas "Dancing Queen" wurde mindestens 22 Mal von fremden Bands gecovert, Don Henleys "The Boys of Summer" immerhin 7 Mal. Marilyn Manson hat "Tainted Love" auch nicht selbst erfunden, sondern sich bei Gloria Jones bedient, die den Hit 1964 landete.

Scooter: Neue Beats für altes StückBild: www.scootertechno.com

Der Musikwissenschaftler Marc Pendzich hat nachgezählt: Heute sind drei Mal mehr Coverversionen in den deutschen Charts zu finden als Ende der 1980er-Jahre. Insgesamt ist ihr Anteil auf fast 20 Prozent hoch geschnellt. Vor allem deutsche Hörer hätten eine Vorliebe für Second-Hand-Hits, schreibt er in seinem Buch "Von der Coverversion zum Hit-Recycling".

"Die Rezeptionskultur in Deutschland, Großbritannien und Polen hat ein großes Traditionsbewusstsein", sagt auch Peter Niedermüller vom Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Mainz. In den USA gebe es Song-Nachbauten eher in anderen Musikrichtungen wie Country oder Progressive Rock. Und die schaffen es seltener bis in die Charts.

Typisch deutsch: Kuschelsong goes Techno

Techno ist neben Hip-Hop und Pop eine typische Verwertungsrichtung beim Covern. Dabei werden Musikschnipsel aus bestehenden Songs zu einem neuen Dance-Song zusammengebastelt. Doch das laufe nur in Deutschland richtig gut, sagt Niedermüller. Daran könne auch keine internationale Quelle etwas ändern. Auch wenn Marusha "Somewhere over the Rainbow" (Judy Garland, 1939) zum Techno-Track umbaue oder Scooter dicke Beats in "Rebel Yell" (Billy Idol, 1983) einrühre, seien das deutsche Phänomene.

Anderswo werden stattdessen vorrangig Hits der 1970er und 1980er-Jahre gecovert.

Das Publikum nimmt, was da ist

"Wenn Scooter Billy Idol nachmacht, kann es gut sein, dass die Rezipienten das gar nicht merken", erklärt Niedermüller. Auch Hubert Wandjo, Geschäftsführer der Popakademie in Mannheim, sagt, Jugendliche würden die älteren Ursprungsstücke meistens gar nicht kennen.

Immer wieder 'Yesterday': Der berühmte Beatles-Song wurde hunderte Male gecovertBild: AP

Viele Bands produzieren Second-Hand-Hits nicht weil der Käufer danach ruft. Für die Musikexperten liegt der Grund eher bei den Bands und den Plattenfirmen. "Die versuchen, Erfolg zu recyceln," sagt Niedermüller. Zudem lasse sich damit Kosten sparen, da viele Schritte in der Produktion entfallen. "Da macht es auch nichts, wenn man für die Rechte ein bisschen zahlen muss."

Nicht kopieren, sondern kreativ abgucken

Mitunter wollen Bands mit einer Coverversion eine Hommage an ihre Vorbilder setzen. Doch oft gingen den Musikern manchmal schlicht die Einfälle aus, sagt Niedermüller. "Covern ist ein Krisensymptom, es gibt wenig eigene Ideen."

Marc Pendzich kritisiert, viele Musiker würden Stücke einfach kopieren und bestenfalls noch ein paar ordentliche Wummerbässe darunterlegen. "Computersierte, stark vereinfachte Aufnahmeverfahren haben nicht notwendigerweise gute Songs zur Folge," sagt Wandjo.

Johnny Cash - 'U2' im Country-KleidBild: AP

Doch müssen Coverversionen nichts Schlechtes sein, findet Niedermüller. "Wenn ein Crossover stattfindet, wie bei der letzten Studioplatte von Johnny Cash, wo er U2 singt – das macht schon einen besonderen Reiz aus."

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