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Gute Geschäfte

18. Oktober 2009

Besucherandrang, zufriedene Aussteller, Veranstaltungen mit viel Prominenz, Streit um das Gastland China - und zum Schluss die Auszeichnung eines überzeugten Europäers. Eine Bilanz der Buchmesse 2009.

E-Books auf der Frankfurter Buchmesse (Foto: AP)
Umlagert: E-BooksBild: AP

Friedenspreis für einen großen Europäer: Claudio Magris, Schriftsteller, Literaturwissenschaftler und Publizist, wurde als herausragender Interpret der Kulturen, genauer Beobachter und visionärer Zeitgenosse gewürdigt. Laudator Karl Schlögel nannte den Preisträger einen Entdecker von Literaturen und Landschaften im mittleren und östlichen Europa. Magris habe Europa mit seinen Büchern Zuversicht und Schönheit gegeben.

"Jetzt, da Europa noch reicher, komplizierter, unübersichtlicher geworden ist, da Europa neu zusammengesetzt wird, kommt es auf jene Tugenden der 'civilita mitteleuropeana' besonders an: Die Paradoxe aushalten, die andere Seite mitdenken", formulierte Karl Schlögel, Osteuropawissenschaftler an der Europa-Universität Viadrina und selbst preisgekrönter Autor.

Die Welt verändern

Claudio Magris erhielt 2009 den Friedenspreis des Deutschen BuchhandelsBild: picture-alliance / Sven Simon

Eher nachdenklich wies Claudio Magris auf neue Gefahren hin. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg habe es Kriege mit einem hohen Blutzoll gegeben - allerdings: Die meisten Europäer hätten das Glück gehabt, diesen nicht zahlen zu müssen. "Ungefähr 20 Millionen Tote nach 1945 - die im Unterschied zu denen des Zweiten Weltkriegs, so gut wie unbekannt geblieben und einem brutalen Vergessen anheim gegeben sind. Wir wiegen uns in der Illusion, ohne Krieg zu leben, weil der Rhein keine von Hunderttausenden Soldaten umkämpfte Grenze mehr ist, oder weil auf dem Karst hinter Triest nicht mehr diese Grenze verläuft, die der unüberwindbare Eiserne Vorhang war und ein Pulverfass zugleich."

Inzwischen seien neue Bollwerke entstanden, andere Grenzen, die eine Gefahr für den Frieden darstellten. "Bisweilen unsichtbare Grenzen im Inneren unserer Städte, zwischen uns und den Neuankömmlingen aus allen Teilen der Welt, die wir kaum wahrnehmen. Nicht nur an den italienischen Küsten landen Flüchtlinge, die man für räuberische Piraten hält. Die Reaktionen auf eine solche mit einer Invasion verwechselten Exilsuche sind hysterisch und symptomatisch in ihrer Brutalität." Die Utopie vom Paradies auf Erden, so Magris, sei verflogen. Nicht verflogen sei aber die Forderung, dass die Welt nicht nur verwaltet, sondern vor allem auch verändert werden müsse.

Umstrittenes, erfolgreiches Gastland

Kontroversen um das Gastland China haben der diesjährigen Buchmesse ihren Stempel aufgedrückt. Im Mittelpunkt stand dabei die Diskussion um die Menschenrechte im Gastland. Buchmessendirektor Juergen Boos äußerte sich zum Schluss dennoch zufrieden über den Ehrengast und sagte, es sei richtig und gut gewesen, China einzuladen. So sei es gelungen, die Vielfalt des Landes zu zeigen und Diskussionen anzustoßen.

Umstrittenes Gastland: ChinaBild: picture-alliance/ dpa

Auch die offizielle chinesische Delegation zog eine positive Bilanz und vermeldete stolz reges Publikumsinteresse an ihren Veranstaltungen. Rund 150 Schriftsteller und 225 Verlage seien an der Präsentation beteiligt gewesen, und auch wirtschaftlich habe sich die Teilnahme gelohnt: Etwa 2000 Urheberrechtsverträge habe man unterzeichnen können. Die Zensurpraxis war hingegen für sie kein Thema. Man verwies auf kulturelle Unterschiede und auf die Freiheit der Verleger. Sie würden in China entscheiden, welches Buch publiziert werde. Das Kriterium dafür sei der Markt. Zum Dialog zwischen den Kritikern Chinas und der offiziellen Delegation war es in Frankfurt nicht gekommen.

Ein Stück China kennengelernt

Der Schriftsteller, Sinologe und China-Kenner Tilman Spengler meinte: "Ich hatte zunächst den Eindruck, dass bei diesen ganzen Auseinandersetzungen das erste große Opfer die Literatur ist, dass wir über Politik reden, über Gesellschaft, Menschenrechte und so weiter und das hat sich, Gott sei dank, überhaupt nicht bewahrheitet. Es sind so viele chinesische Werke vorgestellt worden, es ist so kontrovers, einheitlich, lustig, widersprüchlich diskutiert worden über das, was in den neueren Werken steht und es ist uns dadurch auch ein Stück China näher gekommen. Das ist sehr positiv."

China verändert sich, aber langsam

Der in Taiwan lebende Stephan Thome, ein junger, für seinen Erstling preisgekrönter Schriftsteller rät der deutschen Seite zu mehr Gelassenheit: "China verändert sich. China verändert sich langsamer, als wir das gerne möchten. […] Wir sollten uns der chinesischen Perspektive aussetzen, wir sollen zuhören, wir sollen verstehen, wie unterschiedlich die Position ist; es gibt nicht DIE chinesische Position, die gibt's in keiner Frage, die gibt's auch nicht zur Menschenrechtsfrage, das ist wesentlich komplexer und vielschichtiger, als wir das häufig wahrnehmen, und die Buchmesse bietet die Chance, da etwas zu lernen."

Das nächste Gastland, Argentinien, wird sicher für weniger Aufregung sorgen.

Herausforderung Digitalisierung

Digitalisierung und Zukunft gedruckter Texte bleiben auch nach dieser Buchmesse ein wichtiges Thema - die Zukunft der Bücherwelt ist dennoch ungewiss. Viele Messeteilnehmer betonten: "Das gedruckte Buch lebt" und forderten die energische Verteidigung des Rechts am geistigen Eigentum. Gleichzeitig stießen die neuen elektronischen Lesegeräte auf Interesse. Der Einstieg des Internet-Giganten Google ins Geschäft mit digitalen Büchern sorgte für kontroverse Debatten. Detlev Felken, Cheflektor zeigte sich skeptisch: "Ich sehe darin zunächst einmal eine Bedrohung, weil ja viele Rechtefragen noch gänzlich ungeklärt sind und es natürlich schon darum geht, die Kräfteverhältnisse zu verändern. Also ich kann das, was Google macht, nicht nur als einen freundlichen Akt auffassen. Auf der anderen Seite bin ich fest davon überzeugt, dass das Buch als Kulturgut bleiben wird - aber es muss sich sozusagen den Kuchen mit immer mehr anderen teilen und das macht es für die Verlage nicht nur einfacher."

Schön, schwer, gefragt

Herta Müller, Literaturnobelpreisträgerin 2009Bild: AP

Und dann wären da noch einige Superlative: Schönstes Buch war dieses Mal ein Bildband über den Künstler Joseph Beuys. Das schwerste Buch: Kindlers Literaturlexikon, 18 Bände, gut 32 Kilo. Der am meisten gefragte Download: "Atemschaukel", Roman der Nobelpreisträgerin Herta Müller, zeitweise brach der Server wegen der großen Nachfrage zusammen. Das kürzeste Buch heißt "Und Gott chillte" - dahinter verbergen sich Bibelgeschichten mit maximal 140 Zeichen für Twitter. Und der kurioseste Buchtitel: "Das Leben ist keine Waldorfschule" - ein Buch, das garantiert nichts mit einer anthroposophischen Schule zu tun hat.

Autorin: Cornelia Rabitz
Redaktion: Wim Abbink

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